VG Aachen, Urteil vom 27.09.2013 – 2 K 81/11

Juni 3, 2020

VG Aachen, Urteil vom 27.09.2013 – 2 K 81/11

Die Umwandlung eines vor dem Hilfezeitraum angefallenen Erbes in Form von Sachvermögen in Geldvermögen während des Bedarfszeitraums erlaubt nicht dessen Behandlung als Einkommen im Sinne des § 93 Abs. 1 SGB VIII.

Erstattungszahlungen der privaten Krankenkassen sind kein Einkommen im Sinne des § 93 Abs. 1 SGB VIII.
Tenor

Der Kostenbeitragsbescheid der Beklagten vom 15. Dezember 2010 wird aufgehoben, soweit der dort festgesetzte Kostenbeitrag den Betrag von 14.192,80 € übersteigt. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Klägerin trägt 1/3 die Beklagte 2/3 der Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungs-gläubiger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand

Die Klägerin wendet sich mit der Klage gegen die Heranziehung zu einem auf Vorschriften des Jugendhilferechts gestützten Kostenbeitrag für das Kalenderjahr 2007 in Höhe von 37.466,16 €.

Die am 7. April 2002 geborene Klägerin ist die Tochter der Eheleute C. , die am 24. April 2006 infolge eines schweren Verkehrsunfalls verstorben sind. Die Klägerin ist ausweislich des ausgestellten Erbscheins mit ihrem 2 ½ Jahre jüngeren Bruder G. , der Kläger des Verfahrens 2 K 80/11, jeweils zu ½ Erbe der verstorbenen Eltern. Nach dem Tod der Eltern lebten die Kinder zunächst im Haushalt der Großeltern mütterlicherseits. Seit dem 9. Oktober 2006 haben sie im Rahmen einer von der Beklagten getroffenen Maßnahme der Hilfe zur Erziehung (§ 27, 34 SGB VIII) ihren Lebensmittelpunkt in einer sozialpädagogischen Lebensgemeinschaft in C1. . Die dem Jugendamt der Beklagten vom Leistungserbringer für die erbrachten Hilfeleistungen in Rechnung gestellten monatlichen Kosten beliefen sich im Jahr 2007 auf jeweils ca. 3.800 €. Die Gesamtkosten der Jugendhilfeleistungen für die Klägerin im Kalenderjahr 2007 beziffern sich auf 45.651,36 €. Das Jugendamt vereinnahmte zur Kostendeckung seit Hilfebeginn das Kindergeld und die Waisenrente der Klägerin, deren Auszahlungsbeträge sich im Jahr 2007 auf insgesamt 8.185,20 € summierten.

Der überwiegende Teil der nach dem Tod der Eltern zu Gunsten der Klägerin und ihres Bruders gezahlten Leistungen (z.B. Unfallversicherungen, Lebensversicherungen etc.) sind im Kalenderjahr 2006 an die Erbengemeinschaft geflossen, für das von der Beklagten kein Kostenbetrag gefordert wird.

Mit Schreiben vom 6. November 2006 zeigte die Beklagte der Prozessbevollmächtigten der Klägerin, die am 5 Mai 2006 vom Amtsgericht B. zum Vormund der beiden Geschwister bestellt worden war, an, dass die Kinder aus ihrem Einkommen zu den Kosten der Hilfe zur Erziehung einen Kostenbeitrag zu leisten hätten und bat um Darlegung der entsprechenden Einkommens- und Vermögensverhältnisse.

Zum Erbe der Kinder gehörte u.a. das Haus- und Grundvermögen der verstorbenen Eltern, das mit notariellem Vertrag vom 16. August 2007 (Notar Dr. T. UR. Nr. 0 für 0 S) zum Kaufpreis von 315.000 € veräußert wurde. Jeweils die Hälfte dieses im Oktober 2007 ausgezahlten Betrages – also 157.500 € – wurde der Klägerin und ihrem Bruder zugeordnet.

