VG Karlsruhe, Urteil vom 30.11.2020 – 11 K 4427/19

Mai 24, 2022

VG Karlsruhe, Urteil vom 30.11.2020 – 11 K 4427/19

Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die zulässige Gestaltung einer Urnengrabstelle.

Die Beklagte betreibt seit dem Jahr 2016 den Friedhof „Ruhewald …“, für den der Gemeinderat am 01.03.2016 eine Friedhofssatzung beschlossen hat. Bei dem Friedhof handelt es sich um einen naturnah bewirtschafteten Wald, in dem Grabstätten als Urnenbelegungsplätze an einzelnen Bäumen oder innerhalb ausgewiesener Urnengemeinschaftsfelder vorgesehen sind.

Am … 2017 verstarb der Ehemann der Klägerin. Nachdem sich die Klägerin für eine Bestattung ihres Ehemanns im Ruhewald interessiert hatte, bekam sie von der Beklagten einen Vertragsentwurf und ein Merkblatt über die zulässige Grabgestaltung („Liebevolle Grüße im Einklang mit der Natur“) zugeschickt. In dem Merkblatt heißt es u. a.: „Bis 10 Tage nach der Beisetzung sind die normalen Grabgestecke und Kränze erlaubt. Danach sollte die Gestaltung der Natur angepasst und mit ihr vereinbar sein. Bitte achten Sie bei der Wahl Ihrer verwendeten Materialien auf den Herkunftsort heimischer Wald, z. B. Rinde, Reisig und Zapfen, Moos, (…) Einzelne Blumen, (…) Kleinere Wurzeln, knorrige Äste oder Baumscheiben“. Die Klägerin leitete in der Folge den von ihr unterschriebenen Vertrag vom 07.11.2017 über einen Urnenbelegungsplatz an einem Wahlbelegungsbaum, der ein Belegungsrecht für 40 Jahre vorsieht, an die Beklagte zurück. In § 5 des Vertrages heißt es zur Grabplatzgestaltung: „Der Urnenbelegungsplatz im Ruhewald bleibt naturbelassener Waldboden. Grabschmuck in jeglicher Form ist nicht zulässig.“ Die Friedhofssatzung wird nach § 3 des Vertrages in diesen einbezogen.

In der Folge kam es zwischen den Beteiligten zum Streit über die Dekoration der Grabstelle. Die Klägerin hatte auf der Grabstelle nach eigenen Angaben Wurzeln, Moos, Efeu und sieben einzelne Rosen arrangiert. Mit Schreiben vom 12.04.2018 und einem weiteren Schreiben vom 06.08.2018 wandte sich die Beklagte an die Klägerin und bat um eine Einschränkung der Größe der Dekoration. Mit einem weiteren Schreiben vom 24.10.2018 wies die Beklagte die Klägerin auf ihrer Ansicht nach unzulässige Dekorationsmaterialien hin und kündigte an, entsprechende Gegenstände nach einer Woche zu entfernen. In der Folge entfernten Mitarbeiter der Beklagten wiederholt die aus ihrer Sicht unzulässigen Teile der Dekoration von der Grabstelle, darunter sechs von jeweils sieben dort abgelegten einzelnen Rosen.

