Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Nutzung des besonderen Behördenpostfachs

April 26, 2020

Hessischer Verwaltungsgerichtshof 4. Senat
4 A 2387/19.Z.A

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Nutzung des besonderen Behördenpostfachs

Der Nutzer des besonderen Behördenpostfachs hat durch geeignete organisatorische und technische Maßnahmen sicherzustellen, dass nur Dokumente seinen Machtbereich verlassen, die den Anforderungen des § 55a VwGO genügen. Danach kann die bloße Unkenntnis über den Versand eines Dokuments ohne den nötigen vertrauenswürdigen Herkunftsnachweis den Nutzer nicht entlasten.

Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Kassel vom 9. September 2019 wird verworfen.

Die Beklagte hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen; Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Kassel ist unzulässig und daher zu verwerfen. Innerhalb der einmonatigen Antragsfrist des § 78 Abs. 4 Satz 1 AsylG, die mit Zustellung des angefochtenen Urteils am 17. September 2019 zu laufen begann, wurde weder schriftlich (§ 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 81 Abs. 1 Satz 1 VwGO) noch wirksam als elektronisches Dokument (§ 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 55a VwGO) ein Zulassungsantrag gestellt. Gründe für die Wiedereinsetzung in die versäumte Zulassungsantragsfrist nach § 60 VwGO liegen nicht vor.

Der beim Verwaltungsgericht am 14. Oktober 2019 eingegangene Schriftsatz der Beklagten vom 11. Oktober 2019 konnte die Zulassungsantragsfrist nicht wahren, weil er formunwirksam war. Dem auf elektronischem Wege an das Verwaltungsgericht übermittelten Schriftsatz mangelte es an der elektronischen Signatur nach § 55a Abs. 3 Alt. 1 VwGO; er enthielt lediglich eine einfache Signatur in Form des maschinenschriftlichen Namenszugs der Urheberin des Schriftsatzes. Eine derartige einfache Signatur ist nicht nach § 55a Abs. 3 Alt. 2 VwGO i.V.m. § 55a Abs. 4 Nr. 3 VwGO zur Formwahrung ausreichend, weil der Zulassungsantrag nicht auf einem sicheren Übertragungsweg eingereicht wurde. Der in der Gerichtsakte befindliche, dem Schriftsatz vom 11. Oktober 2010 zugehörige Transfervermerk (Bl. 187 GA) enthält den vertrauenswürdiger Herkunftsnachweis „sicherer Übermittlungsweg aus einem besonderen Behördenpostfach“ nicht (vgl. dazu auch OVG Sachsen, Beschluss vom 16. Dezember 2019 – 4 A 1158/19.A -, juris Rdnr. 5 f).

Der nicht formwahrend beim Verwaltungsgericht eingegangene Zulassungsantrag kann auch nicht deshalb als die Zulassungsantragsfrist wahrend angesehen werden, weil sich aus anderen Anhaltspunkten die Gewähr für die Urheberschaft und den Willen des Urhebers des Schriftsatzes ergibt, das Schreiben in den Rechtsverkehr zu geben (vgl. dazu bei der fehlenden Unterschrift: BVerwG, Beschluss vom 5. Februar 2003 – 1 B 31.03 -, juris Rdnr. 1). Denn der Wille des Berechtigten (hier der verantwortenden Person im Sinne von § 55a Abs. 3 VwGO), ein elektronisches Dokument in den Rechtsverkehr zu bringen, lässt sich ohne qualifizierte elektronische Signatur der verantwortenden Person bzw. ohne einen vertrauenswürdigen Herkunftsnachweis gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 4 ERVV im Falle der Übermittlung aus einem besonderen Behördenpostfach nicht ohne weitere Ermittlungen feststellen. Nur der vertrauenswürdige Herkunftsnachweis belegt, dass eine der gemäß § 8 ERVV zugangsberechtigten Personen zum Zeitpunkt der Erstellung der Nachricht mittels Zertifikat und Passwort sicher am besonderen Behördenpostfach angemeldet war und die Nachricht, der das elektronische Dokument angehängt wurde, versandt hat. Nur dadurch wird belegt, dass das elektronische Dokument mit Wissen und Willen des Berechtigten übermittelt wurde (vgl. hierzu OVG Sachsen, Beschluss vom 16. Dezember 2019 – 4 A 1158/19.A -, juris Rdnr. 9).