Für das Kalenderjahr 2005 setzte das Finanzamt B. -Außenstadt mit Bescheid vom 28. Dezember 2006 die Einkommenssteuer und den Solidaritätsbetrag der verstorbenen Eltern der Klägerin für das Jahr 2005 fest und ermittelte einen Erstattungsbetrag der Erben in Höhe von 3.811,15 €, der der Erbengemeinschaft am 11. Januar 2007 zufloss. Für das Kalenderjahr 2006 setzte das Finanzamt B. -Außenstadt mit Bescheid vom 6. September 2007 die Einkommenssteuer und den Solidaritätsbetrag der verstorbenen Eltern der Klägerin fest und ermittelte einen an die Erben zu zahlenden Erstattungsbetrag in Höhe von 4.550,31 €, der im gleichen Monat dem Konto der Erbengemeinschaft gutgeschrieben wurde.

Ausweislich eines Schreibens des Zeitungsverlags B. vom 8. März 2007 standen der Klägerin und ihrem Bruder als Erben des früheren Mitarbeiters laut Tarifvertrag Hinterbliebenenbezüge in Höhe von fünf Monatsgehältern zu, was sich hier auf einen Betrag von insgesamt 22.000 € brutto summierte. Jedes Kind habe dann einen Anspruch von 11.000 €, der zur Auszahlung gebracht werde, sobald für jedes Kind eine Lohnsteuerkarte für 2007 vorgelegt werde. Der am 26. März 2007 dem Girokonto unter dem Stichwort „Hinterbliebenrente“ gutgeschriebene Betrag belief sich auf 10.819,09 €.

Der verstorbene Vater der Klägerin war ferner Inhaber einer stillen Beteiligung bei seinem früheren Arbeitgeber, deren Gesamtbetrag sich nach der Abrechnung vom 21. Juni 2007 auf 10.080,32 € belief. Die Hälfte dieses Betrages wurde der Klägerin zugeordnet und ging am 27. Juni 2007 auf dem Girokonto ein.

Der Vormund legte schließlich im Mai 2010 Buchungsblätter für die Jahre 2006 und 2007 vor, aus denen sich die stichtagsgenauen Zahlungseingänge (Erlöse etwa aus dem Hausverkauf, Steuererstattungen, Versicherungsleistungen usw.) ersehen ließ.

Nach deren Auswertung kam die Beklagte in einer ersten hausinternen Berechnung vom 21. Juni 2010 zum Ergebnis, dass unter Berücksichtigung von Kapitalerträgen, diversen Zinsgutschriften und Einnahmen aus der Unfallversicherung bei der Klägerin für das Kalenderjahr 2007 ein Einkommen von 8.799,23 € in Ansatz zu bringen sei. Nach Abzug der Pauschale nach § 93 Abs. 3 Satz 3 SGB VIII in Höhe von 25 % könne von der Klägerin ein Kostenbeitrag in Höhe von 6.599,43 € gefordert werden. Die Angelegenheit wurde wegen der Besonderheiten dieses Falles zur Überprüfung an das Rechtsamt weiter geleitet. In seiner Stellungnahme kam das Rechtsamt zum Ergebnis, dass die im Jahr 2007 auf dem Girokonto der Erbengemeinschaft eingegangenen Einkünfte und Vermögensbeträge, insbesondere der Erlös aus dem Hausverkauf, jeweils zur Hälfte als Einkommen zu berücksichtigen seien. Im Übrigen wurde angeregt, die Einkünfte auf dem Girokonto jeweils nach der vom Vormund für das Kalenderjahr 2007 vorgelegten Rechnungslegung in die Einkommensermittlung einzubeziehen.

Diese Hinweise setzte das Jugendamt der Beklagten im Kostenbeitragsbescheid vom 15. Dezember 2010, zugestellt am 20. Dezember 2010, um. Unter Berücksichtigung von Kapitalerträgen in Höhe von 4.047.12 €, Einnahmen auf dem Girokonto der Erbengemeinschaft in Höhe von 175.558,48 €, Einnahmen auf dem Girokonto der Klägerin in Höhe von 21.514,86 €, Sparbuchzinsen 2007 in Höhe von 7,58 € sowie Einnahmen aus der Unfallversicherung in Höhe von 697,41€ ermittelte die Beklagte im Jahr 2007 Einkünfte der Klägerin in Höhe von insgesamt 201.825,45 €. Nach dem Abzug der 25 %-Pauschale (= 50.456,36 €) verblieb ein möglicher Jahreskostenbeitrag bis zur Höhe von 151.369,08 €. Im Hinblick auf die tatsächlichen Kosten der für die Klägerin 2007 geleisteten Jugendhilfe von 45.651,36 € und unter Berücksichtigung des vereinnahmten Kindergelds und der Waisenrente in Höhe von 8.185,20 € wurde schließlich für das Kalenderjahr 2007 ein Kostenbeitrag in Höhe von 37.466,16 € festgesetzt.