Hiergegen hat die Klägerin am 10.04.2019 Klage zum Amtsgericht Horb erhoben und zunächst von der Beklagten begehrt, es zu unterlassen, bis zu sieben einzelne Blumen von der Grabstelle zu entfernen. Die Klage wurde mit Beschluss des Amtsgerichts vom 06.06.2019 – 1 C 91/19 – zum Verwaltungsgericht Karlsruhe verwiesen. Zur Begründung lässt die Klägerin vortragen: Ihr sei im Zuge des Vertragsschlusses von der Beklagten das Merkblatt zur Grabgestaltung übergeben worden, nach dem die Verwendung von einzelnen Blumen zulässig sei. Auch für die weitere Gestaltung der Grabstelle habe sie ausschließlich natürliche Materialien verwendet, die in heimischen Wäldern vorkommen könnten. Es handele sich weder um unzulässigen Grabschmuck noch um Anpflanzungen. Nachdem sie die Beklagte mit Schreiben vom 18.11.2018 aufgefordert habe, die Blumen nicht weiter zu entfernen, habe die Beklagte dies abgelehnt. Am 05.04.2019 seien von der Grabstelle wieder sechs einzelne Rosen entfernt worden, die der Sohn der Klägerin dann auf einer anderen Grabstelle gefunden habe. Mit Schriftsatz vom 13.10.2020 hat die Klägerin das Unterlassungsbegehren um die Entfernung von natürlichen, im heimischen Wald vorkommenden Materialien von der Grabstelle ergänzt.

Die Klägerin beantragt zuletzt,

festzustellen, dass die Beklagte nicht berechtigt ist, einzelne Blumen, insbesondere wenn es sich hierbei in der Gesamtzahl um nicht mehr als sieben einzelne Blumen handelt, sowie die natürlichen, im heimischen Wald vorkommenden Materialien im Sinne des Merkblatts der Beklagten „Liebevolle Grüße im Einklang mit der Natur“ (Anlage K 2) von der Grabstelle des Herrn … im Ruhewald …, Feld A, Baum Nr. …, Belegplatz …, zu entfernen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung führt sie aus: Die Grabstelle werde von der Klägerin nicht wie vorgetragen nur mit sieben einzelnen Schnittblumen oder Moos, Farn, Steinen und Tannenzapfen geschmückt. Es werde auch Schnittgut von Thujahecken abgelegt, welches giftige ätherische Öle enthalte. Auch werde um die Grabstätte herum das Laub entfernt, wodurch der Waldboden beschädigt werde. Aus dem maßgeblichen schriftlichen Vertrag der Beteiligten und der im Vertrag in Bezug genommenen Satzung ergebe sich kein Recht, das Erscheinungsbild des naturbelassenen Waldbodens zu stören oder zu verändern oder die Grabstätte zu schmücken. Das von der Klägerin vorgelegte Merkblatt sei nicht Vertragsbestandteil geworden. Die Beklagte habe zwar anfangs „kleinere“ Verstöße gegen die Satzung nicht geahndet, um die Trauernden nicht zu belasten. Dies habe jedoch dazu geführt, dass einige Grabpächter, darunter die Klägerin und ihr Sohn, die Grabstätten in üppiger Art und Weise geschmückt hätten. Darüber hätten sich immer mehr Grabpächter beschwert. Dass die Satzung nicht jederzeit konsequent umgesetzt worden sei, führe jedoch nicht dazu, dass die Beklagte nunmehr verpflichtet sei, einen rechtswidrigen Zustand weiter zu dulden. Es werde nicht nur der Grabschmuck auf der Grabstätte des verstorbenen Ehemanns der Klägerin abgeräumt, sondern auch von anderen Grabstätten.

Weitergehend lässt die Klägerin vortragen: Die Beklagte habe in der neuesten Vergangenheit Arbeitskreise und Gesprächsrunden mit weiteren Beteiligten geführt, die mit der Vorgehensweise der Beklagten nicht einverstanden seien. Die Klägerin sei an diesen Gesprächen nicht beteiligt worden. Den anwesenden Betroffenen sei dabei mündlich zugesichert worden, dass die Grabstätten nicht mehr abgeräumt würden. Auch habe ein Stadtrat die streitgegenständliche Grabstelle überwachen und Mitteilung machen lassen, sobald sie neu dekoriert worden sei. Andere Grabstellen seien nicht abgeräumt worden.

Im Zuge der Auseinandersetzungen hat die Beklagte gegen den Sohn der Klägerin mit Verfügung vom 08.10.2019 ein Hausverbot für den Ruhewald erlassen. Auf dessen Eilantrag hat das Gericht mit Kammerbeschluss vom 30.07.2020 – 11 K 2378/20 – die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen das Hausverbot wiederhergestellt.