Der Beklagten kann auch nicht nach § 60 Abs. 1 VwGO die von ihr mit Schriftsatz vom 29. November 2019, eingegangen bei Gericht am selben Tag, beantragte Wiedereinsetzung in die versäumte Zulassungsantragsfrist gewährt werden. Sie war nicht ohne Verschulden gehindert, die Frist einzuhalten.

Ein Verschulden im Sinne des § 60 Abs. 1 VwGO liegt vor, wenn diejenige Sorgfalt außer Acht gelassen wird, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden geboten ist und die ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falles zumutbar war. Zu der zu fordernden Sorgfalt gehört auch eine wirksame Ausgangskontrolle von Fristsachen, die gewährleistet, dass der tatsächliche Abgang fristwahrender Schriftsätze zweifelsfrei nachgewiesen werden kann. Danach sind die Büroabläufe so zu organisieren, dass eine wirksame Ausgangskontrolle durchgeführt werden kann, die den Ausgang fristwahrender Schriftsätze sicherstellt und den Nachweis darüber ermöglicht. Diese Sorgfaltsanforderungen gelten nicht nur für Rechtsanwälte, sondern auch für Behörden (vgl. W.-R. Schenke, VwGO, 25. Aufl. 2019, § 60 Rdnr. 20, ff., m.w.N.).

Der Beklagten ist danach ein Organisationsverschulden zur Last zu legen, da sie nicht gewährleistet hat, dass eine wirksame Ausgangskontrolle möglich ist. In ihrem Zulassungsantrag führt sie aus, dass der zuständige Sekretariatsmitarbeitende die Anwendung „besonderes Behördenpostfach“ mit der dort dauerhaft hinterlegten Transportsignatur öffne. In der Behördenpostfachnachricht würden sodann das zuständige Gericht, an welches das Schriftstück versendet werden solle, das Gerichtsaktenzeichen und das Aktenzeichen der Beklagten eingetragen. Danach erfolge das Einfügen des Schriftsatzes in die Behördenpostfachnachricht und per Auswahl der entsprechenden Schaltfläche die Versendung der Nachricht mit dem Schriftstück. Nach dem Versand erstelle das System automatisiert ein Sendeprotokoll, das durch die Mitarbeitenden im Verfahrenssekretariat auf Vollständigkeit der Übermittlung und etwaige Fehlermeldungen überprüft und danach in das Aktenführungssystem eingepflegt werde. Anhand des Sendeprotokolls lasse sich allerdings nicht erkennen, ob das Dokument per besonderem Behördenpostfach oder lediglich über das EGVP übermittelt worden sei.

Dieser Verfahrensablauf wird den zu stellenden Sorgfaltsanforderungen nicht gerecht. Vielmehr obliegt es der Beklagten, durch geeignete organisatorische und technische Maßnahmen sicherzustellen, dass nur formwirksame Schriftsätze und demgemäß auf elektronischem Wege nur Dokumente ihren Machtbereich verlassen, die den Anforderungen des § 55a VwGO genügen. Der Senat hat keinen Anlass, daran zu zweifeln, dass die Implementierung derartiger technischer Maßnahmen möglich ist (vgl. dazu auch OVG Sachsen, Beschluss vom 16. Dezember 2019 – 4 A 1158/19.A -, Rdnr. 12; OVG Thüringen, Beschluss vom 28. Januar 2020 – 3 ZKO 796/19 -, juris Rdnr. 18). Danach kann die bloße Unkenntnis über den Versandt ohne den nötigen vertrauenswürdigen Herkunftsnachweis die Beklagte nicht entlasten. Ihren oben beschriebenen Sorgfaltspflichten hätte sie nur genügt, wenn sie – ggf. unter Mithilfe der von ihr beauftragten externen EDV-Dienstleister – für geeignete technische Vorkehrungen für eine wirksame Ausgangskontrolle gesorgt hätte (so auch OVG Sachsen, Beschluss vom 16. Dezember 2019 – 4 A 1158/19.A juris Rdnr. 12; OVG Thüringen, Beschluss vom 28. Januar 2020- 3 ZKO 796/19 -, juris Rdnr. 19).