Die Klägerin hat am 19. Januar 2011 Klage erhoben. Sie ist der Auffassung, dass der Beklagte zu Unrecht den auf sie entfallenden Erlös aus dem Hausverkauf in Höhe von 157.500 € als Einkommen in Ansatz gebracht hat. Vielmehr sei das Haus als Vermögen ihr und dem Bruder als Erben am Todestag der Eltern zugewachsen. Selbst wenn man die Auffassung vertreten würde, es sei im Monat des Zuflusses Einkommen gewesen, so wäre es nach jugendhilferechtlichen Grundsätzen in dem auf den Eingang folgenden Monat – in jedem Fall vor dem Beginn des Kalenderjahres 2007 – Vermögen geworden. Das Vermögen sei damals in Form von Haus- und Grundbesitz angefallen; durch den Verkauf sei das Sachvermögen in Geldvermögen nicht aber in für einen Kostenbeitrag einzusetzendes Einkommen umgewandelt worden. Das gleiche gelte hinsichtlich für den Verkaufserlös für Nachlassgegenstände in Höhe von 3.606,00 € (Deckenlampen 150,00 €; Übernahme Hausrat Angehörige 3.456,00 €). Der Vermögensbegriff umfasse auch Forderungen; dazu gehörten anlässlich des Todes entstandenen Auszahlungs- und Rückerstattungsansprüche gegen die Krankenkasse, die Stadtkasse, die Bausparkasse, die Hausratversicherung, das Energieversorgungsunternehmen sowie das Finanzamt. Gleichfalls zum Vermögen gehöre auch der Zahlungsanspruch der zeitlich befristeten Hinterbliebenenbezüge gegen den Arbeitgeber des verstorbenen Vaters. Die Erstattungsleistungen der Krankenkasse seien nicht als Einkommen im Rechtssinne zu werten, da mit ihnen ärztliche Rechnungen bezahlt oder entsprechende Vorschüsse aus dem eigenen Vermögen erstattet würden. Ihre Gesamteinkünfte für 2007 setzten sich aus Kapitalerträge in Höhe von 4.047,12 €, Einnahmen auf dem Girokonto der Erbengemeinschaft in Höhe von 161,92 €, Sparbuchzinsen 2007 über 7,58 € sowie Einnahmen der Unfallversicherung in Höhe von 697,41 € zusammen und beliefen sich insgesamt auf 4.914,03 €: Nach Abzug der 25%-Pauschale (= 1.228,51 €), sei sie bereit, einen Kostenbeitrag in Höhe von 3.685,52 € zu zahlen.

Der Kläger beantragt

den Kostenbeitragsbescheid der Beklagten vom 15. Dezember 2010 aufzuheben, soweit der geforderte Kostenbeitrag den Betrag von 3.685,52 € übersteigt.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Bescheid für rechtmäßig. Sie ist insbesondere der Auffassung, dass der Erlös aus dem Hausverkauf im Jahr 2007 als Einkommen im Sinne des § 93 SGB VIII anzusehen sei. Nach der sozialhilferechtlichen Abgrenzung von Einkommen und Vermögen komme es darauf an, wann der Klägerin die maßgebliche Einnahme in Geld- oder Geldeswert im Sinne eines tatsächlichen Zuflusses zur Verfügung gestanden habe. Zum Zeitpunkt des Todes der Eltern hätte den Kindern die Erbanteile und die hieraus resultierenden Geldforderungen nur abstrakt, nicht aber zur Verwertung zur Verfügung gestanden. Ein tatsächlicher Zufluss sei erst nach Eingang des Verkaufserlöses im Jahr 2007 erfolgt. Gleichermaßen seien die Aus- und Rückzahlungsansprüche gegen Krankenkasse, Bausparkasse, Stadtkasse, den Arbeitgeber des verstorbenen Vaters, den örtlichen Energieversorger sowie das Finanzamt erst im Jahr nach Beginn der Jugendhilfe zugeflossen und dementsprechend bei der Heranziehung zu einem Kostenbeitrag als Einkommen zu berücksichtigen.

