VG Arnsberg, Urteil vom 17.08.2017 – 6 K 2898/16

Februar 8, 2021

VG Arnsberg, Urteil vom 17.08.2017 – 6 K 2898/16

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand

Die Klägerin betreibt die Klinik T. – Orthopädische Fachklinik für medizinische Rehabilitation, Anschlussrehabilitation und -heilbehandlung in C. X. . Sie wendet sich gegen eine aufgrund der Verordnung über die Hygiene und Infektionsprävention in medizinischen Einrichtungen – im Folgenden kurz: Hygienemedizinverordnung (HygMedVO) – ergangene Ordnungsverfügung.

Die Klägerin beschäftigt in ihrer Klinik mit 159 Betten unter anderem einen Krankenhaushygieniker (Dr. W. ) und hat die Firma „I. “ mit der Betreuung der Klinik bezüglich der Krankenhaushygiene beauftragt. Sie behandelt laut Internetauftritt der Klägerin Patienten mit den Hauptindikationen „degenerative rheumatische Erkrankungen (orthopädische Erkrankungen)“, „entzündlich rheumatische Erkrankungen“, „Unfall- und Verletzungsfolgen“ sowie mit den Nebenindikationen „Krankheiten des Herzens und des Kreislaufs“, „Gefäß- und Venenerkrankungen“, „Stoffwechselerkrankungen“ und „Krankheiten der Atmungsorgane“. Zu ihrem Leistungsspektrum gehören unter anderem Behandlungsschwerpunkte im Bereich der Orthopädie, namentlich die Nachversorgung von Operationen an Knochen, Gelenken und Weichteilen der Extremitäten, von operativen Eingriffen an der Wirbelsäule sowie von Amputationen von Extremitäten.

Am 26. April 2016 erfolgte eine Begehung der Klinik durch das Gesundheitsamt des Beklagten. Die Klägerin erklärte sich in deren Verlauf bereit, eine Risikobewertung durchführen zu lassen. In dem Begehungsbericht vom 2. Mai 2016 forderte das Gesundheitsamt des Beklagten die Klägerin mit Fristsetzung bis zum 7. Juni 2016 unter anderem dazu auf, bis zum 20. Mai 2016 den Arbeitsvertrag der für sie zuständigen Hygienefachkraft zu übersenden.

Am 10. Juni 2016 übersandte Dr. W. im Auftrag der Laborbetriebsgesellschaft Dr. E. -L. und Dr. L1. GmbH eine Gefährdungsbeurteilung (Risikobewertung) an die Klägerin, in der er unter anderem ausführte: „Vergleichbare Tätigkeiten wie in einem Akutkrankenhaus konnten nicht eruiert werden, lediglich das Wundmanagement sollte in Ihrer Einrichtung fokussiert werden“, sowie „der Raum 8 (ist) als Multifunktionsraum mit inkludierter Wundversorgung nicht geeignet.“ Unter der Überschrift „Charakteristika/Häufigkeit“ benannte er „Wundwechsel: Individuell (ca 10 tgl.)“ sowie „Wunden: Post OP Wunden“. Unter der Rubrik Risikoeinstufung stufte er das Risiko hinsichtlich „Verbandwechsel, Wunden“ und „Wunden“ als „mittel“ ein. Als Umsetzungserfordernisse benannte er unter anderem: „Krankenhaushygieniker: 1x jährl. Teilnahme HygKom, jährl. Bewertung der Risikoeinstufung, Bedarfsberatung“ sowie „HFK: richtet sich nach Bedarf, der vorliegende Vertrag / Std.Kontingent ist als ausreichend zu bewerten, die Infektionsstatistik wird hausintern geführt“.

Am 20. Juni 2016 ordnete die Landrätin des Beklagten gegenüber der Klägerin an, bis zum 11. Juli 2016 einen Arbeitsvertrag oder den Nachweis des ernsthaften Bemühens, eine Hygienefachkraft einzustellen, vorzulegen (Ziffer 1). Außerdem teilte die Landrätin des Beklagten der Klägerin mit, dass die Tätigkeit einer Hygienefachkraft nicht Hygienebeauftragten in der Pflege oder hygienebeauftragten Ärzten übertragen werden könne und dass die Klägerin nach dem Verteilungsschlüssel des § 4 Abs. 4 HygMedVO eine Hygienefachkraft mit einer Arbeitszeit von 12,5 Stunden pro Woche beschäftigen müsse.