Ungeachtet des Verschuldens der Beklagten kann ihr Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Stellung des Zulassungsantrages auch nicht deshalb gewährt werden, weil sich der Verstoß gegen die ihr obliegenden Sorgfaltspflichten auf die Fristversäumnis nicht ausgewirkt hat (vgl. dazu Urteil des Senats vom 4. Dezember 2019 – 4 A 2330/19.A -). Insbesondere hat hier zur Fristversäumnis nicht beigetragen, dass das Gericht gegen ihm obliegende Hinweispflichten verstoßen hätte.

Es entspricht zwar der Rechtsprechung des Senats, dass aus dem Gebot eines fairen Verfahrens eine gerichtliche Fürsorgepflicht gegenüber den Verfahrensbeteiligten folgt. Geht ein nicht formwahrender Schriftsatz so zeitig bei dem mit der Sache befassten Gericht ein, dass er auf entsprechenden gerichtlichen Hinweis innerhalb der noch laufenden Rechtsmittelbegründungsfrist ohne Weiteres nochmals formwahrend übersandt werden kann, ist das Gericht nach der aus dem Gebot des fairen Verfahrens (Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 19 Abs. 4, 20 Abs. 3 GG ) folgenden Fürsorgepflicht gehalten, den Verfahrensbeteiligten auf einen – leicht erkennbaren – Formmangel hinzuweisen und ihm damit die Gelegenheit zu geben, den Fehler fristgerecht zu beheben (vgl. Urteil des Senats vom 4. Dezember 2019 – 4 A 2330/19.A -, m.w.N.). Hier war zwar durch die Einsichtnahme in den Transportvermerk unschwer erkennbar, dass der am 14. Oktober 2019 elektronisch übersandte Schriftsatz vom 11. Oktober 2019 nicht auf einem sicheren Übermittlungsweg im Sinne des § 55a Abs. 4 VwGO bei Gericht eingereicht wurde und auch nicht mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen war. Trotzdem bestand für den Senat keine besondere Hinweispflicht (mehr), weil am Tage des Eingangs der Akten beim Verwaltungsgerichtshof am 18. Oktober 2019 die Frist zur Stellung des Zulassungsantrages bereits abgelaufen war.

Ob das Verwaltungsgericht überhaupt verpflichtet war, die Beklagte anstelle des Rechtsmittelgerichts auf den Mangel bei der elektronischen Übermittlung des Zulassungsantrages hinzuweisen (verneinend OVG Sachsen, Beschluss vom 16. Dezember 2019 – 4 A 1158/19.A -, juris Rdnr. 20), bedarf hier keiner Entscheidung. Das Unterlassen eines solchen Hinweises hat sich jedenfalls nicht ausgewirkt. Die Prozessbeteiligten können lediglich erwarten, dass eingehende Schriftsätze im ordnungsgemäßen Geschäftsgang innerhalb angemessener Zeit auf offenkundige Formmängel überprüft und im ordnungsgemäßen Geschäftsgang die notwendigen Maßnahmen getroffen werden, um eine drohende Fristversäumung zu vermeiden (vgl. insoweit zur fehlenden Unterschrift eines fristwahrenden Schriftsatzes: BVerwG, Beschluss vom 2. Februar 2000 – 7 B 154/99 -, juris Rdnr. 1; OVG Sachsen, Beschluss vom 16. Dezember 2019 – 4 A 1158/19.A -, m.w.N.). Da der Berufungszulassungsantrag vom 11. Oktober 2019 erst am 14. Oktober 2019 und mithin zwei Tage vor Fristablauf am 16. Oktober 2019 beim Verwaltungsgericht eingegangen ist, durfte die Beklagte nicht davon ausgehen, dass dem Verwaltungsgericht der formunwirksame Eingang des Zulassungsantrages bei fristgerechter Bearbeitung der Sache im ordentlichen Geschäftsgang so frühzeitig auffällt, dass auf einen im ordnungsgemäßen Geschäftsgang erfolgenden Hinweis der Berufungszulassungsantrag nochmals form- und fristwahrend hätte übersandt werden können. Ordentlicher Geschäftsgang bedeutet nämlich nicht, dass das Verwaltungsgericht Eilmaßnahmen (beispielsweise Telefax oder Telefonanruf) ergreifen muss (vgl. Bier/Steinbeiß-Winkelmann in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 37. Ergänzungslieferung Juli 2019, § 60 Rdnr. 49).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83b AsylG nicht erhoben.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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