VG Köln, Beschluss vom 27.12.2021 – 7 L 2258/21

Januar 23, 2022

VG Köln, Beschluss vom 27.12.2021 – 7 L 2258/21

Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

2. Der Streitwert wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt

Gründe
Die Entscheidung ergeht gemäß § 80 Abs. 8 VwGO wegen der Dringlichkeit der Sache durch den Vorsitzenden der Kammer. Dringlich ist eine Sache, wenn weiteres Zuwarten bis zu einem Zusammentreten des Spruchkörpers zu Nachteilen im vorläufigen Rechtsschutz führen kann. Solche Nachteile hängen nicht davon ab, ob der Antrag in der Sache Erfolg hat. Vielmehr ist zu berücksichtigen, dass eine zeitliche Verzögerung auch bei ablehnender Entscheidung erster Instanz zu Rechtsnachteilen führen kann, wenn sich ein Beschwerdeverfahren anschließt. Eine eintretende Verzögerung ist daher auf die gesamte Verfahrenslaufzeit zu beziehen.

Zu den Voraussetzungen des § 80 Abs. 8 VwGO vgl. SächsOVG, Beschluss vom 20.06.2018 – 1 B 108/18 -, DVBl. 2018, 1299-1304; BVerfG, Beschluss vom 20.06.2018 – 1 B 108/18 -, NJW 2018, 40 f. mit Bspr. Halder/Ittner, ZJS 2018, 275 ff.; OVG NRW, Beschluss vom 11.04.2011 – 18 B 440/11 -, juris; W.-R. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 27. Auflage 2021, § 80 Rn. 145.

Die Voraussetzungen der angesichts der grundgesetzlichen Verbürgung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG eng zu interpretierenden Ausnahmevorschrift sind gegeben. Ein weiteres Zuwarten führte zu der Gefahr derartiger Nachteile, da angesichts des heutigen Entscheidungszeitpunktes außerhalb der allgemeinen Dienstzeiten (18,00 Uhr) und der infolge Urlaubs zweier Kammermitglieder zwischen Weihnachten und Sylvester eine Entscheidung unter Inanspruchnahme von Vertretungsrichtern erst am Folgetag praktisch möglich wäre. Der Antragsteller hebt selbst die wirtschaftliche Bedeutung des Verfahrens hervor, die angesichts eintretender Einnahmeausfälle über die Feiertage infolge der Schließung offenkundig ist. Ein weiteres Zuwarten ist ihm deshalb – auch mit Blick auf die allgemein um die Jahreswende zu erwartenden Verzögerungen – nicht zumutbar.

Der sinngemäße Antrag,

die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 15.12.2021 anzuordnen,

ist nicht begründet.

Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nr. 3 ganz oder teilweise anordnen. Nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO entfällt die aufschiebende Wirkung einer Klage u.a. in den durch Bundesgesetz vorgeschriebenen Fällen. Ein solcher Fall liegt hier in Gestalt des § 28 Abs. 3 i.V.m. § 16 Abs. 8 des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen vom 20.07.2000, zuletzt geändert durch Art. 8 Abs. 8 des Gesetzes vom 27.09.2021, BGBl. I 4530 (IfSG) vor. Demnach haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen Maßnahmen nach § 16 Abs. 1-3 und nach § 28 Abs. 1 und 2 IfSG keine aufschiebende Wirkung. Der Betroffene ist damit in diesen Fällen auf die Inanspruchnahme einstweiligen Rechtsschutzes vorwiesen. Die Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin stellt eine „Maßnahme“ im Sinne des IfSG dar. Denn der Begriff ist im Interesse eines effektiven Infektionsschutzes bewusst weit gefasst und zielt naturgemäß auf vollstreckungsfähige Verwaltungsakte.