Die Klägerin hat am 13. Juli 2016 Klage erhoben. Sie trägt vor, die Hygienemedizinverordnung finde auf sie keine Anwendung. § 1 Nr. 3 HygMedVO gelte nur im Ausnahmefall, dass eine einem Akutkrankenhaus vergleichbare medizinische Versorgung stattfinde; dies sei bezogen auf ihre Klinik nicht der Fall, was die Gefährdungsbeurteilung vom 10. Juni 2016 belege. Es spiele insofern keine Rolle, dass etwa 10 Verbandwechsel täglich vorgenommen würden. Sie erleide einen Wettbewerbsnachteil, da die Hygienemedizinverordnung einen hohen wirtschaftlichen Kostenfaktor mit sich bringe, der in anderen vergleichbaren Rehabilitationseinrichtungen nicht in dieser Art bestehe. Ein im September 2016 geschehener Ausbruch von Noroviren bzw. EHEC mit über 50 erkrankten Patienten sei nicht auf Missstände in der Behandlung zurückzuführen gewesen; sie betreibe vielmehr ein ausreichendes Hygienemanagement.

Sie beantragt,

den Bescheid der Landrätin des Beklagten vom 20. Juni 2016 aufzuheben, soweit darin angeordnet ist, dass der Abschluss eines Arbeitsvertrages mit einer Hygienefachkraft mit einer Arbeitszeit von mindestens 12,5 Stunden pro Woche nachzuweisen ist bzw. auf die Einstellung einer solchen Kraft gerichtete ernsthafte Bemühungen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er trägt vor, die Hygienemedizinverordnung sei auf die Klägerin anwendbar. Es sei dafür nicht erforderlich, dass in der Klinik in jeder Hinsicht medizinische Versorgungsmaßnahmen wie in einem Akutkrankenhaus stattfänden. Die Gefährdungsbeurteilung vom 10. Juni 2016 stelle die Anwendbarkeit der Hygienemedizinverordnung nicht in Frage, sondern erwähne sogar die postoperative Wundversorgung ausdrücklich. Die in der Klinik durchgeführten Behandlungen seien mit der medizinischen Versorgung in einem Krankenhaus vergleichbar. Der Unterschied, der zwischen der Klinik der Klägerin und einem Akutkrankenhaus bestehe, werde dadurch berücksichtigt, dass bezogen auf die Klinik nur ein Verhältnis von einer Vollzeit-Hygienefachkraft auf 500 Betten (1:500) statt 1:100 bei Akutkrankenhäusern zugrunde gelegt worden sei. Dass ein Bedarf bestehe, habe der Ausbruch von Noroviren im September 2016 deutlich gemacht. In der Klinik hätten chaotische Zustände geherrscht. Der Ausbruch habe gezeigt, dass die Klägerin kein ausreichendes Hygienemanagement betreibe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs des Beklagten Bezug genommen.
Gründe

Die Klage ist als Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 Var. 1 VwGO statthaft und auch im Weiteren zulässig.

Die Klage bleibt in der Sache aber ohne Erfolg. Der Bescheid der Landrätin des Beklagten vom 20. Juni 2016 ist hinsichtlich der Regelung in Ziffer 1, auf die allein sich die Anfechtung durch die Klägerin bezieht (wie aus ihrer Erklärung in der mündlichen Verhandlung, es komme ihr auf die gerichtliche Klärung an, ob in ihrer Klinik eine einem Krankenhaus vergleichbare medizinische Versorgung stattfinde, folgt), rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Die in formeller Hinsicht gemäß § 28 Abs. 1 VwVfG NRW erforderliche Anhörung ist dadurch erfolgt, dass die Landrätin des Beklagten von der Klägerin bereits mit dem Schreiben vom 2. Mai 2016 gefordert hat, Nachweise über den Arbeitsvertrag der Hygienefachkraft zu erbringen, und die Klägerin dadurch Gelegenheit zur Stellungnahme gehabt hat.