Wegen des Sach‑ und Streitstandes im Übrigen wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten sowie die von den Beteiligten im Klageverfahren überreichten weiteren Unterlagen Bezug genommen.
Gründe

Die Klage ist zulässig und ist teilweise, nämlich in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang auch begründet. Soweit der Kostenbeitragsbescheid vom 15. Dezember 2010 für das Kalenderjahr 2007 einen höheren Kostenbeitrag als 14.192,80 € festsetzt, ist er rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.

Rechtsgrundlage für die Heranziehung der Klägerin zu einem Kostenbeitrag ist § 92 Abs. 1 Nr. 1 SGB VIII in Verbindung mit § 91 Abs. 1 Nr. 5b SGB VIII. Danach sind Kinder zu den Kosten der Hilfe der Erziehung in Form einer sonstigen betreuten Wohnform aus ihrem Einkommen heranzuziehen. Die Heranziehung erfolgt durch die Erhebung eines Kostenbeitrags, der durch Leistungsbescheid festgesetzt wird. Der Umfang der Heranziehung für junge Menschen bestimmt sich nach § 94 Abs. 6 SGB VIII – für das Kalenderjahr 2007 noch anzuwenden in der Fassung des Art. I Nr. 49 des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe (Kinder- und Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetz – KICK) -. Danach haben junge Menschen ihr Einkommen nach den Abzügen des § 93 SGB VIII in vollem Umfang als Kostenbeitrag einzusetzen. Schließlich ist zu prüfen, ob ein besonderer Einzelfall oder eine Härte vorliegen, die es rechtfertigen ganz oder teilweise von der Heranziehung zum Kostenbeitrag abzusehen ist (vgl. § 92 Abs. 5 SGB VIII).

Unter Berücksichtigung dieser gesetzlichen Vorgaben gehört die 2002 geborene Klägerin im Kalenderjahr 2007 zu der Gruppe der „jungen Menschen“ im Sinne der Begriffsdefinition des § 7 Abs. 1 Nr. 4 SGB VIII, die nach Maßgabe des § 94 Abs. 6 SGB VIII (KICK) ihr Einkommen als Kostenbeitrag einzusetzen haben. Denn die Bezeichnung „junger Mensch“ umfasst als Oberbegriff die Altersgruppen der Kinder, Jugendlichen und junge Volljährigen, die das 27. Lebensjahr noch nicht vollendet haben.

Die Heranziehung der Klägerin zu einem Kostenbeitrag ist – soweit dieser eine Höhe von 13.993,74 übersteigt – rechtswidrig, weil die Beklagte im Rahmen ihrer Ermittlungen für das Kalenderjahr Vermögen der Klägerin als Einkommen behandelt hat. Ein Kostenbeitrag aus dem Vermögen war nach der 2007 geltenden Fassung des § 93 Abs. 6 Satz 2 SGB VIII (KICK) – neben dem Einkommen – nur von jungen Volljährigen und volljährigen Leistungsberechtigten nach § 19 SGB VIII zu fordern. Zu beiden Gruppen gehört die Klägerin nicht. Nur durch diese fehlerhafte Bewertung konnte die Beklagte im angefochtenen Bescheid vom 15. Dezember 2010 für das Kalenderjahr 2007 von einem unbereinigten Gesamteinkommen der Klägerin von 201.359,46 € statt von 18.658,32 € ausgehen.

In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist mittlerweile geklärt, wie das für die Beitragserhebung maßgebliche Einkommen im Sinne des § 93 Abs. 1 SGB VIII zu ermitteln und das Vermögen vom Einkommen zu unterscheiden ist.

Vgl. insbes. Urteil vom 11. Oktober 2012 – 5 C 22.11 -, BVerwGE 144, 313 ff. = NJW 2013, 629 ff.; Urteil vom 19. März 2013 – 5 C 16.12 -, NJW 2013, 1832 ff.