Die Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage durch das Gericht nach § 80 Abs. 5 Satz 1, 1. Halbsatz VwGO ist wie diejenige über deren Wiederherstellung nach dem 2. Halbsatz der Norm eine Abwägungsentscheidung zwischen dem öffentlichen Interesse am Vollzug eines Verwaltungsaktes und dem privaten Interesse am Aufschub des Vollzuges bis zu einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren. In den Fällen des gesetzlich angeordneten Sofortvollzuges – hier in Gestalt von § 16 Abs. 8 IfSG – ist jedoch die gesetzgeberische Grundentscheidung für eine sofortige Vollziehung zu beachten. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist hier die Ausnahme vom gesetzlichen Regelfall. Sie setzt voraus, dass bei der gebotenen summarischen Prüfung ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Verwaltungsaktes bestehen und die Klage deshalb voraussichtlich erfolgreich ist.

Zu den Kriterien der gerichtlichen Aussetzungsentscheidung vgl. W.-R. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO-Kommentar, 27. Auflage 2021, § 80 Rn. 114.

Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

Die Antragsgegnerin hat als nach § 6 Abs. 1 des Infektionsschutz- und Befugnisgesetzes – IfSBG NRW – vom 14.04.2020 (GV. NRW, 218b), zuletzt geändert durch VO vom 21.01.2017 (GV. NRW S. 219) zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten zuständige örtliche Ordnungsbehörde den Betrieb des Club- und/oder Diskothekenbetriebes „3 Kings Lounge“ in der Hauptstraße 103 in Bergheim zunächst mündlich untersagt und diese Untersagung mit der streitbefangenen Ordnungsverfügung schriftlich bestätigt.

Die Maßnahme findet ihre Rechtsgrundlage in § 28 Abs. 1 IfSG i.V.m. § 5 Abs. 1 CoronaSchVO NRW in der Fassung vom 03.12.2021. Letztere untersagt den Betrieb von Clubs und Diskotheken und vergleichbarer Einrichtungen und ist insoweit auch durch die nachfolgendenden eng getakteten Änderungen der CoronaSchVO NRW unangetastet geblieben, sodass sich die Frage nach der vom Antragsteller geforderten Befristung der Ordnungsverfügung nicht stellt.

Grundsätzliche rechtliche Bedenken gegen die Untersagung des Betriebs von Clubs, Diskotheken und ähnlicher Einrichtungen bestehen nicht. Denn sie werden typischerweise unter besonders infektionsträchtigen Umständen betrieben. Ein Offenhalten unter 2G- oder 2G-Plus-Bedingungen stellt daher kein gleich wirksames Mittel zur Eindämmung des Infektionsgeschehens dar. Die Untersagung steht unter Berücksichtigung der derzeitigen pandemischen Lage nicht außer Verhältnis zu dem Regelungsziel, Leben und Gesundheit der Bevölkerung zu schützen und eine Überlastung der (intensiv-)medizinischen Behandlungskapazitäten zu vermeiden. Die Betreiber von Clubs und Diskotheken sind zwar durch die langen Schließungen bereits in früheren Phasen der Pandemie wirtschaftlich ganz erheblich betroffen. Dennoch müssen ihre Interessen zum gegenwärtigen Zeitpunkt erneut vorübergehend hinter die Interessen des Gesundheitsschutzes zurücktreten. Das RKI bewertet die aktuelle Entwicklung als sehr besorgniserregend. Danach sinken die Infektionszahlen im Hinblick auf die bereits bestehende hohe Belastung der Intensivstationen und die bevorstehende zusätzliche Belastung durch die zu erwartende Omikron-Welle nicht schnell genug. Eine Intensivierung der kontaktbeschränkenden Maßnahmen sei dringend erforderlich, um Zeit zu gewinnen und die Behandlungskapazitäten vor deren Beginn so weit wie möglich zu entlasten. Vor diesem Hintergrund überschreitet das Land seinen Einschätzungsspielraum voraussichtlich nicht, wenn es Clubs und Diskotheken bereits jetzt schließt, auch wenn es in Nordrhein-Westfalen noch nicht zu regionalen Überschreitungen der Intensivkapazitäten gekommen ist. Denn der Verordnungsgeber darf mit seinen Maßnahmen dem Eintritt solcher Verhältnisse vorbeugen und ist nicht gehalten, deren Eintritt abzuwarten, um erst dann zu handeln.

OVG NRW Beschlüsse vom 22.12.2021 – 13 B 1867/21.NE und 13 B 1907/21.NE -, deren Begründung derzeit nur in Gestalt einer Pressemitteilung vorliegt (www.ovg.nrw.de), der sich das erkennende Gericht aber aus eigener Überzeugung anschließt.

