VG Neustadt an der Weinstraße, Beschluss vom 10.10.2011 – 1 L 816/11.NW

August 2, 2021

VG Neustadt an der Weinstraße, Beschluss vom 10.10.2011 – 1 L 816/11.NW

Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.

2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.171,04 € festgesetzt.

Gründe
Der vorliegende Antrag, mit dem die Antragstellerin die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen die Vorausleistungsbescheide der Antragsgegnerin vom 12. Juli 2011 begehrt, soweit dort keine Eckgrundstücksvergünstigung gewährt wurde, ist gemäß § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) statthaft.

Der Antrag ist auch unter Berücksichtigung des Erfordernisses eines vorausgegangenen behördlichen Aussetzungsverfahrens (§ 80 Abs. 4 und Abs. 6 VwGO) zulässig.

An der begehrten Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs besteht ein rechtsschutzfähiges Interesse der Antragstellerin, obwohl die Antragsgegnerin bereits die Beitragsforderung gestundet und eine Ratenzahlung bewilligt hat (ebenso Klein, Kommentar zur Abgabenordnung, § 222 AO Rn. 2; Tipke/Kruse, Kommentar zur Abgaben- und Finanzgerichtsordnung, § 69 FGO Rn. 2). Denn die Wirkung einer Aussetzung der Vollziehung durch das Gericht geht über die vereinbarte Stundung und Ratenzahlung hinaus. So fielen im Falle des Obsiegens der Antragstellerin im vorliegenden Eilverfahren keine Stundungs- oder Aussetzungszinsen an (§§ 234 und 237 AO). Zudem wären – im Gegensatz zu der bestehenden Ratenzahlungsvereinbarung – zunächst keine Zahlungen zu leisten. Zudem bestünden in diesem Falle keine vollziehbaren Fälligkeiten, auf die sich die Antragsgegnerin im Falle der Hinfälligkeit der Ratenzahlungsvereinbarung berufen könnte.

Die Antragstellerin ist zudem als Gesellschaft des bürgerlichen Rechts antragsbefugt. Denn sie ist Adressatin der Vorausleistungsbescheide vom 12. Juli 2011. Ihre Stellung als Beitragsschuldnerin und dementsprechend als materiell Betroffene der streitigen Beitragsbescheide beruht auf der einschlägigen Rechtsprechung, wonach die Gesellschaft des bürgerlichen Rechts teilrechtsfähig und materiell grundbuchfähig ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 25. September 2006 – II ZR 218/05, Juris sowie vom 4. Dezember 2008 – V ZB 74/08, Juris und OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 28. Oktober 2009 – 8 A 10285/09.OVG, ESOVGRP).

Dem Eilantrag bleibt jedoch in der Sache der Erfolg versagt. An der Rechtmäßigkeit der Heranziehung der Antragstellerin zur Vorausleistung auf einen einmaligen Beitrag für den Ausbau der Kautzengasse bestehen bei einer allein möglichen summarischen Prüfung keine ernstlichen Zweifel gemäß § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO. Ein Erfolg der Antragstellerin im Hauptsacheverfahren erscheint nach Aktenlage nicht wahrscheinlicher als ein Unterliegen (OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 2. Februar 1984 – 6 B 2/83 = AS, 18, 381; Beschluss vom 2. November 1989 – 12 B 11747/99.OVG und Beschluss vom 19. Oktober 2001- 2 B 11544/01.OVG).

Die Vorausleistungsbescheide der Antragsgegnerin beruhen auf § 10 Kommunalabgabengesetz (KAG) i.V.m. der Ausbaubeitragssatzung der Antragsgegnerin vom 27. Februar 2009 (ABS).

An der Rechtmäßigkeit der streitbefangenen Vorausleistungsbescheide bestehen in formeller Hinsicht keine ernstlichen Zweifel.

Die Bescheide sind insbesondere hinreichend bestimmt (§ 119 Abs. 1 AO). Sie führen jeweils das veranlagte Buchgrundstück (nämlich das Flurstück …) an (vgl. zum Erfordernis der Grundstücksbezeichnung: OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 23. November 2010 – 6 A 10765/10.OVG, ESOVGRP).