Danach ist davon auszugehen, dass das Einkommen im Jugendhilferecht grundsätzlich nach den im Sozialhilferecht geltenden Prinzipien zu ermitteln ist. Denn die Definition des Einkommens in § 93 Abs. 1 SGB VIII ist erkennbar der im Sozialhilferecht (vgl. § 82 Abs. 1 SGB XII) nachgebildet. Dabei hat das Bundesverwaltungsgericht darauf hingewiesen, dass dem Gesetzgeber ausweislich der Gesetzesmaterialien zwar ein eigenständiger jugendhilferechtlicher Einkommensbegriff vorschwebte und er deshalb im Gesetzgebungsverfahren die ursprünglich vorgesehene Verweisung auf die Verordnung zur Durchführung des § 82 SGB XII gestrichen hat. Er hat aber zugleich im SGB VIII eine Reihe bedeutsamer Fragen der Einkommensermittlung ungeregelt gelassen. Dies hat zum einen zur Folge, dass die im Sozialhilferecht geltenden Berechnungsvorschriften bzgl. des Einkommens nicht lückenlos übernommen werden können sondern nur sinngemäß Anwendung finden, wenn im Jugendhilferecht insoweit eine Regelungslücke besteht. Zum andern muss die entsprechende Anwendung dem gesetzgeberischen Ziel einer einfachen und schnellen Einkommensermittlung Rechnung tragen. In diesem Rahmen hat die höchstrichterliche Rechtsprechung die Anwendbarkeit der im Sozialhilferecht entwickelten Zuflusstheorie im jugendhilferechtlichen Kostenbeitragsrecht bejaht. Danach gehört zum anrechenbaren Einkommen alles, was jemand in dem maßgeblichen Bedarfs- oder Hilfezeitraum dazu erhält. Nicht anrechenbares Vermögen ist dagegen das, was er in der Bedarfs- oder Hilfezeit bereits hat. Die Bedarfs- oder Hilfezeit wird im Jugendhilferecht grundsätzlich durch den Hilfebescheid bestimmt. Das Jugendamt hat insoweit einen gewissen Gestaltungsspielraum. Die Beklagte hat hier in dem angefochtenen Kostenbeitragsbescheid den Hilfe- oder Bedarfszeitraum auf das Kalenderjahr 2007 bestimmt, was rechtlich nicht zu beanstanden ist. Zum Einkommen im beschriebenen Sinne gehört nicht nur der Lohn aus nichtselbständiger Tätigkeit oder der Gewinn des Unternehmers aus gewerblicher Tätigkeit. Dazu gehören auch Einkünfte aus anderen Einkommenssteuerarten (z.B. Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung oder Einkünfte aus Land- oder Forstwirtschaft), nicht steuerpflichtige Einnahmen (insbes. Einkommenssteuererstattungen oder Aufwandsentschädigungen für ehrenamtliche Tätigkeit) und Zuflüsse aus Sozialleistungen soweit ihre Berücksichtigung nicht durch § 93 Abs. 1 Satz 3 und 4 SGB VIII ausgeschlossen ist. Auch Erbschaften sind grundsätzlich Einkommen in diesem Sinne, wenn sie im Bedarfszeitraum anfallen.

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe können die anteiligen Einnahmen der Klägerin aus dem Hausverkauf, des Verkaufs des Hausrats sowie der Auszahlung der stillen Teilhaberschaft am Zeitungsverlag im hier maßgeblichen Hilfezeitraum 2007 nicht als Einkommen der Klägerin bewertet werden, denn dieses Vermögen ist der Klägerin und ihrem Bruder als gesetzlichen Erben erster Ordnung am 24. April 2006, dem Todestag ihrer Eltern, zugeflossen. Die genannten drei Positionen waren somit während des gesamten hier maßgeblichen Hilfezeitraums (1.1.2007 bis 31.12.2007) schon vorhanden und somit Vermögen im Rechtssinne.

Nach den Regeln des Erbrechts (vgl. § 1922 Abs. 1 BGB) geht mit dem Tode einer Person (dem Erbfall) deren Vermögen als Ganzes auf eine oder mehrere andere Personen (hier die aus der Klägerin und ihres Bruders bestehende Erbengemeinschaft) über. Diese erwerben damit die Erbschaft in diesem Zeitpunkt ohne jegliche Mitwirkung, selbst ohne ihr Wissen und ggflls. sogar gegen ihren Willen. Die Erbschaft geht somit zum Todeszeitpunkt auf den berufenen Erben unbeschadet des (zeitlich befristet ausübbaren) Rechts über, sie auszuschlagen (vgl. § 1942 BGB), wovon die Klägerin und ihr Bruder hier keinen Gebrauch gemacht haben. Eine von den erbrechtlichen Grundregeln abweichende testamentarische Regelung durch die Erblasser ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Der Haus- und Grundbesitz, der Hausrat und die stille Teilhaberschaft sind somit am 24. April 2006 der Klägerin und ihrem Bruder zugeflossen. Es kann im Rahmen des vorliegenden Streitverfahrens dahinstehen, was von dieser Erbschaft im Jahr der Aufnahme der Hilfe 2006 ab welchem Zeitpunkt als Einkommen und ab wann als Vermögen des Klägers zu bewerten war; im Hilfezeitraum 2007 handelte es sich jedenfalls bei den obengenannten Teilen der Erbschaft um Vermögen.

