Zur Erforderlichkeit eines durch eine Allgemeinverfügung angeordneten Verbots planmäßig unangemeldeter Versammlungen („Corona-Spaziergänge“).

Januar 31, 2022

VG Karlsruhe Beschluß vom 27.1.2022, 4 K 185/22

Zur Erforderlichkeit eines durch eine Allgemeinverfügung angeordneten Verbots planmäßig unangemeldeter Versammlungen („Corona-Spaziergänge“).

Tenor

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin vom 19. Dezember 2021 wird hinsichtlich deren Nr. 1 Buchst. c) wiederhergestellt und hinsichtlich deren Nr. 2 angeordnet.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

1
Der sachdienliche Antrag des Antragstellers,
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die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs vom 19. Januar 2022 gegen Nr. 1 Buchst. c) der Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin vom 19. Dezember 2021 wiederherzustellen und gegen Nr. 2 der Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin vom 19. Dezember 2021 anzuordnen,
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ist zulässig (1.) und begründet (2.).
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1. Der Antrag ist hinsichtlich der in Nr. 1 Buchst. c) der angegriffenen Allgemeinverfügung erlassenen Untersagung nicht angezeigter und nicht behördlich bestätigter Versammlungen gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 in Verbindung mit Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO statthaft, da die Antragsgegnerin in Nr. 3 der angegriffenen Allgemeinverfügung die sofortige Vollziehung dieses Verwaltungsakts angeordnet hat. Hinsichtlich der Androhung unmittelbaren Zwangs in Nr. 2 der angegriffenen Allgemeinverfügung folgt die Statthaftigkeit des Antrags aus § 80 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 12 Satz 1 LVwVG.
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Der Antrag ist auch im Übrigen zulässig. Insbesondere verfügt der Antragsteller über die erforderliche Antragsbefugnis. Mit Nr. 1 Buchst. c) der angegriffenen Allgemeinverfügung hat die Antragsgegnerin alle mit generellen Aufrufen zu „Montagsspaziergängen“ oder „Spaziergängen“ in Zusammenhang stehenden, nicht angezeigten und nicht behördlich bestätigten Versammlungen und Ersatzversammlungen auf ihrer Gemarkung unabhängig vom Wochentag und unabhängig davon, ob einmalig oder wiederkehrend stattfindend, untersagt. Hiergegen bringt der Antragsteller vor, in seinem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit aus Art. 8 GG verletzt zu sein. Bereits in der Vergangenheit habe er auf Gemarkung der Antragsgegnerin an Versammlungen „zum Thema Corona-Maßnahmen“ teilgenommen und beabsichtige, dies auch in Zukunft zu tun. Diese Absicht beziehe sich auch auf die Teilnahme an sowohl sich spontan entwickelnden als auch geplanten, nach dem Verständnis der Kammer aber unangemeldeten Versammlungen, die dem Verbot in Nr. 1 Buchst. c) der angegriffenen Allgemeinverfügung unterfallen. Es kann daher nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass der Antragsteller durch diesen Verwaltungsakt in seiner Versammlungsfreiheit verletzt wird.
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2. Der Antrag ist auch begründet.
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a) Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht auf der Grundlage einer eigenen Abwägung der widerstreitenden Vollzugs- und Suspensivinteressen. Wesentliches Element dieser Interessenabwägung ist die Beurteilung der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache, die dem Charakter des Eilverfahrens entsprechend nur aufgrund einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage erfolgen kann. Ist es – wegen der besonderen Dringlichkeit einer alsbaldigen Entscheidung oder wegen der Komplexität der Sach- und Rechtsfragen – nicht möglich, die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache wenigstens summarisch zu beurteilen, so sind alleine die einander gegenüberstehenden Interessen unter Berücksichtigung der mit der Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einerseits und deren Ablehnung andererseits verbundenen Folgen zu gewichten (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19.12.2014 – 7 VR 5.14 – juris Rn. 9 m.w.N.). Allerdings müssen die Verwaltungsgerichte schon im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes durch eine intensivere Prüfung dem Umstand Rechnung tragen, dass der Sofortvollzug eines Versammlungsverbots in der Regel zur endgültigen Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung führt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.05.1985 – 1 BvR 233/81 – BVerfGE 69, 315, juris Ls. 5). Soweit möglich, ist als Grundlage der gebotenen Interessenabwägung die Rechtmäßigkeit der Maßnahme in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht daher nicht nur summarisch zu prüfen (vgl. VG Karlsruhe, Beschluss vom 17.01.2022 – 14 K 119/22 – juris 60 m. w. N.).
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b) Gemessen hieran ist die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen Nr. 1 Buchst. c) der angegriffenen Allgemeinverfügung wiederherzustellen und gegen Nr. 2 dieser Allgemeinverfügung anzuordnen. Zwar begegnet die Anordnung der sofortigen Vollziehung in Nr. 3 der angegriffenen Allgemeinverfügung keinen formellen Bedenken (aa). Jedoch erweist sich Nr. 1 Buchst. c) als voraussichtlich rechtswidrig, weshalb der Widerspruch des Antragstellers voraussichtlich Erfolg haben wird und daher sein Interesse, von der Vollziehung dieses Verwaltungsakts einstweilen verschont zu bleiben, das öffentliche Vollziehungsinteresse überwiegt (bb). Gleiches gilt hinsichtlich der Androhung unmittelbaren Zwangs in Nr. 2 der angegriffenen Allgemeinverfügung (cc).
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aa) Die Anordnung der sofortigen Vollziehung von Nr. 1 Buchst. c) in Nr. 3 der angegriffenen Allgemeinverfügung begegnet in formeller Hinsicht keinen Bedenken. Solche macht der Antragsteller mit seinem Antrag auch nicht geltend. Die Antragsgegnerin führt in der Begründung der angegriffenen Allgemeinverfügung insoweit aus, der Abschluss eines etwaigen Rechtsmittelverfahrens könne nicht abgewartet werden, weil sonst die dringende Gefahr irreparabler Schäden für die mit dieser Allgemeinverfügung zu schützenden Rechtsgüter Leib und Leben bestünde und die Verwirklichung strafbarer Handlungen und Ordnungswidrigkeiten drohe. Dies wird den Anforderungen von § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO noch gerecht (so auch VG Karlsruhe, Beschluss vom 21. Dezember 2021 – 3 K 4579/21 – juris Rn. 17 ff.).
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bb) Das präventive Verbot unangemeldeter Versammlungen in Nr. 1 Buchst. c) der angegriffenen Allgemeinverfügung erweist sich hingegen als rechtswidrig. Es beruht zwar auf einer tauglichen Rechtsgrundlage (1) und ist wohl auch frei von formellen Mängeln (2). Jedoch wird es den materiellen Anforderungen, die an derartige Versammlungsverbote zu stellen sind, nicht gerecht (3).
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(1) Rechtsgrundlage für das in Nr. 1 Buchst. c) der angegriffenen Allgemeinverfügung erlassene Versammlungsverbot ist nach zutreffender Auffassung der Antragsgegnerin § 15 Abs. 1 VersG in Verbindung mit § 12 Abs. 2 CoronaVO. Gemäß § 15 Abs. 1 VersG kann die zuständige Behörde eine Versammlung oder einen Aufzug verbieten, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist. Nach § 12 Abs. 2 CoronaVO können Versammlungen verboten werden, sofern der Schutz vor Infektionen anderweitig, insbesondere durch Auflagen, nicht erreicht werden kann. Die Anwendung dieser Vorschriften zur Abwendung von Gefahren, die von einem erhöhten Infektionsrisiko ausgehen, ist nicht dadurch gesperrt, dass der an die Gesundheitsbehörden adressierte, die versammlungsrechtliche Befugnisnorm des § 15 Abs. 1 VersG lediglich ergänzende und bereichsspezifisch konkretisierende § 28a Abs. 8 Satz 1 Nr. 3 IfSG nach dem Ende einer durch den Deutschen Bundestag festgestellten epidemischen Lage von nationaler Tragweite die Untersagung von Versammlungen oder Aufzügen als mögliche Schutzmaßnahme ausdrücklich ausschließt (vgl. VG Stuttgart, Beschluss vom 12.01.2022 – 1 K 80/22 – juris Rn. 16 m.w.N.; VG Karlsruhe, Beschluss vom 17.01.2022 – 14 K 119/22 – juris Rn. 80).