Dem Gericht liegen die Akte des Amtsgerichts Horb, die Akte des Eilverfahrens des Sohnes der Klägerin (11 K 2378/20) sowie die Verwaltungsakte der Beklagten (ein Ordner) vor.

Gründe
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

I.

Das Verwaltungsgericht Karlsruhe ist für die Entscheidung über die Klage zuständig.

Über die sachliche Zuständigkeit hat bereits das Amtsgericht Horb im Verweisungsbeschluss vom 06.06.2019 – 1 C 19/19 – entschieden. Dieser Beschluss, mit dem das Amtsgericht die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs angenommen hat, entfaltet gemäß § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG bindende Wirkung.

Das Gericht ist auch örtlich zuständig, da das Verfahren die Nutzung einer Urnengrabstelle und damit ein ortsgebundenes Rechtsverhältnis im Sinne des § 52 Nr. 1 VwGO betrifft.

II.

Die Klage ist zulässig.

Nach einem entsprechenden Hinweis des Vorsitzenden in der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin ihr Begehren in sachdienlicher Weise als Feststellungsklage formuliert. Bei der Frage, ob die Beklagte aus der bestehenden Rechtsbeziehung gegenüber der Klägerin berechtigt ist, Dekoration der im Antrag näher bezeichneten Art von der Grabstelle ihres verstorbenen Ehemanns zu entfernen, handelt es sich um ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO. Da die Klägerin die Grabstelle weiter dekorieren möchte und dies eine persönlich bedeutsame Angelegenheit darstellt, liegt auch ein Feststellungsinteresse vor.

Der Zulässigkeit der Klage steht auch nicht die Subsidiarität der Feststellungsklage nach § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO entgegen, da sich der Grundsatz der Subsidiarität nur auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen bezieht, nicht dagegen auf die – hier alternativ in Betracht kommende – allgemeine Leistungsklage, gerichtet auf das Unterlassen eines tatsächlichen Verhaltens (vgl. BVerwG, Urt. v. 15.02.1991 – 8 C 85.88 – juris, Rn. 11).

III.

Die Klage ist jedoch unbegründet.

Die Beklagte ist gegenüber der Klägerin berechtigt, Dekoration der im Klageantrag genannten Art – einzelne Blumen und im heimischen Wald vorkommende Materialien gemäß dem Merkblatt der Beklagten „Liebevolle Grüße im Einklang mit der Natur“ – von der Grabstelle ihres verstorbenen Ehemanns zu entfernen.

1.

Die Entfernung von Dekorationen von Urnengrabstellen im von der Beklagten betriebenen Ruhewald findet ihre Grundlage im Hausrecht der Beklagten.

Die Beklagte betreibt den Friedhof „Ruhewald …“ nach § 1 Abs. 1 und 3 des Bestattungsgesetzes vom 21.07.1970 (GBl. 1970, S. 395; im Folgenden abgekürzt „BestattG“) als öffentliche Einrichtung. Ohne dass dort eine explizite Rechtsgrundlage für Ordnungsmaßnahmen geregelt ist, ist es allgemein anerkannt, dass der Betrieb einer öffentlichen Einrichtung die Befugnis umfasst, alle Maßnahmen zu treffen, die geeignet und erforderlich sind, um den ordnungsgemäßen Betrieb der Einrichtung oder Anstalt zu sichern (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 28.11.1994 – 22 A 2478/93 – juris; VG München, Urt. v. 19.05.2016 – M 12 K 15.3334 – juris, Rn. 57).

