VG Berlin, Beschluss vom 10.09.2020 – 14 L 382/20

Februar 7, 2021

VG Berlin, Beschluss vom 10.09.2020 – 14 L 382/20

Tenor

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe

Zur Entscheidung ist der Einzelrichter berufen, da die Kammer ihm den Rechtsstreit hierzu übertragen hat (§ 6 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung [VwGO]).

Der wörtliche Antrag,

dem Robert Koch-Institut zu untersagen, bei sinkender bzw. gleichbleibender SARS-CoV-2-Positivenquote wörtlich oder sinngemäß zu behaupten, die Entwicklung sei (sehr) beunruhigend,

dem Robert Koch-Institut zu untersagen, bei einer Positivenrate von einem derart niedrigen Wert wie rund 1 % wörtlich oder sinngemäß zu behaupten, die Entwicklung sei (sehr) beunruhigend,

dem Robert Koch-Institut zu untersagen, bei Zusammenfassungen einzig die absolute Anzahl der positiven SARS-CoV-2-Tests darzustellen bzw. darauf basierend die kumulativen Fallzahlen oder die Inzidenz ohne Nennung der Positivenquote und des starken Einflussfaktors eines bedeutsamen Testanstieges auf die absoluten Zahlen, und

das Robert Koch-Institut zu verpflichten, die unter 1. genannten Behauptungen in seinen täglichen Lageberichten zu COVID-19 vom 25. bis einschließlich 28. August 2020 zu widerrufen und in der Weise richtigzustellen, in der es die Behauptungen verbreitet hat,

ist bereits unzulässig (I.), im Übrigen jedoch auch unbegründet (II).

I.

1. Richtiger Antragsgegner für das Leistungsbegehren ist nach dem allgemeinen Rechtsträgerprinzip nicht das Robert Koch-Institut, sondern die Bundesrepublik Deutschland. Das Robert Koch-Institut selbst stellt eine nicht rechtsfähige Bundesoberbehörde dar, welche dem Bundesministerium für Gesundheit als Aufsichts- und oberster Bundesbehörde unmittelbar nachgeordnet ist. Das Rubrum wurde von Amts wegen entsprechend berichtigt.

2. Statthaft ist mit Blick auf eine in der Hauptsache in Betracht kommende allgemeine Leistungsklage (vgl. § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO) ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung in Form einer Regelungsanordnung gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis, vorliegend in Bezug auf die vorläufig geltend gemachten Ansprüche.

3. Die Antragstellerin ist jedoch nicht antragsbefugt. Der Antrag ist nur zulässig, wenn der Antragsteller geltend macht, in seinen Rechten verletzt zu sein (vgl. § 42 Abs. 2 VwGO analog). Dies ist in der vorliegenden Leistungskonstellation der Fall, wenn er Tatsachen vorbringt, die es als möglich erscheinen lassen, dass er einen Anspruch auf die geltend gemachten Leistungen hat. Der Antrag ist unzulässig, wenn offensichtlich und eindeutig nach keiner Betrachtungsweise die vom Antragsteller behaupteten Rechte bestehen oder ihm zustehen können (st. Rspr. seit BVerwG, Urteil vom 30. Oktober 1963 – BVerwG V C 219.62 – juris [Leitsatz]; aktuell BVerwG, Urteil vom 29. April 2020 – BVerwG 7 C 29/19 – juris, Rn. 15; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 21. November 2019 – OVG 10 A 12.16 – juris, Rn. 29; ferner Sodan/Ziekow/Sodan, VwGO, 5. Auflage 2018, § 42 Rn. 379 ff.). Dies ist vorliegend der Fall, denn Ansprüche der Antragstellerin auf die begehrten Leistungen scheiden offensichtlich und eindeutig aus. Es läge in der Hauptsache vielmehr eine so genannte unzulässige Popular- bzw. Interessentenklage vor.

Die Antragstellerin hat nach summarischer Prüfung keinen öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruch und keinen Folgenbeseitigungsanspruch, denn sie ist durch die Äußerungen des Robert Koch-Instituts offensichtlich und eindeutig nach keiner Betrachtungsweise in eigenen Rechten verletzt.