Auch die Umwandlung dieses Vermögen in Geldvermögen im Laufe des Kalenderjahres 2007 gibt zu keiner abweichenden Bewertung Anlass. Denn das Geldvermögen ist den Erben „nicht zusätzlich zugeflossen“, sondern das vorhandene (Sach-) Vermögen bzw. die entsprechenden Geschäftsanteile wurden lediglich in Geldvermögen umgewandelt. Das seit dem KICK geltende jugendhilferechtliche Kostenbeitragsrecht unterscheidet hinsichtlich des Vermögensschutzes nicht nach den verschiedenen Vermögensarten sondern gewährt (mit Ausnahme der oben genannten in § 94 Abs. 6 Satz 2 SGB VIII KICK vorgesehenen Fällen) allen Vermögensarten umfassenden Schutz vor einer Einsetzung.

Möglicherweise hat sich die Beklagte bei ihrer Annahme, es handle sich um „Einkommen“ im Rechtssinne, insoweit von den Regelungen über den Vermögensschutz des Sozialhilferechts beeinflussen lassen. Dort ist nämlich abweichend vom Regelwerk des Jugendhilferechts nach § 90 Abs. 1 SGB XII das gesamte verwertbare Vermögen vor der Beanspruchung von Sozialhilfe einzusetzen. In § 90 Abs. 2 SGB XII ist dann in 9 Fallgruppen aufgeführt, inwieweit bestimmte Vermögensarten und in welchem Umfang vor der Verwertung geschützt sind. Dabei ist das Geldvermögen (vgl. § 90 Abs. 2 Zif.9 SGB VIII) in erheblich geringerem Umfang geschützt als etwa das angemessene Hausgrundstück (§ 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII) oder der angemessene Hausrat (§ 90 Abs. 2 Nr. 4 SGB XII). Wird im Sozialhilferecht das geschützte Sachvermögen in Geldvermögen umgewandelt, kann unter weiteren hier nicht zu vertiefenden Voraussetzungen der Vermögensschutz auf den in § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII gezogenen Rahmen beschränkt werden. All dies ist – wie dargelegt – für den ausdrücklich geregelten Vermögensschutz im Rahmen des jugendhilferechtlichen Kostenbeitragsrechts ohne Bedeutung. Für eine Anwendung der sozialhilferechtlichen Vorschriften über den eingeschränkten Vermögensschutz fehlt es angesichts des klaren Wortlauts des § 94 Abs. 6 Satz 2 SGB VIII (KICK) schon an einer durch Rückgriff auf das Sozialhilferecht zu schließende Regelungslücke.

Auch die weitere vom Beklagten zur Begründung seiner Auffassung herangezogene Erwägung, erst durch die Umwandlung in Geldvermögen sei die Erbschaft für den Kläger als Erben „als Einkommen verwertbar“ geworden, vermag zur hier streitigen Abgrenzungsfrage Vermögen oder Einkommen nichts beizutragen. Die Frage der Verwertbarkeit ist auch im Sozialhilferecht kein Kriterium einer solchen Abgrenzung, sondern diese Fragestellung tritt erst auf, wenn die Abgrenzung Einkommen und Vermögen schon erfolgt ist. Nach einer Zuordnung als Vermögen bestimmt dann § 90 Abs. 1 SGB XII als Grundsatz, dass das gesamte verwertbare Vermögen (vor dem Hilfebezug) einzusetzen ist; § 90 Abs. 2 benennt dann die Ausnahmen des nicht zu verwertenden Vermögens. Schließlich räumt § 91 SGB XII dem Sozialhilfeträger die Möglichkeit ein, trotz vorhandenem, aber aktuell – aus welchen Gründen auch immer – nicht zu realisierendem Vermögen dem Hilfe Suchenden darlehensweise Hilfe gewähren zu können. Eine solche Problematik ist dem umfassenden Vermögensschutz des Jugendhilferechts unbekannt; diese Auffassung wird auch dadurch bestätigt, dass nach geltender Rechtslage die Bewilligung von Jugendhilfe völlig unabhängig von einem etwaig zu realisierenden Kostenbeitrag ist.