Nähere Bestimmungen zu der notwendigen Ordnung auf dem Friedhof ergeben sich aus der auf der Grundlage von § 15 Abs. 1 Satz 1 BestattG für den Ruhewald erlassenen Friedhofssatzung der Beklagten vom 01.03.2016. Aus den einschlägigen Regelungen der Satzung folgt, dass Dekorationen der Grabstellen im Ruhewald ausgeschlossen sind, im Einzelnen aus § 11 Abs. 1 Satz 1 („Der naturbelassene Ruhewald darf in seinem Erscheinungsbild nicht gestört oder verändert werden“), § 11 Abs. 2 Satz 1 („Im Wald und auf dem Waldboden dürfen keine künstlichen Veränderungen vorgenommen werden“) und § 13 Abs. 1 („Der Ruhewald ist ein naturnah bewirtschafteter Wald. Die forstliche Bewirtschaftung erfolgt, wie bisher, im Rahmen der geltenden Bestimmungen unter umfassender Rücksichtnahme auf die Belegungsbäume. Grabpflege im herkömmlichen Sinne ist nicht zulässig“). Die eindeutigen Formulierungen zeigen, dass jegliche von den Hinterbliebenen vorgenommenen Veränderungen und damit auch Dekorationen auf dem Waldboden ausgeschlossen sind.

Soweit sich die Klägerin auf die Beschlussvorlage der Verwaltung der Beklagten (Drucksache Nr. 028/2016) beruft und daraus ableitet, dass von der Beklagten von Anfang an gewollt und beabsichtigt gewesen sei, eine individuelle Kennzeichnung und Pflege der Grabstätten zuzulassen, dringt dies nicht durch. Entsprechende Überlegungen haben sich im Text der Satzung – wie oben ausgeführt – nicht niedergeschlagen. Nur dieser Text ist jedoch vom Gemeinderat als zuständigem Organ der Beklagten beschlossen und anschließend bekannt gemacht worden und kann damit als Ergebnis der Willensbildung der Beklagten angesehen werden, nicht hingegen andere verwaltungsinterne Dokumente, die vom Gemeinderat nicht beschlossen wurden. Vielmehr hat der Gemeinderat nach Angaben der Beklagten zuletzt eine Änderung der Friedhofssatzung mit dem Ziel, Dekorationen in begrenzter Form zuzulassen (vgl. Drucksache Nr. 171/2020), abgelehnt.

Der Ausschluss jeglicher Dekoration in der Friedhofssatzung ist auch mit höherrangigem Recht vereinbar. Der mit dem Ausschluss von Grabdekoration verbundene Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit der Hinterbliebenen nach Art. 2 Abs. 1 GG dient dem legitimen Zweck, dem Wunsch der Bevölkerung nach neuen Formen von Bestattungsmöglichkeiten – hier durch eine Einbettung der Urnengrabstellen in einen naturnahen Wald – entgegen zu kommen. Da es sich ausweislich der Friedhofsordnung der Beklagten um ein zusätzliches Angebot zu den 18 weiteren gemeindeeigenen Friedhöfen handelt und es Angehörigen bei einem Bedürfnis nach Grabschmuck freisteht, eine Grabstelle auf einem der übrigen Friedhöfe zu wählen, erweist sich der Ausschluss auch als verhältnismäßig (vgl. zur Bedeutung der Wahlmöglichkeit BVerwG, Urt. v. 08.11.1963 – VII C 148.60 – NJW 1964, 831; VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 29.03.2007 – 1 S 2118/05 – juris, Rn. 27; Urt. v. 28.06.2016 – 1 S 1243/15 – juris, Rn. 50).

Aus dem Ausschluss von Grabdekorationen in der Friedhofssatzung ergibt sich nach den oben genannten Maßstäben zur Ausübung des Hausrechts die Berechtigung der Beklagten, unzulässige Dekorationen zu entfernen. Die Maßnahmen zur Entfernung sind für den ordnungsgemäßen Betrieb der Einrichtung erforderlich, da das äußere Erscheinungsbild der gesamten Anlage für die Konzeption als Trauerort und die entsprechende Nutzung durch die Hinterbliebenen wesentlich ist.

2.