Der jedenfalls gewohnheitsrechtlich anerkannte öffentlich-rechtliche Unterlassungsanspruch setzt tatbestandlich die begründete Besorgnis voraus, die Antragsgegnerin werde künftig durch ihr hoheitliches Handeln rechtswidrig in die geschützte Rechts- und Freiheitssphäre der Antragstellerin eingreifen (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Oktober 2014 – 6 C 7/13 – juris, Rn. 20). Der ebenfalls jedenfalls gewohnheitsrechtlich anerkannte Folgenbeseitigungsanspruch setzt tatbestandlich voraus, dass durch einen hoheitlichen Eingriff in ein subjektives Recht ein noch andauernder rechtswidriger Zustand geschaffen worden ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Februar 2015 – BVerwG 1 C 13/14 – juris, Rn. 24). Er kann unter anderem auf Widerruf und Richtigstellung von Äußerungen gerichtet sein (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Februar 2019 – BVerwG 6 C 1/18 – juris, Rn. 14, 19).

Ein danach für beide Ansprüche erforderlicher Eingriff in die geschützte Rechts- und Freiheitssphäre bzw. ein subjektives Recht der Antragstellerin scheidet aus.

Zunächst kommt ein Eingriff in ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz [GG]) nicht in Betracht. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt als „unbenanntes“ Freiheitsrecht Elemente der Persönlichkeit, die nicht Gegenstand der besonderen Freiheitsgarantien des Grundgesetzes sind, diesen aber in ihrer konstituierenden Bedeutung für die Persönlichkeit nicht nachstehen (st. Rspr., vgl. BVerfG, Urteil vom 26. Februar 2020 – 2 BvR 2347/15 – juris, Rn. 205 m.w.N.). Es schützt die freie Entfaltung der Persönlichkeit und bietet dabei insbesondere Schutz vor einer personenbezogenen Berichterstattung und Verbreitung von Informationen, die geeignet sind, die Persönlichkeitsentfaltung erheblich zu beeinträchtigen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. Juli 2020 – 1 BvR 146/17 – juris, Rn. 9 m.w.N.). Die Äußerungen des Robert Koch-Instituts sind weder personenbezogen noch werden dadurch Informationen über die Antragstellerin verbreitet.

Weiterhin scheidet ein Eingriff in ihre Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) aus. Mit diesem Begriff ist der soziale Wert- und Achtungsanspruch des Menschen verbunden, der es verbietet, den Menschen zum bloßen Objekt des Staates zu machen oder ihn einer Behandlung auszusetzen, die seine Subjektqualität prinzipiell in Frage stellt. Menschenwürde in diesem Sinne ist nicht nur die individuelle Würde der jeweiligen Person, sondern die Würde des Menschen als Gattungswesen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. Oktober 1992 – 1 BvR 698/89 – juris, Rn. 107). Mit dem Vortrag, die Antragstellerin werde durch eine „bewusst aggravierte Darstellung des Infektionsgeschehens […] wider besseren Wissens“ zum „Experimentierobjekt staatlicher Behörden und somit de facto zum Objekt staatlichen Handelns“ gemacht, ist eine Verletzung ihrer Menschenwürde nicht ansatzweise aufgezeigt. Es erscheint unzweifelhaft, dass das auf § 4 Abs. 1 und 2 Infektionsschutzgesetz (IfSG) beruhende staatliche Informationshandeln des Robert Koch-Instituts insgesamt der Vorbeugung übertragbarer Krankheiten beim Menschen, der frühzeitigen Erkennung von Infektionen und der Verhinderung ihrer Weiterverbreitung (vgl. § 1 Abs. 1 und § 4 Abs. 1 Satz 1 IfSG) dient und damit den einzelnen Menschen nicht zum Objekt staatlichen Handelns macht, sondern vielmehr seinem subjektiven Schutz zugutekommen soll. Dies wäre auch dann nicht ernsthaft in Frage gestellt, wenn einzelne Äußerungen oder Veröffentlichungen sich etwa als streitbar oder diskutabel erweisen sollten.

Ferner liegt ein Eingriff in das Grundrecht der Antragstellerin auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) nicht vor. Das Grundrecht umfasst den Schutz des menschlichen Körpers. Das bloße Wohlbefinden, insbesondere auch das soziale Wohlbefinden, ist hiervon ebenso wenig umfasst wie Gesundheit an sich gewährleistet wird (Maunz/Dürig/Di Fabio, Grundgesetz, Stand: 90. Erg.-Lfg. Februar 2020, Art. 2 Abs. 2 Rn. 56 f.). Ein Eingriff liegt nicht bereits vor, wenn nur das psychische oder seelische Wohlbefinden betroffen ist, vielmehr muss die körperliche Unversehrtheit tangiert sein (ebd., Rn. 60). Gemessen daran ist ein Eingriff in dieses Grundrecht dadurch, dass sich die Antragstellerin durch die Äußerungen und Veröffentlichungen des Robert Koch-Instituts bedroht fühlen will, ihr bewusst Angst gemacht werde und sie dies als Psychoterror wahrnehme, offensichtlich nicht gegeben. Eine posttraumatische Belastungsstörung im Zusammenhang mit den hier in Rede stehenden, einzelnen Äußerungen und Veröffentlichungen ist offensichtlich nicht hinreichend dargelegt, geschweige denn glaubhaft gemacht.