Die Regelung in Ziffer 1 des Bescheids vom 20. Juni 2016 ist auch materiell rechtmäßig. Ermächtigungsgrundlage für die angegriffene Verfügung sind §§ 23 Abs. 7 Sätze 1 und 2, 16 Abs. 2 Satz 3 des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen – Infektionsschutzgesetz (IfSG). Nach § 23 Abs. 7 Satz 1 IfSG sind die mit der Überwachung beauftragten Personen befugt, zu Betriebs- und Geschäftszeiten Betriebsgrundstücke, Geschäfts- und Betriebsräume, zum Betrieb gehörende Anlagen und Einrichtungen sowie Verkehrsmittel zu betreten, zu besichtigen sowie in die Bücher oder sonstigen Unterlagen Einsicht zu nehmen und hieraus Abschriften, Ablichtungen oder Auszüge anzufertigen sowie sonstige Gegenstände zu untersuchen oder Proben zur Untersuchung zu fordern oder zu entnehmen, soweit dies zur Erfüllung ihrer Aufgaben – der infektionsschutzrechtlichen Überwachung – erforderlich ist. Gemäß Abs. 7 Satz 2 der Norm gilt u.a. § 16 Abs. 2 Satz 3 IfSG entsprechend, wonach Personen, die zum Vorliegen der in Absatz 1 genannten Tatsachen – d.h. solche, die zum Auftreten einer übertragbaren Krankheit führen können – Auskunft geben können, verpflichtet sind, auf Verlangen die erforderlichen Auskünfte insbesondere über den Betrieb und den Betriebsablauf einschließlich dessen Kontrolle zu erteilen und Unterlagen einschließlich dem tatsächlichen Stand entsprechende technische Pläne vorzulegen.

Die Voraussetzungen dieser Vorschriften liegen vor.

Die unter Ziffer 1 des Bescheids geforderte Vorlage des Arbeitsvertrags der Hygienefachkraft gehört zu den „Unterlagen“ i.S.d. §§ 23 Abs. 7 Satz 2, § 16 Abs. 2 Satz 3 IfSG; eine Erklärung über das ernsthafte Bemühen der Einstellung ist eine „Auskunft“ im Sinne dieser Normen.

Dass der Nachweis des geforderten Arbeitsvertrags der Überwachung durch das Gesundheitsamt des Beklagten unterliegt und dessen Vorlage damit zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich ist, ergibt sich aus § 2 Abs. 1 Satz 1 HygMedVO, die auf Grundlage von § 23 Abs. 5 und Abs. 8 IfSG erlassen worden ist. Danach sind Träger von Einrichtungen nach § 1 Absatz 1 u.a. verpflichtet, für die Durchführung der notwendigen hygienischen Maßnahmen zu sorgen, wozu nach § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 HygMedVO insbesondere die Beschäftigung von Hygienefachkräften gehört.

Die Hygienemedizinverordnung findet gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 dieser Vorschrift auf die Klinik T. Anwendung. Es handelt sich bereits ihrem eigenen Auftreten zufolge um eine Rehabilitationseinrichtung im Sinne dieser Norm.