Gegen das Entfernen der Dekorationen kann sich die Klägerin nicht auf ein entgegenstehendes vertragliches Nutzungsrecht berufen.

a)

Es bedarf keiner Entscheidung, ob es sich bei dem Belegungsvertrag um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag im Sinne des § 54 LVwVfG oder um einen privatrechtlichen Vertrag handelt, wie es in § 9 Abs. 2 der Friedhofssatzung vorgesehen ist.

Vieles spricht dafür, den Vertrag der Beteiligten über das Belegungsrecht an einem Wahlbelegungsbaum als öffentlich-rechtlichen Vertrag einzustufen (vgl. ebenso Kopp/Ramsauer, VwVfG, 16. Aufl. 2015, § 54 Rn. 35; Faiß/Ruf, Bestattungsrecht Baden-Württemberg, 2012, S. 61). Insbesondere ist der Gegenstand des Vertrages – das Nutzungsrecht an einem Wahlgrab – bereits gesetzlich als öffentlich-rechtliche Rechtsposition ausgestaltet (§ 12 Abs. 2 Satz 1 BestattG). Zudem werden Nutzungsrechte an Wahlgräbern typischerweise auch durch Verwaltungsakt verliehen (vgl. Bay. VGH, Beschl. v. 21.03.2018 – 4 ZB 17.2082 – juris, Rn. 10; Barthel, GewArch Beilage WiVerw 1/2016, 22, 25). Auf die in § 9 Abs. 2 der Friedhofssatzung niedergelegte Ansicht der Beklagten, es handele sich um einen privatrechtlichen Vertrag, kommt es nicht an, da die Einordnung nicht dem Willen der Vertragsparteien unterworfen ist (vgl. Kämmerer, in: BeckOK VwVfG, § 54 Rn. 41).

Da die Auslegung jedoch nach beiden Alternativen zum gleichen Ergebnis führt, kann die Einordnung letztlich dahinstehen.

b)

Sieht man den Belegungsvertrag als privatrechtlichen Vertrag an, ist dieser nach §§ 133, 157 BGB so auszulegen, wie es Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte erfordern. Maßgeblich ist demnach nicht, wie die Empfängerin eines Vertragsangebotes dieses subjektiv verstanden hat, sondern, wie sie das Angebot nach ihrem Empfängerhorizont unter Aufwendung der gebotenen Sorgfalt verstehen musste (vgl. BGH, Urt. v. 21.05.2008 – IV ZR 238/06 – NJW 2008, 2702, 2704; Urt. v. 16.10.2012 – X ZR 37/12 – NJW 2013, 598, 599; Busche, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2018, § 133 Rn. 12). Dies bedeutet, dass die Empfängerin bei Unklarheiten nicht einfach von dem für sie günstigsten Verständnis ausgehen darf, sondern mit der gebotenen Sorgfalt prüfen muss, was die Erklärende gemeint hat. Dabei sind die Begleitumstände des Vertragsschlusses in die Auslegung einzubeziehen.

Die Auslegung des Belegungsvertrages nach diesen Maßstäben ergibt, dass eine Dekoration der Grabstelle vertraglich ausgeschlossen ist.

Hierbei ist zunächst vom Wortlaut des schriftlichen Vertrages auszugehen, der in § 5 Abs. 1 einen klar formulierten Ausschluss jeglicher Grabdekoration enthält: „Der Urnenbelegungsplatz im Ruhewald bleibt naturbelassener Waldboden. Grabschmuck in jeglicher Form ist nicht zulässig.“ Anhaltspunkte für eine abweichende Vereinbarung, wie einer Zulässigkeit naturnaher Dekoration in geringerem Ausmaß, finden sich im Wortlaut des Vertrages nicht. Einen weiteren Anhaltspunkt für die Auslegung enthält dieser nur durch die Einbeziehung der Friedhofssatzung in § 3, die – wie oben ausgeführt – ebenfalls einen vollständigen Ausschluss von Grabdekoration vorsieht.