Als Einkommen der Klägerin im Sinne des § 93 Abs. 1 SGB VIII, sind ferner nicht zu berücksichtigen, die im Jahr 2007 auf dem Girokonto der Klägerin eingegangen Leistungen der Unfallversicherung in Höhe von 9.485,52 € und die Leistungsabrechnung der privaten Krankenkasse in Höhe von 841,56 €. Zwar handelt es sich dabei weder um Geldleistungen, die dem gleichen Zweck wie die jeweilige Jugendhilfe dienen, noch um Leistungen, die auf Grund öffentlichrechtlicher Vorschriften zu einem ausdrücklichen benannten Zweck erbracht werden (im Jahr 2007 § 93 Abs. 1 Satz 2 und 3 SGB VIII). Dennoch finden nach Auffassung des Gerichts die Grundsätze der letztgenannten Vorschrift entsprechende Anwendung. Die Leistungen der Unfallversicherung sind nicht zur Abdeckung des Bedarfs der allgemeinen Lebensführung zur Verfügung gestellt, sondern betreffen nach dem zu den Verwaltungsvorgängen der Beklagten genommenen Schreiben der Sparkasse direkt Versicherung vom 13. August 2007 die Bestattungs- und Grabherrichtungskosten (ohne Grabpflegekosten) für die Eltern der Klägerin. Anders als bei den Wiederherstellungskosten eines Fahrzeugs nach einem Unfall, bei der der Halter frei ist, ob er das Geld für die Reparatur oder für andere Zwecke einsetzt, richtete sich hier die Höhe der Erstattung nach den tatsächlichen Bestattungskosten. Auch die mit der Leistungsabrechnung der F. gezahlten Beträge sind nicht für die allgemeine Lebensführung vorgesehen, sondern dienen der Begleichung der Kosten in Anspruch genommener ärztlicher Hilfe. Der Umstand, dass die gesetzliche Krankenkasse diese Erstattungsleistungen unmittelbar dem Arzt anweist und sie schon deshalb nicht als Einkommen des Patienten auftauchen können, während der Privatversicherte in die Abrechnung von Krankenkasse und Arzt zwischengeschaltet ist, kann nicht dazu führen, die Erstattungsleistungen der privaten Krankenkasse als zweckfreies anrechenbares Einkommen bei der Ermittlung eines Kostenbeitrags zu bewerten.

Soweit die Klage sich gegen einen Kostenbeitrag in Höhe von 14.192,80 € wendet, ist sie unbegründet. Die Einwendungen der Klägerin gegen die Qualifizierung der übrigen aus den Akten ersichtlichen Zahlungsvorgänge als Einkommen im Sinne des § 93 Abs.1 SGB VIII überzeugen nicht.

So sind als Einkünfte zu berücksichtigen die nach dem Schreiben des Zeitungsverlags B. vom 8. März 2007 der Klägerin und ihres Bruders als Erben des Vaters und früheren Mitarbeiters laut Tarifvertrag zustehenden Hinterbliebenenbezüge in Höhe von fünf Monatsgehältern. Dieser Anspruch kann nicht als ein vom Vater im Jahr 2006 ererbtes Vermögen qualifiziert werden. Zwar knüpft dieser Rentenanspruch an den Tod des Vaters an; es handelt sich aber um einen eigenständigen Anspruch der hinterbliebenen Familienmitglieder (also der Klägerin und ihres Bruders), der im Bedarfszeitraum 2007 bewilligt und ausgezahlt wurde. Solche Entgeltersatzleistungen sind auch dann Einkommen, wenn sie zwar für eine Zeit vor dem Bedarfszeitraum (hier im Anschluss an den Sterbemonat des Vaters) gedacht sind, tatsächlich aber – wie hier – erst im Bedarfszeitraum zufließen. Der am 26. März 2007 dem Girokonto unter dem Stichwort „Hinterbliebenrente“ gutgeschriebene Betrag, der sich auf 10.819,09 € belief, wovon die Hälfte (5.409,54 €) auf die Klägerin entfällt, ist deshalb bei der Einkommensermittlung nach § 93 Abs. 1 SGB VIII als Einkommen in Ansatz zu bringen.