Der Antragsteller hat bis zum Vollzug der Schließung zumindest eine Clubs und Diskotheken ähnliche Einrichtung geführt. Auf den Umstand, dass seit dem 17.12.2021 auch vergleichbare Veranstaltungen (öffentliche Tanzveranstaltungen, private Tanz- und Diskopartys und ähnliches) erfasst sind, kommt es folglich nicht an. Angesichts des mit der CoronaSchVO NRW verfolgten Ziels des öffentlichen Gesundheitsschutzes liegt es dabei auf der Hand, dass für die infektionsschutzrechtliche Einordnung des Betriebes nicht auf den Inhalt der gaststättenrechtlichen Erlaubnis, sondern auf das real betriebene Gewerbe abzustellen ist.

Zutreffend weist die Antragsgegnerin darauf hin, dass der Antragsteller letztlich selbst nicht bestreitet, Tanzveranstaltungen zu initiieren. Seine Erklärung, es handele sich um ein „Tanzen am Tisch“ kann angesichts der Feststellung der Polizei in der Nacht vom 11.12.2021 zum 12.12.2021 nicht ernsthaft in Betracht gezogen werden. Der durch Fotos dokumentierte Betrieb zeigt vielmehr unzweifelhaft eine freie Tanzfläche, die auch entsprechend genutzt wird. Dies fügt sich in das Bild, dass der Antragsteller in seiner Werbung vermittelt, die auf prominente DJ´s hinweist. Unterstützend tritt, weil gaststättenunüblich, der Umstand hinzu, dass Frauen freier Eintritt gewährt wird. Das Gesamtbild des Betriebes geht damit deutlich über das gaststätten- und infektionsschutzrechtlich Erlaubte hinaus. Vor diesem Hintergrund ist es offenkundig eine Täuschung der zuständigen Behörden, wenn der Antragsteller bei ersten Kontrollen die Tanzfläche mit Sesseln und Tischen zugestellt hat, um den Eindruck einer genehmigten Shisha-Lounge zu vermitteln. Dies gilt auch für die Angabe, es handele sich um ein „Tanzen am Tisch“. Ein solches Gebaren zu später Stunde ist nicht nur lebensfern, sondern war auch in der Lokalität zum fraglichen Zeitpunkt unmöglich, weil die Tische von der Tanzfläche entfernt waren. Ob ein „Tanzen am Tisch“ nicht ebenfalls die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 CoronaSchVO NRW erfüllte, mag daher auf sich beruhen. Die Angabe des Antragstellers in seiner eidesstattlichen Versicherung vom 20.12.2021, es treffe nicht zu, dass sich am 12.12.2021 um 04,10 Uhr sich eine größere Gruppe tanzend auf der Tanzfläche aufgehalten habe, ist unglaubhaft. Sie ist mit den polizeilichen Feststellungen zur fraglichen Zeit völlig unvereinbar. Es liegen nicht ansatzweise Anhaltspunkte dafür vor, dass diese unzutreffend sein könnten. Auf die detaillierte Stellungnahme der Kreispolizeibehörde vom 23.12.2021 und die übersandten Fotos wird Bezug genommen. Auf die Strafbarkeit der vorsätzlichen Abgabe einer falschen Versicherung an Eides Statt gemäß § 156 StGB bleibt hinzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.

Rechtsmittelbelehrung

Gegen Ziffer 1 dieses Beschlusses kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe schriftlich bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, Beschwerde eingelegt werden.

Statt in Schriftform kann die Einlegung der Beschwerde auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) erfolgen.

Die Beschwerdefrist wird auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist schriftlich oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, eingeht.

Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht schriftlich oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen.

Die Beteiligten müssen sich bei der Einlegung und der Begründung der Beschwerde durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung im Übrigen bezeichneten ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen.

Gegen Ziffer 2 dieses Beschlusses kann innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, Beschwerde eingelegt werden. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.

Die Beschwerde ist schriftlich, zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, einzulegen.

Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.

Die Beschwerdeschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.

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