Eine andere Auslegung ergibt sich nicht aus der Berücksichtigung der übrigen Umstände des Vertragsschlusses, insbesondere des von der von der Beklagten zusammen mit dem Vertragsentwurf übermittelten Merkblattes „Liebevolle Grüße im Einklang mit der Natur“. Nach ihrem Empfängerhorizont durfte die Klägerin das Vertragsangebot der Beklagten nicht so verstehen, dass im Gegensatz zum Wortlaut der schriftlichen Vertragsfassung Grabdekoration im Umfang des Merkblattes vertraglich erlaubt sein sollte. Zwar ist der Klägerin zuzugeben, dass die Versendung des Merkblatts auf den ersten Blick den Eindruck erwecken konnte, dass eine Grabdekoration in gewissem Umfang doch vertraglich zugelassen werden sollte, und insofern ein widersprüchliches Signal darstellte. Im Verhältnis dieser widersprüchlichen Angaben ist jedoch zu berücksichtigen, dass das Merkblatt im Gegensatz zum schriftlichen Vertragstext nicht auf die Klägerin personalisiert war, eher allgemeine und „weiche“ Formulierungen („Danach sollte die Gestaltung der Natur angepasst und mit ihr vereinbar sein“) enthielt, nicht von einem Vertreter der Beklagten unterschrieben war und im schriftlichen Vertragstext nicht in Bezug genommen wurde. Dem gegenüber kam dem schriftlichen Vertragstext zusammen mit der darin einbezogenen Friedhofssatzung erkennbar ein verbindlicherer Charakter zu. Es hätte seitens der Klägerin auch unter Berücksichtigung der Umstände des Vertragsschlusses (zeitliche Nähe zum Tod eines nahen Angehörigen) der zumutbaren Sorgfalt entsprochen, den schriftlichen Vertragstext, der mit sechs Seiten Länge und übersichtlicher Gestaltung auch für Laien ohne größere Mühe zugänglich war, vor ihrer Unterschrift zur Kenntnis zu nehmen und dessen Bedeutung für die Grabdekoration zu erkennen.

c)

Sieht man den Belegungsvertrag als öffentlich-rechtlichen Vertrag an, führt dies zu keiner anderen Auslegung.

Die Auslegung öffentlich-rechtlicher Verträge folgt aufgrund der entsprechenden Anwendung der §§ 133, 157 BGB nach § 62 Satz 2 LVwVfG den oben beschriebenen Grundsätzen (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.01.1990 – 4 C 21.89 – juris, Rn. 36 ff.; OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 02.02.2001 – 2 M 451/00 – juris, Rn. 17). Bei der Einbeziehung der übrigen Umstände des Vertragsschlusses ist jedoch zu berücksichtigen, dass diese aufgrund der notwendigen Schriftform für öffentlich-rechtliche Verträge nach § 57 LVwVfG nur für eine Auslegung herangezogen können, die im schriftlichen Vertragstext zumindest angedeutet wird (vgl. Brüning/Bosetzky, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 54 Rn. 127). Da es an einer solchen Andeutung im schriftlichen Vertragstext hinsichtlich des Merkblatts und einer möglichen Zulässigkeit von Grabdekoration fehlt, kann sich das Merkblatt schon aus diesem Grund nicht auf die Auslegung des Vertrages auswirken. Im Übrigen würde die Auslegung auch unter Einbeziehung der übrigen Umstände zu einem vertraglichen Ausschluss von Grabdekoration führen (s. oben, III.2.b).

3.

Aus der Übersendung des Merkblatts durch die Beklagte kann die Klägerin keine weiteren Rechte ableiten.