Gleiches gilt für die Steuererstattungen für die Jahre 2005 und 2006. Wie oben bereits ausgeführt, gehören nicht nur der Lohn oder der Gewinn des Unternehmers aus gewerblicher Tätigkeit zum Einkommen. Dazu gehören auch nicht steuerpflichtige Einnahmen, insbesondere Einkommenssteuererstattungen. Zwar setzte für das Kalenderjahr 2005 das Finanzamt B. -Außenstadt mit Bescheid vom 28. Dezember 2006 die Einkommenssteuer und den Solidaritätsbetrag der verstorbenen Eltern der Klägerin für das Jahr 2005 fest und ermittelte einen Erstattungsbetrag der Erben in Höhe von 3.811,15 €: Der Zufluss dieses Geldes auf dem Konto der Erbengemeinschaft erfolgte aber erst zum 11. Januar 2007 und somit im Hilfe- oder Bedarfszeitraum. Für das Kalenderjahr 2006 setzte das Finanzamt B. -Außenstadt mit Bescheid vom 6. September 2007 die Einkommenssteuer und den Solidaritätsbetrag der verstorbenen Eltern der Klägerin fest und ermittelte einen an die Erben zu zahlenden Erstattungsbetrag in Höhe von 4.550,31 €, der im gleichen Monat dem Konto der Erbengemeinschaft gutgeschrieben wurde und jeweils zur Hälfte auf die Klägerin entfällt. Für das Jahr 2005 bedeutet dies einen der Klägerin zu zurechnenden Betrag von 1.905,57 € und für das Jahr 2006 von 2.275,15 €. Ebenfalls als Einkommen sind die im Jahr 2007 erfolgte hälftige Rückzahlung der Vorschüsse des örtlichen Energieversorgungsunternehmens STAWG in Höhe von 343,48 €, die Rückzahlung überzahlter Grundbesitzabgaben in Höhe von 1,37 € sowie die Beitragserstattung der privaten Krankenkasse F. in Höhe von 175,11 € zu qualifizieren. Diese Auszahlungsansprüche waren nicht schon zum Zeitpunkt des Erbfalls vorhanden, sondern wurden erst später festgestellt und ausgezahlt. Auch die von der E. am 7. Dezember 2007 ausgezahlte Wohnungsbauprämie ist zur Hälfte (45,05 €) als Einkommen der Klägerin in Ansatz zu bringen wie der 2007 ausgekehrte hälftige Erstattungsbetrag der Hausratversicherung (93,27 €). Einkommen ist schließlich die Auszahlung eines Darlehens der E. am 10. September 2009 in Höhe von 575,05 €. Als Einkommen zu bewerten, sind schließlich auch die im Kalenderjahr 2007 angefallenen Zinseinkünfte der Klägerin, die sich nach den zu den Verwaltungsvorgängen der Beklagten genommenen Unterlagen auf 1.340,46 €, 2.706,66 €, und auf 4.047,12 € belaufen.

Die Summe der genannten zu berücksichtigenden Einkünfte der Klägerin ergibt somit einen Betrag von 18.923,73 €. Nach Abzug der 25% Pauschale nach § 93 Abs. 3 Satz 3 SGB VIII (= 4.730,93 €) verbleibt somit ein von der Klägerin zu leistender Kostenbeitrag in Höhe von 14.192,80 €. Auch unter Berücksichtigung des vereinnahmten Kindergeldes und der Waisenrente in Höhe von insgesamt 8.185,20 € wird mit dem ermittelten Kostenbeitrag die Obergrenze der im Jugendhilfefall K. C. erbrachten Jugendhilfeleistungen im Jahr 2007 von 45.651,36 € nicht erreicht oder gar überschritten. Anhaltspunkte für eine besondere Härte im Sinne des § 92 Abs. 5 SGB VIII sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 155 Abs. 1 Satz 1, 188 Satz 2 VwGO. Die im Tenor ausgesprochene Kostenquotelung berücksichtigt das jeweilige Obsiegen der Beteiligten. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO in Verbindung mit den §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung.

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