VG Augsburg, Urteil vom 22.07.2022 – Au 3 K 22.85

August 23, 2022

VG Augsburg, Urteil vom 22.07.2022 – Au 3 K 22.85

Tenor
I. Der Bescheid der Beklagten vom 28. Dezember 2021 wird aufgehoben.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in dieser Höhe leistet.

Tatbestand
Die am …2020 geborene Klägerin wendet sich – vertreten durch ihre Eltern – gegen ihren Ausschluss aus einer Kindertageseinrichtung der Beklagten.

Für die Klägerin wurde am 22. Oktober 2021 zwischen ihren Eltern und der Beklagten ein Betreuungsvertrag geschlossen, wonach die Beklagte mit Wirkung vom 1. Mai 2022 die Klägerin in ihre Einrichtung aufnimmt. Bereits am 17. Juni 2021 hatten die Eltern und die Beklagte für die beiden älteren Geschwister der Klägerin entsprechende Verträge geschlossen, aufgrund derer diese ab 1. Juli 2021 in die Kindertagesstätte aufgenommen worden waren.

Trotz eines positiven Coronatests des Vaters und einer deswegen bestehenden Quarantänepflicht für die Kinder wurden die beiden Geschwister am 6., 7. und 8. Dezember 2021 in die Kindertageseinrichtung gebracht. Auf telefonische Nachfrage des ersten Bürgermeisters am 6. Dezember 2021, ob es in der Familie der Klägerin einen Corona-Fall gebe, verneinte dies die Mutter der Klägerin. Am 7. Dezember 2021 berichtete ein in der Einrichtung betreutes Kind, das am Tag zuvor auf einer Geburtstagsfeier im Haus der Eltern der Klägerin gewesen war, dass der Vater der Klägerin krank sei und in einem Kinderzimmer schlafe. Auf einen entsprechenden Hinweis der Beklagten ordnete das Gesundheitsamt am 8. Dezember 2021 an, dass die beiden Geschwister der Klägerin umgehend von der Kindertageseinrichtung abzuholen seien. Der Vater der Klägerin erhielt laut eigenen Angaben am 8. Dezember 2021 vom Gesundheitsamt die Mitteilung, dass er wegen seines positiven Corona-Tests in Quarantäne bleiben müsse und dass die Kinder ab dem 3. Dezember 2021 ebenfalls unter Quarantäne stünden.

Am 13. Dezember 2021 sprach der erste Bürgermeister mündlich ein vorläufiges Betretungsverbot für die Kindertageseinrichtung gegenüber der Familie aus. Nachdem die Klägerin und ihre Geschwister diesem Verbot mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 20. Dezember 2021 entgegengetreten waren, erklärte die Beklagte mit Schreiben vom selben Tag die außerordentliche sofortige Kündigung der drei Betreuungsverträge.

Die Klägerin und ihre Geschwister ließen dazu mit Schriftsatz vom 21. Dezember 2021 vortragen, die Betreuungsverträge ließen eine Kündigung nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes mit einer Frist von einem Monat zum Monatsende zu, wobei zunächst eine schriftliche Mahnung erfolgen müsse.

Die Beklagte schloss daraufhin die beiden Geschwister der Klägerin mit für sofort vollziehbar erklärtem Bescheid vom 28. Dezember 2021 gem. § 7 Abs. 1 Buchst. f ihrer Kindertageseinrichtungssatzung (KitaS) vom Besuch der Einrichtung aus. Die dagegen erhobene Klage wurde mit Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 24. Mai 2022, rechtskräftig seit 4. Juli 2022, abgewiesen.

Mit weiterem Bescheid vom 28. Dezember 2021 schloss die Beklagte auch die Klägerin gem. § 7 Abs. 1 Buchst. f KitaS vom Besuch der Einrichtung aus. In der 49. Kalenderwoche des Jahres 2021 seien die beiden Geschwister der Klägerin trotz einer aufgrund eines positiven Tests ihres Vaters bestehenden Quarantäne weiterhin in die Einrichtung geschickt worden. Eine Nachfrage bei der Mutter, ob eine Quarantäne bestehe, sei verneint worden. Erst nach weiteren Ermittlungen sei festgestellt worden, dass der Einrichtungsträger wissentlich angelogen worden sei. Bei einem nachfolgenden Gespräch im Rathaus habe die Mutter die Kinder, die sich eigentlich in Quarantäne befunden hätten, mitgebracht und erklärt, sie finde es ausreichend, wenn diese regelmäßig getestet würden. Von den Sorgeberechtigten sei bewusst das Risiko in Kauf genommen worden, dass sich andere Besucher der Einrichtung bzw. die Betreuer mit dem Coronavirus anstecken könnten. Damit sei aufgrund des Verhaltens der Sorgeberechtigten eine vertrauensvolle Zusammenarbeit nicht mehr möglich.

Am 13. Januar 2022 erhob die Klägerin Klage. Sie beantragte,

den Bescheid der Beklagten vom 28. Dezember 2021 aufzuheben.