Das Merkblatt kann nicht als Zusicherung der Beklagten gegenüber der Klägerin verstanden werden, eine Dekoration auf der Urnengrabstelle dauerhaft zu dulden. Gegen eine rechtsverbindliche Wirkung spricht zum Einen die Formulierung des Merkblatts, das nicht an die Klägerin persönlich gerichtet und allgemein gehalten war, zum Anderen wiederum der Zusammenhang mit dem Vertragsschluss, denn zugleich mit dem Merkblatt hat die Beklagte der Klägerin den anderslautenden Vertragsentwurf und die Friedhofssatzung übersandt, die für die Klägerin deutlich erkennbar einen förmlicheren Charakter als das Merkblatt aufwiesen.

4.

Schließlich verletzt das Entfernen der Dekoration in der von der Beklagten gegenwärtig praktizierten Form die Klägerin nicht in ihrem Recht auf Gleichbehandlung aus Art. 3 Abs. 1 GG.

a)

Beim Einschreiten gegen rechtswidrige Zustände ist die Verwaltung nach Art. 3 Abs. 1 GG verpflichtet, gleichartige Verstöße nicht willkürlich zu verfolgen, sondern ihr Ermessen nach sachlichen Kriterien zu betätigen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 19.02.1992 – 7 B 106.91 – juris, Rn. 2; Urt. v. 26.10.2017 – 8 C 14.16 – juris, Rn. 20; Nußberger, in: Sachs, Grundgesetz, 8. Aufl. 2018, Art. 3 Rn. 117). Dabei ist es für eine ermessensfehlerfreie Vollzugspraxis nicht erforderlich, dass die Beklagte jeden Rechtsverstoß sofort und unterschiedslos verfolgt. Vielmehr kann ein Vollzugskonzept – beispielsweise mit Blick auf begrenzte Personal- und Sachressourcen – auch ein gestuftes oder zeitlich gestrecktes Vorgehen vorsehen, solange sich die Auswahl nach sachlichen Kriterien, beispielsweise der Intensität des Rechtsverstoßes, richtet (vgl. OVG Saarland, Beschl. v. 12.05.2016 – 1 B 199/15 – juris, Rn. 26 ff.).

b)

Nach diesen Maßstäben hat die Klägerin nicht zur Überzeugung der Kammer dargelegt, dass das Vorgehen der Beklagten in der jüngeren Vergangenheit ihr gegenüber willkürlich wäre.

Aus dem Vorbringen der Beteiligten und der Akte der Beklagten ist ersichtlich, dass die Beklagte im Lauf des Jahres 2018 begonnen hat, unzulässige Dekorationen von den Grabstellen im Ruhewald abzuräumen. Dabei wurden offenbar zunächst solche Dekorationen geduldet, die sich im Rahmen des oben genannten Merkblattes hielten, wie das Anschreiben an die Hinterbliebenen von 56 Grabstellen vom 24.10.2018 zeigt. Darin wird weiterhin auf das Merkblatt verwiesen und lediglich das Abräumen von darüber hinaus gehenden Dekorationen angekündigt. Im Jahr 2019 ist die Beklagte nach der eigenen Aussage dazu übergegangen, jeglichen Grabschmuck auf den Grabstellen im Ruhewald abzuräumen (vgl. Aktenvermerk zur Pressekonferenz des Bürgermeisters … am 04.06.2019).