Die Bezeichnung des Flurstücks … als Buchgrundstück, auf dem die mit der Beitragserhebung verbundene öffentliche Last ruht, ist sachlich zutreffend, obwohl im Grundbuch für jeden Miteigentumsanteil an diesem Flurstück ein besonderes Grundbuchblatt angelegt wurde. Durch die Anlage separater Grundbuchblätter für die jeweiligen Miteigentumsanteile entstehen jedoch keine eigenständigen, im Bescheid anzugebenden Grundbuchgrundstücke. Die Anlage mehrerer Grundbuchblätter für jeden Miteigentumsanteil beruht vielmehr auf der Regelung in § 7 Abs. 1 Satz 1 Wohnungseigentumsgesetz (WEG), wonach unter Durchbrechung des in § 3 Abs. 1 Grundbuchordnung (GBO) geltenden Grundsatzes, dass jedes Grundstück eine besondere Stelle im Grundbuch erhält, im Falle von Wohnungseigentum für jeden Miteigentumsanteil ein besonderes Grundbuchblatt (Wohnungsgrundbuch) angelegt wird. Mit der Anlage des Wohnungsgrundbuchs wird das bisherige Grundbuchblatt des betroffenen Grundstücks geschlossen (§ 7 Abs. 1 Satz 3 WEG). Damit treten aber sämtliche Blätter des Wohnungsgrundbuchs in ihrer Gesamtheit an die Stelle des früheren Grundbuchs. Dem tragen die einzelnen Blätter des Wohnungsgrundbuchs Rechnung, indem die Bezeichnung des Flurstücks … in den Spalten „laufende Nummer“ und „Flurstück“ erfolgt. Auch die identische Flächenangabe in der Spalte „Größe“ der Blätter des Wohnungsgrundbuchs stellt allein auf das Flurstück … ab. Mangels Ausweisung der jeweiligen Miteigentumsanteile als separate Flurstücke bleibt es also dabei, dass allein die im Wohnungsgrundbuch ausgewiesene Flurstücksnummer das infolge der Beitragsveranlagung öffentlich belastete Grundbuchgrundstück darstellt und in den streitigen Bescheiden zutreffend bezeichnet wurde. Denn Wohnungseigentum allein stellt grundbuchrechtlich insoweit kein grundstücksgleiches Recht dar (Demharter, Grundbuchordnung, Anhang zu § 3 GBO Rn. 6).

Die Miteigentumsverhältnisse wurden von der Antragsgegnerin in den angefochtenen Bescheiden korrekt bezeichnet. Zugleich wurde dadurch klargestellt, dass trotz der Miteigentumsanteile allein die Flurstücksnummer … das beitragsrelevant genutzte Grundstück darstellt.

Schließlich begegnet auch die von der Antragsgegnerin zugrunde gelegte Eckgrundstücksregelung (§§ 7 Abs. 4 und 6 Abs. 4 ABS) keinen ernstlichen Zweifeln. Nach der Ausgestaltung der ABS scheidet die Gewährung einer Eckgrundstücksvergünstigung dann aus, wenn ein Grundstück zumindest teilweise gewerblich, industriell oder in ähnlicher Weise genutzt wird (gemischt genutzte Grundstücke).

Zwar wird die Flurstücksnummer … sowohl von der ausgebauten Kautzengasse als auch von der Hauptstraße erschlossen, so dass eine Mehrfacherschließung im beitragsrechtlichen Sinne vorliegt. Der Umstand, dass aufgrund der baulichen Situation auf dem Grundstück eine Zufahrt von jedem beliebigen Punkt des Grundstücks zu beiden Verkehrsanlagen nicht möglich ist, steht der Annahme einer Mehrfacherschließung nicht entgegen, sondern betrifft lediglich die Frage der beitragsrechtlich unbeachtlichen Binnenerschließung des Areals.

Dennoch hat die Antragsgegnerin zu Recht eine Eckgrundstücksvergünstigung versagt, weil das veranlagte Grundstück unstreitig teilweise gewerblich genutzt wird.

Der satzungsmäßige Ausschluss der Eckgrundstücksvergünstigung für gemischt genutzte Grundstücke begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (Beschluss vom 25. September 1997 – 6 B 12473/97.OVG, ESOVGRP) hat eine entsprechende Regelung ohne weitere Einschränkung akzeptiert, indem es ausgeführt hat, dass die Eckgrundstücksermäßigung auf Wohngrundstücke beschränkt werden darf. Gleichlautende satzungsrechtliche Ausgestaltungen blieben in der Folgezeit in der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz unbeanstandet. Die Versagung der Eckgrundstücksvergünstigung für gemischt genutzte Grundstücke ist in beitragsrechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden. Denn grundsätzlich erfahren solche Grundstücke durch eine Mehrfacherschließung typischer Weise auch im ländlichen Bereich gesteigerte Vorteile etwa in Gestalt erweiterter Einwirkungsmöglichkeiten auf den öffentlichen Verkehrsraum oder durch die Möglichkeit einer im Vergleich zur Einfacherschließung variableren verkehrlichen Anbindung des Grundstücks.

Bei der Ausgestaltung und Anwendung der Eckgrundstücksregelung in der Ausbaubeitragssatzung ist mit Blick auf die im Beitragsrecht anerkannten Grundsätze der Typisierung und Pauschalierung eine differenzierte Regelung für nur gering, überwiegend oder ausschließlich gewerblich genutzte Grundstücke nicht geboten. Die Antragsgegnerin durfte insoweit sogar insgesamt von einer satzungsrechtlichen Eckgrundstücksvergünstigung absehen (OVG Rheinland – Pfalz, Beschluss vom 25. September 1997, a.a.O.).