Schließlich ist auch kein Eingriff in das Grundrecht auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG) ersichtlich. Das Grundrecht gewährleistet dem Bürger die Effektivität des Rechtsschutzes im Sinne eines Anspruchs auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle von Rechtsverletzungen (vgl. BVerfG, Urteil vom 27. Februar 2007 – 1 BvR 538/06 – juris, Rn. 68 m.w.N.) durch die öffentliche Gewalt. Eine solche Kontrolle in Verfahren zur Überprüfung freiheitsbeschränkender Infektionsschutzmaßnahmen ist durch Äußerungen und Veröffentlichungen des Robert Koch-Instituts jedoch nicht in Frage gestellt. Die Gerichte sind an dessen Erkenntnisse und Bewertungen bereits nicht gebunden. Verwaltungsentscheidungen sind deshalb auch nicht „vollständig der gerichtlichen Kontrolle entzogen“. Vorbehalte gegen die Erkenntnisse und Bewertungen des Robert Koch-Instituts sind ggf. in dem jeweiligen konkreten Verfahren geltend zu machen.

4. Im Übrigen erweisen sich die von der Antragstellerin gestellten Anträge als nicht hinreichend bestimmt. Weder ist hinreichend ersichtlich, wann eine „sinkende bzw. gleichbleibende SARS-CoV-2-Positivenquote“ vorliegen soll, insbesondere welche konkreten Zustände die Antragstellerin hier genau gegenübergestellt (Antrag zu 1)). Noch wird deutlich, bis wann genau von einer Positivenrate von einem „derart niedrigen Wert wie rund 1 %“ auszugehen sein soll (Antrag zu 2)). Es ist auch nicht hinreichend klar, was unter „Zusammenfassungen“ und dem „starken“ Einflussfaktor eines „bedeutsamen“ Testanstiegs genau verstanden wird (Antrag zu 3)). Eine auf Grundlage dieser Anträge tenorierte einstweilige Anordnung erwiese sich mangels hinreichender Bestimmtheit nicht als vollstreckbar.

II.

Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn die begehrte Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Nach § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2, § 294 Zivilprozessordnung (ZPO) sind dabei die tatsächlichen Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs (Anordnungsanspruch) in gleicher Weise glaubhaft zu machen wie die Gründe, welche die Eilbedürftigkeit der gerichtlichen Entscheidung bedingen (Anordnungsgrund).

Dem Wesen und Zweck des Verfahrens nach § 123 Abs. 1 VwGO entsprechend, kann das Gericht im Wege der einstweiligen Anordnung grundsätzlich nur vorläufige Regelungen treffen und nicht schon das gewähren, was Ziel eines entsprechenden Hauptsacheverfahrens wäre. Wird, wie hier, die Vorwegnahme der Hauptsache begehrt, kommt die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nur dann in Betracht, wenn ein Obsiegen im Hauptsacheverfahren mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist und andernfalls schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (vgl. z.B. OVG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 17. Oktober 2017 – OVG 3 S 84.17 / 3 M 105.17 – juris, Rn. 2, und vom 28. April 2017 – OVG 3 S 23.17 u.a. – juris, Rn. 1; ferner: Kopp/Schenke, VwGO, 25. Auflage 2019, § 123 Rn. 13 ff. m.w.N.).

Weder ist nach summarischer Prüfung ein Obsiegen im Hauptsacheverfahren mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten noch hat die Antragstellerin schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile dargelegt, geschweige denn glaubhaft gemacht. Insbesondere ist für eine Grundrechtsverletzung nichts ersichtlich (vgl. oben I. 3.).

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Festsetzung des Werts des Verfahrensgegenstands beruht auf § 52 Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 1 Gerichtskostengesetz (GKG), wobei die vorliegend begehrte Vorwegnahme der Hauptsache die Anhebung auf den vollen Auffangstreitwert rechtfertigt (vgl. Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, NVwZ-Beilage 2013, 57, Nr. 1.5 Satz 2).

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