Sozialgericht für das Saarland S 19 P 123/20

September 4, 2021

Sozialgericht für das Saarland S 19 P 123/20

1. Die auf § 150a Abs. 9 SGB XI beruhende Richtlinie über die Gewährung eines Bonus für Pflegekräfte im Saarland (Corona-Pflegebonusrichtlinie) ist der richterlichen Auslegung und Interpretation nicht zugänglich.

2. Ein in einer vollstationären Alten- und Pflegeeinrichtung beschäftigter Ergotherapeut gehört nicht zu dem Kreis der Begünstigten gemäß Nr. 2 der Corona-Pflegebonusrichtlinie. Prägendes Element der ergotherapeutischen Tätigkeit ist nicht die Pflege, wie in §§ 14,15 SGB XI bestimmt, sondern das Beraten, Behandeln und Fördern von Menschen mit einer physischen oder psychischen Erkrankung, einer Behinderung oder einer Entwicklungsverzögerung.

3. Die dargelegte Förderpraxis, den Kreis der Begünstigten auf professionell Pflegende und in der Pflege professionell Tätige zu begrenzen, ist unter Berücksichtigung der Zweckbestimmung, das überdurchschnittliche Engagement dieser Personengruppe zu würdigen und anzuerkennen, mit dem Gleichheitsgrundsatz zu vereinbaren.

Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Beklagte hat die Kosten für die Anrufung des unzuständigen Verwaltungsgerichts für das Saarland zu tragen.

3. Im Übrigen haben die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand
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Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger den saarländischen Pflegebonus gemäß der Richtlinie über die Gewährung eines Bonus für Pflegekräfte im Saarland (Corona-Pflegebonusrichtlinie) vom 3. Juni 2020 in der Fassung vom 15. Juni 2020 (infolge: Richtlinie) zu gewähren.

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Der Kläger, geboren 1956, arbeitet als Ergotherapeut in der stationären Alten- und Pflegeeinrichtung J.-H.-K. in C-Stadt. Er ist seit 2014 freigestelltes Mitglied des Betriebsrates.

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Mit dem Antrag vom 17. Juli 2020 begehrte er die Gewährung des Corona Pflegebonus.

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Mit Bescheid vom 25. August 2020 lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers ab, da der Kläger nicht zu dem begünstigten Personenkreis gehöre.

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Dagegen hat sich die Klage vom 2. September 2020, am 3. September 2020 bei dem Verwaltungsgericht E-Stadt eingegangen, gerichtet.

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Mit Beschluss vom 9. September 2020 hat das Verwaltungsgericht E-Stadt den Rechtsweg zu den Gerichten der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit als unzulässig erachtet und das Verfahren an das Sozialgericht für das Saarland verwiesen.

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Der Kläger trägt vor:

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Er sei als Begünstigter im Sinne Nr. 2. der Richtlinie anzusehen. Als freigestelltes Mitglied des Betriebsrates erbringe er während der Corona-Pandemie aufgrund der Kapazitätsauslastung und dem aus der Pandemie resultierenden Organisationsaufwand ein überdurchschnittliches Engagement im Sinne der Richtlinie, sodass der Zweck des Bonus, eine besondere Würdigung und Anerkennung der Arbeit, auch auf ihn zutreffe. Nur hierdurch komme der Beklagte seiner sozialen Verantwortung gegenüber den Tätigen der Altenpflege nach. Insbesondere komme Betriebsräten in Zeiten der Pandemie die Aufgabe zu, die Wahrung der Arbeitnehmerschutzrechte zu prüfen. Es sei diskriminierend gegenüber freigestellten Mitgliedern des Betriebsrates, den Pflegebonus nicht zu zahlen, während das normale Mitglied des Betriebsrates in den Genuss des Bonus komme. Es liege kein rechtfertigender Grund vor, warum der Sinn der Richtlinie, überobligatorische Anstrengungen in Zeiten von Corona zu würdigen, nicht auch auf freigestellte Mitglieder des Betriebsrates zutreffen solle. Die Arbeit von freigestellten Mitgliedern des Betriebsrates sei weder qualitativ, noch quantitativ weniger anerkennungswürdig als die der in der Pflege tätigen Nichtbetriebsratsmitglieder. Dies stelle eine nicht hinzunehmende Ungleichbehandlung dar. Da freigestellte Mitglieder des Betriebsrats in der Aufzählung der Nichtbegünstigten in Ziffer 2 der Richtlinie nicht genannt seien, sei diese so auszulegen, dass auch dieser Personenkreis als begünstigt erfasst sein solle.