Hinsichtlich dieser von der Beklagten vorgenommenen Maßnahmen zum Abräumen in den Jahren 2018 und 2019 ist für die Kammer nicht ersichtlich, dass diese in willkürlicher Weise allein gegen die Klägerin gerichtet gewesen wären. Für das Jahr 2018 spricht hierfür bereits, dass sich das Anschreiben der Stadt an 55 weitere Hinterbliebene neben der Klägerin richtete. Zudem hat der Sohn der Klägerin ausweislich der Akten der Beklagten im November 2018 eine Collage mit Fotos einer anderen Grabstelle (Hr. …) auf Facebook eingestellt, um das Abräumen zu kritisieren. Auch im weiteren Verlauf waren andere Hinterbliebene vom Abräumen des Grabschmucks betroffen. Allein im Artikel der Neckar-Chronik vom 07.06.2019 werden drei andere Angehörige genannt (vgl. auch Anrufe von Fr. … und Fr. … bei der Beklagten am 27.11.2019 und 13.02.2020). Auch soweit die Klägerin im Schriftsatz vom 24.04.2019 einzelne Tage und Fotos von Grabstellen anführt, auf denen Dekorationen im Gegensatz zur Grabstelle ihres verstorbenen Ehemanns belassen worden seien, ist damit noch keine willkürliche Ungleichbehandlung dargelegt. Denn die Beklagte hat hiergegen nachvollziehbar angeführt, dass unterschiedliche Momentaufnahmen auch daher rühren können, dass die Mitarbeiter der Beklagten die Dekorationen im Ruhewald nicht durchgehend kontrollieren und entfernen können und Dekorationen innerhalb von zehn Tagen nach erfolgten Beisetzungen nach § 11 Abs. 2 Satz 2 lit. c) der Friedhofssatzung zulässig sind. Gleiches gilt für die im Schriftsatz vom 02.09.2019 vorgelegten Fotos. Selbst wenn es an einzelnen Tagen und hinsichtlich der Anzahl einzelner geduldeter Blumen zu einer ungleichen Behandlung gekommen sein mag, kann dies allein die Rechtmäßigkeit der erkennbaren generellen Vollzugspraxis der Beklagten nicht in Frage stellen. Die Beklagte war auch nicht gehalten, die anfängliche Duldung von Dekorationen auf unabsehbare Zeit fortzusetzen; aus einer faktischen Duldung für eine begrenzte Zeit lässt sich keine dauerhafte Rechtsposition für die Zukunft ableiten.

Eine Verletzung des Rechts auf Gleichbehandlung der Klägerin folgt schließlich nicht daraus, dass die Beklagte im Zuge eines Gesprächskreises mit mehreren Grabpächtern seit August 2020 die Entfernung von Dekorationen wieder eingeschränkt hat. Hierzu hat der Bürgermeister der Beklagten in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar erklärt, dass es sich um eine zeitlich und sachlich beschränkte Duldung handelte, um die Führung der Gespräche und die Vorbereitung einer möglichen Änderung der Friedhofssatzung nicht zu belasten. Da dieser Prozess zeitlich bis zur Abstimmung über die Änderung der Friedhofssatzung im Gemeinderat, die zwischenzeitlich abgelehnt worden ist, und sachlich auf Dekorationen im Rahmen des früheren Merkblattes beschränkt war, handelte es sich nicht um ein willkürliches und sachfremdes Vorgehen im Vollzug. Im Übrigen hat die Beklagte glaubhaft dargestellt, dass sie nach der Ablehnung der Satzungsänderung durch den Gemeinderat alle Pächter anschreiben und die Entfernung der Dekorationen im Anfang 2021 wiederaufnehmen werde.

Soweit die Klägerin im Schriftsatz vom 13.10.2020 auf die Mitteilung einer Frau … verweist, wonach sie die von der Klägerin genutzte Grabstelle überwachen sollte und diese vorrangig abgeräumt worden sei, ist das Vorbringen nicht hinsichtlich einzelner Vorfälle und des Umfangs der auf anderen Grabstellen vorhandenen Dekoration konkretisiert. Ohne nähere Angaben ist damit kein durchgreifender Mangel des Vollzugskonzepts der Beklagten ersichtlich.

IV.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Von der Möglichkeit des § 167 Abs. 2 VwGO, die Kostenentscheidung für vorläufig vollstreckbar zu erklären, macht die Kammer keinen Gebrauch.

Die Berufung ist nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder 4 VwGO vorliegt (§ 124a Abs. 1 S. 1 VwGO).

B E S C H L U S S

Der Streitwert wird gemäß § 52 Abs. 1 GKG in Anlehnung an Nr. 15.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung der zuletzt beschlossenen Änderung vom 18.07.2013 auf 2.500,- € festgesetzt.

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