VG Karlsruhe, Beschluss vom 28.10.2021 – 3 K 2871/21

Februar 15, 2022

VG Karlsruhe, Beschluss vom 28.10.2021 – 3 K 2871/21

Nach Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache wird das Verfahren eingestellt.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.

Der Streitwert wird auf 55.502,08 EUR festgesetzt.

Gründe
Nachdem die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren entsprechend § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen und gemäß § 161 Abs. 1 VwGO über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden.

Über die Kosten des Verfahrens ist gemäß § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu entscheiden. Eine Kostentragung der Beklagten nach § 161 Abs. 3 VwGO, wonach in den Fällen des § 75 VwGO die Kosten stets dem Beklagten zur Last fallen, wenn der Kläger mit seiner Bescheidung vor Klageerhebung rechnen durfte, ist hier abzulehnen. Nach dieser Bestimmung fallen in den Fällen des § 75 VwGO die Kosten stets dem Beklagten zur Last, wenn der Kläger mit seiner Bescheidung vor Klageerhebung rechnen durfte.

Der Kläger durfte mit seiner Bescheidung vor Klageerhebung noch nicht rechnen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist diese Voraussetzung dann nicht zu bejahen, wenn die Beklagte einen zureichenden Grund für die Nichtbescheidung hatte und der Klägerseite dieser Grund bekannt war oder bekannt sein musste (BVerwG, Urteil vom 23.07.1991 – 3 C 56.90 -, juris Rn. 9). So verhält es sich hier. Es lagen objektiv zureichende Gründe die der Kläger bzw. sein Verfahrensbevollmächtigter auch kannten bzw. kennen mussten, dafür vor, dass die Beklagte den Wiederspruch des Klägers vom 12.03.2021 hinsichtlich seines Antrags auf Novemberhilfe bei Klageerhebung noch nicht beschieden hatte. Ein Grund kann nur dann zureichend i. S. d. § 75 Satz 3 VwGO sein, wenn er mit der Rechtsordnung im Einklang steht (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.07.1991 – 3 C 56.90 -, juris Rn. 10) und im Licht der Wertentscheidungen des Grundgesetzes, vor allem der Grundrechte, als zureichend angesehen werden kann (vgl. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl. 2020, § 75 Rn. 13). Die Überlastung der Behörde durch eine „vorübergehende Antragsflut“, beispielsweise in Folge einer Gesetzesänderung, wird als zureichender Grund anerkannt, solange die Überlastung nicht von längerer Dauer ist und somit ein strukturelles Organisationsdefizit vorliegt (BVerfG, Beschluss vom 16.01.2017 – 1 BvR 2406.16 -, – 1 BvR 2409.16 -, – 1 BvR 2408.16 -, – 1 BvR 2407.16 -, juris Rn. 9; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27.07.2017 – OVG 3 M 92.17 -, juris Rn. 8; OVG Hamburg, Beschluss vom 01.09.1989 – Bs I 44/89 -, NJW 1990, 1379). Die Beklagte hat zwar über den Widerspruch nicht binnen dreier Monate entschieden. Hierfür lag in der vorübergehenden Belastungssituation aufgrund der kurzfristig geschaffenen Corona-Hilfen und der Antragsflut, die bei der L-Bank eingingen, aber ein zureichender Grund im Sinne des § 75 Satz 3 VwGO vor. Denn der Grund für die Verzögerung war keine ständige Arbeitsüberlastung der Behörde (vgl. hierzu als nicht zureichender Grund VG Freiburg, Urteil vom 23.09.2016 – A 1 K 2611/16 -, juris Rn. 21; VG Stuttgart, Urteil vom 23.03.2016 – A 12 K 439/16 -, juris Rn. 23), der die Behörde nicht mit organisatorischen Maßnahmen entgegengewirkt hat. Im vorliegenden Fall hatte die Beklagte, wie sie im Schriftsatz zur Erledigungserklärung vom 25.10.2021 nachvollziehbar vorgetragen hat, kurzfristig allein für die Soforthilfe über 270.000 Anträge sowie knapp 50.000 Anträge für die Novemberhilfe und ebenfalls knapp 50.000 Anträge für die Dezemberhilfe zu bearbeiten. Die Wirkungen des sprunghaften und in dieser Form nicht vorhersehbaren Anstiegs des Geschäftsanfalls bei der L-Bank aufgrund der während der Corona-Pandemie kurzfristig geschaffenen Corona-Hilfen im Jahr 2020 waren auch im Jahr 2021 noch gegeben. Auf eine mögliche Pandemie mit entsprechenden Wirtschaftshilfen musste sich die Beklagte nicht einrichten und insbesondere keine vorbeugenden Vorkehrungen in personeller Hinsicht treffen. Die Beklagte hat im Verlauf der weiteren Pandemie durch die Einstellung von zusätzlichen 440 Mitarbeitern zur Bearbeitung der Corona-Hilfen sowie der hierzu gehörenden Widerspruchsverfahren ab Juni 2021 einer dauerhaften Überlastung auch aktiv entgegengewirkt. Die kurzfristige Überlastung der Beklagten aufgrund der Vielzahl von Anträgen auf die staatlichen Hilfen während der Corona-Pandemie waren öffentlich bekannt, sodass auch der Kläger selbst und sein Prozessbevollmächtigter diese kennen mussten.

Es entspricht daher nach § 161 Abs. 2 VwGO der Billigkeit, dem Kläger die Kosten aufzuerlegen (argumentum e contrario aus § 161 Abs. 3 VwGO, vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 26. Auflage 2020, § 161, Rn. 40; VG Berlin, Beschluss vom 12.04.2017 – 22 K 157.16 A -, Rn. 9, juris). Der Kläger hat die Klage in Kenntnis eines zureichenden Grundes für die im Zeitpunkt der Klageerhebung noch nicht erfolgte Bescheidung seines Widerspruchs erhoben und die Beklagte hat dem Klagebegehren im Sinne des Rechtsgedankens des § 156 VwGO entsprochen, ohne ihm zunächst entgegen zu treten.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 3 GKG. Die Höhe des Streitwerts ergibt sich vorliegend aus dem Gesamtbetrag der begehrten (und gewährten) Novemberhilfe.

Haben Sie Fragen? 

Rufen Sie uns an oder schreiben Sie uns eine E-Mail, damit wir die grundsätzlichen Fragen klären können.

© Rechtsanwalt Krau. All rights reserved.
Powered by wearehype.eu.
© Rechtsanwalt Krau. All rights reserved.
Powered by wearehype.eu.