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Die Kläger beantragt,

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1. den Bescheid des Beklagten vom 25. August 2020 aufzuheben;

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2. den Beklagten zu verurteilen, ihm, dem Kläger, den saarländischen Pflegebonus gemäß der Richtlinie über die Gewährung eines Bonus für Pflegekräfte im Saarland (Corona-Pflegebonusrichtlinie) vom 3. Juni 2020 zu gewähren.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er trägt im Wesentlichen vor:

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Bei dem Pflegebonus handele es sich um eine freiwillige Leistung des Landes. Die Zuwendung erfolge auf der Grundlage der einschlägigen Förderrichtlinien im billigen Ermessen der Behörde und im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel. Das Gericht sei somit an den Zuwendungszweck gebunden, wie ihn der Zuwendungsgeber verstehe. Da Richtlinien keine Rechtsnormen seien, unterlägen sie grundsätzlich keiner richterlichen Interpretation. Für die gerichtliche Prüfung einer Förderung sei deshalb entscheidend, wie die Behörde des zuständigen Rechtsträgers die Verwaltungsvorschrift im maßgeblichen Zeitpunkt in ständiger Praxis gehandhabt habe und in welchem Umfang sie infolgedessen durch den Gleichbehandlungsgrundsatz gebunden sei. Eine Überprüfung habe sich darauf zu beschränken, ob aufgrund der einschlägigen Förderrichtlinien überhaupt eine Verteilung öffentlicher Mittel vorgenommen werden könne und bejahendenfalls, ob eine mögliche willkürliche Ungleichbehandlung potentieller Förderungsempfänger eröffnet sei. Willkür sei nur dann anzunehmen, wenn sich ein vernünftiger, aus der Natur der Sache ergebender oder sonstiger sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung oder Ungleichbehandlung nicht finden lasse.

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Der Kläger sei vorliegend nicht Begünstigte, da er als freigestelltes Betriebsratsmitglied nicht zu dem Kreis der Begünstigten gehöre. Die Förderpraxis des Beklagten, freigestellte Betriebsratsmitglieder nicht als Begünstigte anzusehen, sei nicht zu beanstanden und stehe in seinem, des Förderungsgebers, Ermessen. Dies sei weder willkürlich, noch verletzt den Gleichheitsgrundsatz.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Verfahrensganges wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten, die beigezogen war, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe
I.

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Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

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Die nach §§ 54 Abs. 1 Satz 1 1. Alternative, Abs. 4 SGG erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage setzt für ihre Begründetheit voraus, dass der Kläger durch einen rechtswidrigen Verwaltungsakt beschwert, mithin in ihren rechtlich geschützten Interessen beeinträchtigt ist, und dass der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung betrifft, auf die ein Rechtsanspruch besteht.

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Der Bescheid des Beklagten vom 25. August 2020 ist rechtmäßig; er verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

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Der Kläger hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Gewährung des Coronapflegebonus gemäß Ziffer 2.und 3. der Richtlinie.

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Der Kläger ist nicht Begünstigter im Sinne von Nr. 2 der Richtlinie.

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Nr. 2. der Richtlinie lautet wie folgt:

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Begünstigte im Sinne dieser Richtlinie sind Pflegende in stationären Alten- und Pflegeeinrichtungen sowie ambulanten Pflegediensten. Ebenso begünstigt sind tatsächlich in der Pflege Tätige, deren ausgeübte berufliche Tätigkeit der Pflege entspricht und mit dieser vergleichbar ist, sowie in der professionellen Betreuung und Aktivierung Tätige in diesen Einrichtungen und ambulanten Pflegediensten. Das Beschäftigungsverhältnis muss am 1. März 2020 bestanden haben und nach seiner vertraglichen Bestimmung überwiegend im Saarland ausgeübt werden. Personen, bei denen nicht zu erwarten ist, dass sie im Antragszeitraum nach Nr. 5.1 in ihrer beruflichen Tätigkeit von der Corona-Pandemie betroffen sind oder zukünftig sein können, insbesondere Beschäftigte, die zum 1. März 2020 in Altersteilzeit in der Freistellungsphase ohne Bezüge beurlaubt sind oder wegen Kurzarbeit oder besonderer Gefährdungsbeurteilung (Vulnerabilität) von der beruflichen Tätigkeit oder Pflege oder zusätzlichen Betreuung oder Aktivierung befreit waren, sowie Personen, die zu diesem Zeitpunkt eine Zeitrente erhalten, sind nicht Begünstigte.