In der von der Klägerin betriebenen Klinik erfolgt auch „eine den Krankenhäusern vergleichbare medizinische Versorgung“. Ausgehend vom Schutzzweck des § 1 Abs. 1 IfSG, übertragbaren Krankheiten beim Menschen vorzubeugen, Infektionen frühzeitig zu erkennen und ihre Weiterverbreitung zu verhindern, liegt eine den Krankenhäusern vergleichbare medizinische Versorgung dann vor, wenn in der Einrichtung zumindest teilweise in ähnlicher Weise wie in Krankenhäusern durch ärztliche und pflegerische Hilfeleistung Krankheiten, Leiden oder Körperschäden behandelt werden (vgl. § 2 Nr. 1 des Gesetzes zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser und zur Regelung der Krankenhauspflegesätze – KHG) und dabei die Gefahr von Infektionen besteht. Der Zweck der Verhütung nosokomialer Infektionen, deren frühzeitiger Erkennung und des Verhinderns der Weiterverbreitung von Krankheitserregern ist insbesondere in § 23 Abs. 3 Satz 1 IfSG gesetzlich niedergelegt. Infektionsgefahren bestehen in Bezug auf die Behandlung von Krankheiten, Leiden oder Körperschäden insbesondere dann, wenn in die körperliche Integrität von Patienten eingegriffen wurde; in diesem Fall folgt aus dem Eingriff ein erhöhtes Risiko für nosokomiale Infektionen. Zweck des § 23 IfSG ist dementsprechend ausweislich der Gesetzgebungsmaterialien u.a. „die Beherrschung der besonderen Infektionsgefahren (…), die mit chirurgischen Eingriffen in die körperliche Integrität einhergehen“ (vgl. BT-Drs. 17/5708, S. 18 – zu § 23 Abs. 5 Nr. 2 IfSG).

Bei der von der Klägerin betriebenen Klinik findet ausweislich der von ihr vorgelegten Risikobewertung neben Verbandwechseln auch eine Wundversorgung statt, d.h. die Behandlung von Wunden, die infolge vorheriger chirurgischer Eingriffe (hier: Operationen an Knochen, Gelenken und Weichteilen der Extremitäten, operative Eingriffe an der Wirbelsäule und Amputationen von Extremitäten) einem erhöhten Risiko der Übertragung von Infektionskrankheiten unterliegen. Schon ausweislich der Risikobewertung vom 10. Juni 2016, die das Risiko aus den Bereichen der Verbandwechsel und der Versorgung postoperativer Wunden als „mittel“ einstuft, ist das Risiko der Übertragung von Krankheiten so hoch, dass – wenn auch in geringerem Ausmaß – eine einem Akutkrankenhaus vergleichbare „medizinische Versorgung“ im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 HygMedVO stattfindet. Dies gilt insbesondere angesichts dessen, dass nach der Einführung des sog. Fallpauschalensystems Patienten immer früher nach Operationen aus Akutkrankenhäusern entlassen werden („blutige Entlassung“).

Der vergleichsweise geringe Umfang der in der Klinik der Klägerin erfolgenden Wundversorgung steht der Anwendbarkeit der Hygienemedizinverordnung nicht entgegen. § 1 Abs. 1 Nr. 3 HygMedVO setzt nicht die Überschreitung eines Schwellenwerts voraus; dies würde auch dem Verordnungszweck zuwider laufen. Infektionsschutzrechtlich findet mit Verbandswechseln und Wundversorgung eine Akutkrankenhäusern vergleichbare medizinische Versorgung statt, weil eine vergleichbar erhöhte Gefahr der Krankheitsübertragung besteht. Eine Differenzierung anhand der Größe der Einrichtung ist, wie die Landrätin des Beklagten richtig ausführt, nach § 4 Abs. 4 Satz 1 HygMedVO durch die darin vorgeschriebene Anwendung der Empfehlung der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention – „Personelle und organisatorische Voraussetzungen zur Prävention nosokomialer Infektionen“ in der durch das Robert-Koch-Institut veröffentlichten Fassung – ausreichend gewährleistet. In dieser,

vgl. Bundesgesundheitsblatt 2009, S. 951-962, http://www.rki.de/DE/Content/Infekt/Krankenhaushygiene/Kommission/Downloads/Rili_Hygmanagement.html (zuletzt abgerufen am 16. August 2017),

wird das Stundenkontingent der Hygienefachkraft anhand der Risikostufe der jeweiligen Einrichtung und ihrer Bettenanzahl berechnet. Gegen den hieraus vorliegend abgeleiteten Ansatz eines Stundenkontingents der geforderten Hygienefachkraft im Umfang von 12,5 Stunden pro Woche hat die Klägerin keine inhaltlichen Bedenken vorgetragen; solche sind auch nicht ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 2 und 711 der Zivilprozessordnung.

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