Selbst wenn man (hier hilfsweise) davon ausginge, dass das von der Antragstellerin bemühte beitragsrechtliche Differenzierungsgebot für gewerblich und ähnlich genutzte Grundstücke eine stärkere satzungsrechtliche Unterscheidung erfordern würde, so bliebe dem vorliegenden Antrag dennoch der Erfolg versagt. Denn im Falle einer Teilunwirksamkeit der bestehenden Satzungsbestimmung für (teil-)gewerblich genutzte Grundstücke blieben die restlichen Bestimmungen der ABS hiervon unberührt. Dementsprechend fehlte es in diesem Falle derzeit an einer Regelung, die eine Anwendung der Eckgrundstücksvergünstigung für das Grundstück der Antragstellerin ermöglichte.

Die Antragstellerin hat zwar darauf verwiesen, dass bei einem vollständigen Entfall der Eckgrundstücksvergünstigung – also auch für Wohngrundstücke – für sie eine Beitragsentlastung eintreten würde, weil die Gesamtverteilungsfläche sich zu ihren Gunsten vergrößerte. Es kann hier dahingestellt bleiben, ob mit Blick auf die konkreten Verhältnisse in der Kautzengasse diese Prämisse tatsächlich zutrifft. Jedoch geht die Antragstellerin bei dieser Annahme von einer zukünftigen Satzungsausgestaltung in ihrem Sinne aus. Selbst wenn die Antragsgegnerin sich zu einer solchen Regelung entschließen würde, bliebe es hinsichtlich der vorliegend zu treffenden Interessenabwägung dabei, dass derzeit die geltende Ausbaubeitragssatzung und die zumindest für Wohngrundstücke vorgesehene Eckgrundstücksvergünstigung der rechtlichen Beurteilung zugrunde zu legen ist.

Die im Verhältnis zur gesamten Nutzfläche des Anwesens relativ kleine gewerblich genutzte Fläche der Antragstellerin begründet keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Vorausleistungsbescheide. Auch hier ist mit Blick auf die Typisierungs- und Pauschalierungsmöglichkeiten keine Einzelfallbewertung geboten. Vielmehr reicht aus, dass von der gewerblichen Nutzung – hier in Gestalt eines Schönheitssalons – regelmäßig eine höhere Belastung durch Ziel- und Quellverkehr ausgeht, als bei einer rein wohnlichen Nutzung. Im Übrigen trägt die Satzung der Antragsgegnerin diesem Umstand insoweit Rechnung, als „nur“ ein Artzuschlag von 10%, statt wie bei rein gewerblich genutzten Grundstücken von 20% in Ansatz kommt.

Zuletzt bleibt dem Antrag auch mit Blick auf die von der Antragstellerin angeführte unbillige Härte der Erfolg versagt. Sie hat zwar darauf verwiesen, dass wegen Umbaukosten von 430.000,- € derzeit eine erhebliche finanzielle Belastung zu bewältigen sei. Dies genügt aber nicht, um eine Aussetzung der Vollziehung zu begründen. Denn die Antragstellerin hat damit keine Nachteile dargelegt, die über die eigentliche Zahlung des geschuldeten Beitrages hinausgehen oder die nur schwer wieder gut zu machen sind (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 25. September 1997, a.a.O.). In diesem Zusammenhang soll nicht unerwähnt bleiben, dass die Antragstellerin selbst eine Ratenzahlung angeboten hat, auf die die Antragsgegnerin eingegangen ist. Vor diesem Hintergrund ist hier nicht hinreichend dargelegt, dass die – im Vergleich zur Investitionssumme – eher niedrige beitragsrechtliche Belastung nicht mehr rückgängig zu machende schwerste wirtschaftliche Nachteile für die Antragstellerin bedingt, die trotz des bestehenden öffentlichen Finanzierungsinteresses hier eine Durchbrechung des Grundsatzes begründeten, dass die Anforderung öffentlicher Abgaben sofort vollziehbar ist (vgl. § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

Nach alledem bleibt dem Antrag mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO der Erfolg versagt.

Die Festsetzung des Streitwerts folgt den §§ 52 Abs. 3, 53, 63 GKG. Die Kammer berücksichtigt hierbei, dass die Antragstellerin mit ihrem Rechtsschutzbegehren die Anwendung der Eckgrundstücksvergünstigung anstrebt, was im Hauptsacheverfahren zur Halbierung der streitigen Beitragslast führen würde. Weiterhin ist im Verfahren gemäß § 80 Abs. 5 VwGO nach Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 7./8. Juli 2004 im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ein Viertel des Hauptsacheverfahrens anzusetzen.

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