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Dies zugrunde legend ist der Kläger nach Nr. 2 Satz 1 der Richtlinie nicht begünstigt.

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Nach dem Wortlaut ist der Kläger nicht Begünstigter, weil er nicht Pflegender in einer stationären Alten- und Pflegeeinrichtung sowie in einem ambulanten Pflegedienst ist. Der Kläger war bis zu seiner Freistellung als Betriebsratsmitglied seit 2014 als Ergotherapeut in der Pflegeeinrichtung im J.-H.-K. tätig. In der mündlichen Verhandlung hat er seine Tätigkeit vor der Freistellung so geschildert, dass er etwa Bewohner nach Krankheitsereignissen rehabilitativ begleitet habe. Seine Tätigkeit sei darauf gerichtet, Fähigkeiten wieder zu erlernen, zu erhalten und dem zeitlichen Verlust entgegenzutreten. Er sei mit Gehtraining, Mobilisierung, aber auch mit Beschäftigung befasst gewesen. Vor der Freistellung sei er seiner Auffassung nach völlig in die Pflege integriert gewesen. Er hat dies in der mündlichen Verhandlung am Beispiel eines an einer Tetraplegie leidenden jungen Mannes dargestellt, den er 5 bis 6 Stunden am Tag voll versorgt habe. Ab 1. März 2020 sei er mit Tätigkeiten dieser Art nicht befasst gewesen.

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Es konnte offenbleiben, ob der Umstand, dass der Kläger als Betriebsratsmitglied freigestellt ist, allein bereits dem Tatbestandsmerkmal „Begünstigter“ im Sinne der Richtlinie entgegensteht. Selbst wenn das nicht der Fall wäre, ist der Kläger bereits durch die Tätigkeit als Ergotherapeut, die er bis 2014 ausgeübt hat, weder als Pflegender, noch als in der Pflege Tätiger zu betrachten. Diese Tätigkeit würde, selbst wenn sie in der Zeit ab 1. März 2020 ausgeübt worden wäre, nicht zu der Anspruchsberechtigung nach der Richtlinie führen. Denn prägendes Element der Tätigkeit eines Ergotherapeuten ist nicht die klassische Pflege, wie in §§ 14,15 SGB XI niedergelegt. Ergotherapeuten beraten, behandeln und fördern Patienten jedes Alters, die durch eine physische oder psychische Erkrankung, durch eine Behinderung oder durch eine Entwicklungsverzögerung in der Selbstständigkeit und Handlungsfähigkeit beeinträchtigt bzw. von Einschränkung bedroht sind. Sie erarbeiten individuelle Behandlungspläne und führen Therapien sowie Maßnahmen der Prävention durch (vergleiche zur Problematik: Tätigkeitsbeschreibung der Bundesagentur für Arbeit in BERUFENET).

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Damit ist der Kläger bereits vom Wortlaut der Richtlinie nicht erfasst. Dies deckt sich auch mit dem in Nr. 1 der Richtlinie niedergelegten Zweck, wonach das überdurchschnittliche Engagement der im Saarland Pflegenden sowie in der Pflege Tätigen anerkannt werden soll.

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Vorliegendes Verständnis der Richtlinie ist damit ausschließlich dem Wortlaut und der Zweckbestimmung der Leistung, so wie es der Richtliniengeber gewollt hat, geschuldet. Daran hat sich das Gericht zu halten.