Zum Zeitpunkt der Mitteilung des Gesundheitsamts am 8. Dezember 2021 über die ab dem 3. Dezember 2021 bestehende Quarantäne seien die Geschwister der Klägerin offiziell nicht in Quarantäne gewesen. Beim Besuch der Mutter im Rathaus am 14. Dezember 2021 hätten sie bereits wieder regulär in die Kindertageseinrichtung gedurft. Der Beklagten sei bekannt gewesen, dass die Mutter noch immer unter massiven gesundheitlichen Folgen eines lebensgefährlichen Verkehrsunfalls leide und dass es in der Umgebung sehr schwer sei, neue Kindergartenplätze zu finden. Auch Mitarbeiterinnen der Kindertageseinrichtung hätten gegen das Infektionsschutzgesetz verstoßen bzw. das Corona-Virus in die Einrichtung getragen. An den fraglichen Tagen 6. bis 8. Dezember 2021 seien die Geschwister der Klägerin von ihren Eltern jeweils negativ getestet in den Kindergarten gebracht worden. Es sei unberücksichtigt geblieben, dass sich die Eltern für ihr Verhalten entschuldigt und Reue gezeigt hätten. Sie seien davon ausgegangen, dass sie offiziell nicht in Quarantäne gesetzt worden seien; eine amtlich angeordnete Quarantäne habe nicht bestanden. Den Eltern sei nicht klar gewesen, dass ihre Kinder nach dem positiven Test des Vaters automatisch in Quarantäne hätten sein sollen, zumal dies für die Mutter als geimpfte Person nicht gegolten habe. Trotz intensivster Suche habe für den Sohn bislang im Umkreis von 20 km kein Kindergartenplatz gefunden werden können. Die fristlose Kündigung eines öffentlich-rechtlichen Vertrags könne nicht durch Verwaltungsakt erfolgen; zudem liege dafür kein Grund vor. Von der Erkrankung des Vaters hätten nur seine Ehefrau, der Hausarzt und das Gesundheitsamt gewusst. Es sei fraglich und aufklärungsbedürftig, wie der erste Bürgermeister an die Informationen gekommen sei. Selbst wenn auf eine Satzung Bezug genommen werde, könne eine fristlose Kündigung von Betreuungsverträgen nicht von heute auf morgen per Bescheid durchgesetzt werden.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung wurde auf den streitgegenständlichen Bescheid verwiesen.

Mit Schreiben des Gerichts vom 31. Mai 2022 wurde die Beklagte darauf hingewiesen, dass rechtliche Bedenken gegen den Ausschluss der Klägerin bestünden. Nach seinem Wortlaut ermögliche § 7 Abs. 1 Buchst. f KitaS den Ausschluss vom weiteren Besuch der Kindertageseinrichtung. Die Klägerin habe die Kindertageseinrichtung der Beklagten jedoch noch nicht besucht. Art. 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BayVwVfG scheide daher als Rechtsgrundlage für den Widerruf der Aufnahme der Klägerin in die Kindertageseinrichtung der Beklagten wohl aus. Entsprechendes gelte für Art. 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BayVwVfG. § 5 KitaS, der die Aufnahme regle, nehme nicht auf § 7 KitaS und dort geregelte Ausschlussgründe Bezug, sodass der gesetzliche Zulassungsanspruch nach Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GO insoweit wohl uneingeschränkt bleibe.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

Gründe
Die zulässige Klage ist begründet.

Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 28. Dezember 2021, mit dem die Klägerin vom Besuch der Kindertageseinrichtung der Beklagten ausgeschlossen wurde,

ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin daher in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Für diesen Bescheid, mit dem die Aufnahme der Klägerin in die Kindertageseinrichtung der Beklagten widerrufen wurde (vgl. BayVGH, B.v. 5.4.2022 – 4 CS 22.504 – juris Rn. 17) fehlt eine Rechtsgrundlage.

Entgegen der Auffassung der Beklagten ist Art. 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BayVwVfG i.V.m. § 7 Abs. 1 Buchst. f KitaS nicht einschlägig. Nach der genannten Satzungsbestimmung kann ein Kind vom weiteren Besuch der Kindertageseinrichtung ausgeschlossen werden, wenn schwerwiegende Gründe im Verhalten des Kindes oder der Personensorgeberechtigten gegeben sind, die einen Ausschluss erforderlich machen. Durch die ausdrückliche Begrenzung des Ausschlusses auf den weiteren Besuch der Kindertageseinrichtung erfasst die Satzungsbestimmung nicht die Fälle, in denen schwerwiegende Gründe für den Ausschluss schon vor dem erstmaligen Besuch gegeben sind. Es ist nicht Aufgabe des Gerichts, diese ausdrückliche Einschränkung der Befugnisnorm durch den Satzungsgeber ungeschehen zu machen. Eine analoge Anwendung des § 7 Abs. 1 Buchst. f KitaS scheidet daher aus. Vielmehr bleibt es dem Gemeinderat der Beklagten vorbehalten, das Wort „weiteren“ in § 7 Abs. 1 Buchst. f KitaS zu streichen und damit den Anwendungsbereich der Vorschrift auf Fallkonstellationen wie die streitgegenständliche auszudehnen. Dies wird allerdings grundsätzlich nur ex nunc möglich sein. Demnach scheidet § 7 Abs. 1 Buchst. f KitaS als Rechtsgrundlage für den Ausschluss der Klägerin aus. Anders als ihre beiden älteren Geschwister hat diese die Kindertageseinrichtung der Beklagten zum maßgeblichen Zeitpunkt des Ausschlusses am 28. Dezember 2021 noch nicht besucht.

Entsprechendes gilt für Art. 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BayVwVfG i.V.m. § 5 KitaS. § 5 KitaS, der die Aufnahme der angemeldeten Kinder regelt, nimmt nicht auf § 7 KitaS und die dort geregelten Ausschlussgründe Bezug, sodass der gesetzliche Zulassungsanspruch nach Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GO insoweit uneingeschränkt bleibt. Auch hier bleibt es letztlich dem Gemeinderat der Beklagten vorbehalten zu entscheiden, ob dies in Zukunft anders geregelt sein soll.

Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen, weil sie unterlegen ist (§ 154 Abs. 1 VwGO).

Die Kostenentscheidung war gem. § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO für vorläufig vollstreckbar zu erklären.

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