Verwaltungsgericht Düsseldorf, 24 L 1008/21

Mai 20, 2021

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 24 L 1008/21

Tenor:

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 5.000 € festgesetzt.

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G r ü n d e :
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Der Antrag des Antragstellers,
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die aufschiebende Wirkung einer noch zu erhebenden Klage gegen Nr. 1 der Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 04.05.2021 anzuordnen,
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hat keinen Erfolg.
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Im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO entscheidet das Gericht aufgrund einer eigenen Interessenabwägung. Dabei sind das private Aufschubinteresse und das öffentliche Interesse an der Vollziehung des Verwaltungsaktes gegeneinander abzuwägen. Im Rahmen dieser Interessenabwägung können auch Erkenntnisse über die Rechtmäßigkeit und die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes, der vollzogen werden soll, Bedeutung erlangen, wenn aufgrund der gebotenen summarischen Prüfung Erfolg oder Misserfolg des Rechtsbehelfs offensichtlich erscheinen. Ist bei der allein gebotenen summarischen Überprüfung der angegriffene Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig, so ist die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs anzuordnen, weil an einer sofortigen Vollziehung eines offensichtlich rechtswidrigen Verwaltungsaktes kein öffentliches Interesse bestehen kann. Erweist sich hingegen der angefochtene Verwaltungsakt als offensichtlich rechtmäßig, so führt dies in Fällen des gesetzlich angeordneten Entfallens der aufschiebenden Wirkung regelmäßig dazu, dass das öffentliche Interesse an der Vollziehung des Verwaltungsaktes überwiegt. Lässt sich nach der im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotenen summarischen Überprüfung weder die offensichtliche Rechtmäßigkeit noch die offensichtliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes mit der erforderlichen Sicherheit feststellen, so ergeht die Entscheidung aufgrund einer weiteren Interessenabwägung, in der zum einen die Auswirkungen in Bezug auf das öffentliche Interesse in dem Fall, dass dem Antrag stattgegeben wird, der Rechtsbehelf im Hauptsacheverfahren indes erfolglos bleibt, und zum anderen die Auswirkungen auf den Betroffenen für den Fall der Ablehnung eines Antrags und des erfolgreichen Rechtsbehelfs in der Hauptsache gegenüberzustellen sind.
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Von diesen Grundsätzen ausgehend überwiegt das öffentliche Interesse an der Vollziehung von Nr. 1 der Ordnungsverfügung vom 04.05.2021 das private Aufschubinteresse des Antragstellers.
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Es spricht nach summarischer Prüfung Überwiegendes dafür, dass die streitgegenständliche Anordnung rechtmäßig ist.
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Bedenken gegen die formelle Rechtmäßigkeit bestehen nicht. Entgegen der Annahme des Antragstellers dürfte die Antragsgegnerin zum Erlass der streitgegenständlichen Anordnung zuständig sein. Ihre Zuständigkeit folgt aus § 6 Abs. 1 IfSBG i.V.m. §§ 28 Abs. 1, 28a Abs. 1 Nr. 10 IfSG und § 16 Abs. 1 S. 2 CoronaSchVO. Indem § 28a Abs. 1 Nr. 10, Abs. 2 S. 1 Nr. 1 IfSG eine besondere Eingriffsgrundlage auch für Versammlungen im Sinne des Art. 8 GG zur Bekämpfung der Verhinderung der Ausbreitung der Coronavirus-Krankheit -2019 (COVID-19) schafft, dürfte für die Annahme einer Sperrwirkung oder einer Konzentrationswirkung auf die Versammlungsbehörde kein Raum sein.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 23.09.2020 – 13 B 1422/20 –, Rn 9 ff.
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Materielle Bedenken dürften gegen die streitgegenständliche Anordnung nicht bestehen.
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Die von der Antragsgegnerin auf der Grundlage von § 16 Abs. 1 S. 2 CoronaSchVO i.V.m. § 28 Abs. 1 S. 1 und 2, § 28a Abs. 1 Nr.10 IfSG im Ermessenswege verfügte Beschränkung der Versammlung auf höchstens 50 Teilnehmer muss unter Infektionsgesichtspunkten notwendig sein. Unter strikter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, der insbesondere die Beachtung sämtlicher Umstände des Einzelfalls einschließlich des aktuellen Stands des dynamischen und tendenziell volatilen Infektionsgeschehens erforderlich macht, können zum Zweck des Schutzes vor Infektionsgefahren auch versammlungsbeschränkende Maßnahmen ergriffen werden. In Betracht kommen namentlich Auflagen mit der Verpflichtung zur Einhaltung bestimmter Mindestabstände, aber auch Beschränkungen der Teilnehmerzahl, um eine Unterschreitung notwendiger Mindestabstände zu verhindern, zu der es aufgrund der Dynamiken in einer großen Menschenmenge oder des Zuschnitts und Charakters einer Versammlung im Einzelfall selbst dann kommen kann, wenn bezogen auf die erwartete Teilnehmerzahl eine rein rechnerisch hinreichend groß bemessene Versammlungsfläche zur Verfügung steht. Als weitere Regelungen der Modalitäten einer Versammlung kommen etwa ihre Durchführung als ortsfeste Kundgebung anstatt als Aufzug oder die Verlegung an einen aus infektionsschutzrechtlicher Sicht vorzugswürdigen Alternativstandort in Betracht.