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Wie der Beklagte zutreffend ausführt, darf eine Richtlinie wie die vorliegende nicht – wie Gesetze oder Verordnungen – gerichtlich ausgelegt werden. Da Richtlinien keine Rechtsnormen sind, unterliegen sie grundsätzlich keiner richterlichen Auslegung und Interpretation. Die gerichtliche Prüfung richtet sich darauf, wie der Richtliniengeber die Richtlinie in ständiger Praxis handhabt und ob bei der Anwendung im Einzelfall eine willkürliche Ungleichbehandlung nach Art. 3 GG vorliegt. Aufgrund des freiwilligen Charakters der Förderung und dem damit weiten Ermessen des Förderungsgebers ist die entsprechende Nachprüfung der Richtlinie in diesem Sinne beschränkt (Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 29. März 2021, W 8 K 20.1386).

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Die von dem Beklagten dargelegte Förderpraxis, den Kreis der Begünstigten wie in Nr. 2 der Richtlinie zu begrenzen, entspricht damit den vom Richtliniengeber festgelegten Modalitäten und genügt auch dem in Art. 3 GG enthaltenen Gebot einer durch sachliche Unterschiede gerechtfertigten Differenzierung zwischen verschiedenen Sachverhalten bei der Förderung. Es ist Sache des Richtliniengebers, dem aufgrund des freiwilligen Charakters der vorliegenden Förderung ein weites Ermessens zusteht, die Modalitäten der Förderung festzulegen, die Richtlinien auszulegen und den Förderungszweck zu bestimmen. Insbesondere unter Berücksichtigung der Zweckbestimmung, das überdurchschnittliche Engagement der Pflegenden sowie in der Pflege Tätigen zu würdigen und anzuerkennen, vermag die Kammer eine Ungleichbehandlung nach Art. 3 GG nicht zu erkennen, wenn der Kreis der Begünstigten auf die beschränkt ist, deren Tätigkeit ganz wesentlich von der Pflege im Sinne des SGB XI bestimmt wird.

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Bei dieser Sachlage war der angefochtene Bescheid nicht zu beanstanden. Die Klage war abzuweisen.

II.

Randnummer33
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG, der nach der ständigen Rechtsprechung der Kammer in Fällen wie diesen Anwendung findet (Beschluss der erkennenden Kammer vom 17. Dezember 2020, S 19 P 136/20; dem zustimmend Schlegle/Voelzke/Klein, juris PK, Kommentar zum SGB XI, § 150 a SGB XI Anmerkung 44.6; Roland Richter, NZS 2021, Seite 368; a.A. Krome, Anmerkung zu VG E-Stadt vom 12. August 2020, ohne nähere Begründung).

Randnummer34
Der Kläger ist zwar mit seiner Klage nicht durchgedrungen. Bei der Kostenverteilung ist indes zu berücksichtigen, dass der angefochtene Bescheid vom 25. August 2020 bis auf die Ausführungen, der Kläger gehöre nach den eingereichten Unterlagen nicht zu dem begünstigten Personenkreis, keine weitere Begründung erhält. Die genaue Ermittlung des Sachverhaltes erfolgte erst in der mündlichen Verhandlung. Dem Rechnung tragend, ist es nicht sachgerecht, dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Beklagten aufzuerlegen.

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Die Kosten für die Anrufung des unzuständigen Verwaltungsgerichts E-Stadt sind trotz § 202 SGG in Verbindung mit § 281 Abs. 3 ZPO in entsprechender Anwendung nicht von dem Kläger zu tragen. Denn der Beklagte hat durch die Rechtsmittelbelehrung im angefochtenen Bescheid die Anrufung des sachlich unzuständigen Verwaltungsgerichts E-Stadt veranlasst.

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Auf anliegende Rechtsmittelbelehrung wird Bezug genommen.

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Da die Wertgrenze des § 144 Abs. 1 SGG nicht erreicht wird und keine wiederkehrenden oder laufenden Leistungen für mehr als ein Jahr streitbefangen sind, ist die Berufung nicht statthaft.

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Gründe, sie zuzulassen, bestehen nicht. Eine grundsätzliche Bedeutung vermag die Kammer bei dem streitigen Coronapflegebonus, der eine einmalige Leistung darstellt, nicht zu erkennen. Denn die Corona-Pflegebonusrichtlinie ist gemäß Nr. 12 bereits am 31. Dezember 2020 außer Kraft getreten.

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