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Vgl. BVerfG, Beschluss vom 30. August 2020 – 1 BvQ, juris Rn 16; OVG NRW, Beschluss vom 9. März 2021 – 15 B 339/21 –, juris Rn 6.
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Ausgehend hiervon dürfte die Beschränkung der Teilnehmerzahl nicht zu beanstanden sein.
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Nach § 13 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1b CoronaSchVO ist bei Versammlungen ein Mindestabstand von 1,5 m (Mindestabstand) einzuhalten. Zwar wäre unter Zugrundelegung der Gesamtfläche des Versammlungsortes von 927 m² die maximale Teilnehmerzahl abzüglich einer Sicherheitsmarge auf 208,58 Personen beschränkt. Dies bedeutet allerdings nicht, dass unter Berücksichtigung aller Umstände für diese Teilnehmerzahl die ins Auge gefasste Versammlungsfläche zur Verfügung steht. Die Antragsgegnerin hat in der Antragserwiderung nachvollziehbar dargelegt, dass die Veranstaltungsfläche unmittelbar vor dem E. Hauptbahnhof, einem Verkehrsknotenpunkt der Stadt liegt. Es dürfte mit einem erhöhten Passantenaufkommen an einem Samstag zu der angegebenen Veranstaltungszeit zu rechnen sein. Vor diesem Hintergrund dürften die Erwägungen der Antragsgegnerin hinreichend wahrscheinlich sein, dass es an diesem Verkehrsknotenpunkt zu einer unüberschaubaren Anzahl von Begegnungen mit Passanten kommen könnte, die den Bahnhofsvorplatz frequentieren werden, bei denen der Mindestabstand – entweder zu den Passanten oder zwischen den Versammlungsteilnehmern untereinander – aufgrund der räumlich begrenzten Situation unterschritten werden könnte. Zudem ist nicht auszuschließen, dass es – wie es die Antragsgegnerin dargelegt hat – zu einem Austausch der Teilnehmer mit einer nur wenige Gehminuten entfernt stattfindenden Versammlung kommt.
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Bei der Beurteilung der Erforderlichkeit und Angemessenheit der Anordnung ist schließlich in den Blick zu nehmen, dass die Corona-Pandemie eine ernst zu nehmende Gefahrensituation begründet, die staatliches Einschreiten nicht nur rechtfertigt, sondern im Hinblick auf die Schutzpflicht des Staates für Leib und Gesundheit der Bevölkerung grundsätzlich auch gebietet. Im Gebiet der Antragsgegnerin besteht aufgrund des nicht unerheblichen Überschreitens der 7-Tagefallzahl von 100 pro 100.000 Einwohner Anlass für zusätzliche Maßnahmen zur Verzögerung der Ausbreitungsdynamik und zur Unterbrechung von Infektionsketten, um letztlich wesentliche Funktionen des Gesundheitssystems aufrechtzuerhalten.
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Selbst wenn von der Offenheit des Rechtsstreits in der Hauptsache ausgegangen werden würde, gebietet dies keine andere Interessenabwägung. Eine solche führt ebenfalls zu einem Überwiegen des öffentlichen Interesses an dem Schutz von Leben und Gesundheit der Bevölkerung und der Sicherung des Gesundheitssystems (§ 28 Abs. 3 S. 1 IfSG) gegenüber dem kurzfristigen Eingriff in das Grundrecht der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 GG.
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Bei der Abwägung zwischen dem privaten Aussetzungsinteresse des Antragstellers und dem öffentlichen Vollzugsinteresse sind die Folgen zu betrachten, die einträten, wenn die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes versagt würde, das Verfahren in der Hauptsache hingegen Erfolg hätte. Auf der anderen Seite sind die Nachteile in den Blick zu nehmen, die entstünden, wenn die angegriffene Verfügung außer Vollzug gesetzt würde, die Klage in der Hauptsache aber keinen Erfolg hätte.
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Bei dieser Abwägung ist in Rechnung zu stellen, ob dem Antragsteller unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung eine Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre. Ausgehend hiervon gilt folgendes:
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Auf der einen Seite liegt ein nicht unerheblicher Eingriff in die Versammlungsfreiheit vor. Dieser Eingriff relativiert sich durch den Umstand, dass die Versammlung – wenn auch mit verminderter Teilnehmeranzahl – stattfinden kann. Auf der anderen Seite ist in den Blick zu nehmen, dass bei Aussetzung der Vollziehung der streitgegenständlichen Anordnung nicht auszuschließen ist, dass es – in welchem Umfang auch immer – zu Infektionsfällen durch den zwischenmenschlichen Kontakt kommen kann. Zudem läuft die Aussetzung der Vollziehung angesichts der angespannten Pandemielage dem Gesamtkonzept des „Lockdowns“ (vgl. § 28b IfSG) zuwider, Kontakte auf das absolute Minimum zu beschränken. Bei einer Abwägung des Eingriffs in das Grundrecht der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 GG mit dem Grundrecht behandlungsbedürftiger, teilweise lebensbedrohlich erkrankter Personen aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG setzt sich der Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit durch.
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Ebenso im Ergebnis: OVG NRW, Beschluss vom 30.11.2020 – 13 B 1675/20.NE –, juris, Rn. 70.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO; die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG.
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Rechtsmittelbelehrung:
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(1) Gegen die Entscheidung über den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) schriftlich Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet.
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Die Beschwerde kann auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) eingelegt werden.
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Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist schriftlich oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster oder Postfach 6309, 48033 Münster) eingeht.
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Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster oder Postfach 6309, 48033 Münster) schriftlich oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen. Das Oberverwaltungsgericht prüft nur die dargelegten Gründe.
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Die Beschwerdeschrift und die Beschwerdebegründungsschrift sind durch einen Prozessbevollmächtigten einzureichen. Im Beschwerdeverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die das Verfahren eingeleitet wird. Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, als Bevollmächtigten vertreten lassen. Auf die zusätzlichen Vertretungsmöglichkeiten für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse wird hingewiesen (vgl. § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und § 5 Nr. 6 des Einführungsgesetzes zum Rechtsdienstleistungsgesetz – RDGEG –). Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen unter den dort genannten Voraussetzungen als Bevollmächtigte zugelassen.
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Die Beschwerdeschrift und die Beschwerdebegründungsschrift sollen möglichst dreifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.
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(2) Gegen den Streitwertbeschluss kann schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet, falls ihr nicht abgeholfen wird.
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Die Beschwerde kann auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) oder zu Protokoll der Geschäftsstelle eingelegt werden; § 129a der Zivilprozessordnung gilt entsprechend.
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Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn sie innerhalb von sechs Monaten eingelegt wird, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat; ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
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Die Beschwerde ist nicht gegeben, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,– Euro nicht übersteigt.
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Die Beschwerdeschrift soll möglichst dreifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.
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War der Beschwerdeführer ohne sein Verschulden verhindert, die Frist einzuhalten, ist ihm auf Antrag von dem Gericht, das über die Beschwerde zu entscheiden hat, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er die Beschwerde binnen zwei Wochen nach der Beseitigung des Hindernisses einlegt und die Tatsachen, welche die Wiedereinsetzung begründen, glaubhaft macht. Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist angerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden.

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