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(2) Formelle Gründe, die zur Rechtswidrigkeit der angegriffenen Allgemeinverfügung führen könnten, werden vom Antragsteller nicht geltend gemacht und sind auch sonst nicht ersichtlich. Insbesondere war die Antragsgegnerin als Kreispolizeibehörde für den Erlass der Allgemeinverfügung sachlich und örtlich zuständig (§ 1 Abs. 1 Nr. 1, § 2 VersGZuVO, § 107 Abs. 3 PolG, § 15 Abs. 1 Nr. 2 LVG) und wurde diese ordnungsgemäß bekannt gemacht (vgl. insoweit VG Karlsruhe, Beschluss vom 21. Dezember 2021 – 3 K 4579/21 – juris Rn. 25 ff.).
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(3) Allerdings ist Nr. 1 Buchst. c der angegriffenen Allgemeinverfügung aus materiell-rechtlichen Gründen zu beanstanden. Sie ist zwar hinreichend bestimmt (a), wird den an sie zu stellenden verfassungsrechtlichen Anforderungen jedoch nicht gerecht (b).
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(a) Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist Nr. 1 Buchst. c) der angegriffenen Allgemeinverfügung hinreichend bestimmt. Soweit er hiergegen geltend macht, es sei unklar, ob ihr Regelungsbereich auch Spaziergänge erfasse, die allein Erholungszwecken dienten, vermag die Kammer dem nicht zu folgen. Sowohl aus dem verfügenden Teil als auch aus der Begründung der angegriffenen Allgemeinverfügung wird deutlich, dass das unter Nr. 1 Buchst. c) der angegriffenen Allgemeinverfügung erlassene Versammlungsverbot sich gegen anmeldefähige, aber entgegen § 14 VersG bewusst nicht angemeldete Aufzüge richtet, mit denen gegen die Corona-Maßnahmen protestiert werden soll (so auch VG Karlsruhe, Beschluss vom 21. Dezember 2021 – 3 K 4579/21 – juris Rn.32; vgl. ferner VG Stuttgart, Beschluss vom 12.01.2022 – 1 K 80/22 – juris Rn. 19). Damit scheiden andere Handlungsweisen aus dem Anwendungsbereich dieser Regelung aus.
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(b) Die Antragsgegnerin hat bei Erlass von Nr. 1 Buchst. c) der angegriffenen Allgemeinverfügung die verfassungsrechtlichen Vorgaben verkannt, die sich aus Art. 8 GG ergeben und in dessen Licht § 15 Abs. 1 VersG und § 12 Abs. 2 CoronaVO auszulegen sind.
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(aa) Art. 8 Abs. 1 GG gewährleistet allen Deutschen das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Eine Versammlung ist eine örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24.10.2011 – 1 BvR 1190/90 u.a. – BVerfGE 104, 92, juris Rn. 41). Als Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe, die auch und vor allem andersdenkenden Minderheiten zugutekommt, ist die Versammlungsfreiheit für eine freiheitlich demokratische Staatsordnung konstituierend (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.05.1985 – 1 BvR 233/81 u.a. – BVerfGE 69, 315, juris Rn. 66; Beschluss vom 20.12.2012 – 1 BvR 2794/10 – NVwZ 2013, 570, juris Rn. 16).
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Art. 8 Abs. 1 GG gewährleistet auch das Recht, selbst zu bestimmen, wann, wo und unter welchen Modalitäten eine Versammlung stattfinden soll (vgl. BVerfG, Urteil vom 22.02.2011 – 1 BvR 699/06 – BVerfGE 128, 226, juris Rn. 64). Der Schutz des Grundrechts besteht unabhängig davon, ob die Versammlung anmeldepflichtig ist und dementsprechend angemeldet wird; er endet (erst) mit der rechtmäßigen Auflösung der Versammlung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20.06.2014 – 1 BvR 980/13 – NJW 2014, 2706, juris Rn. 17 m.w.N.). Ebenso stellt die „veranstalterlose“ Versammlung eine Versammlung im Sinne von Art. 8 GG dar. Dabei ersetzen alternative Kommunikationsstrukturen – wie etwa persönliche Kontaktsysteme, Informationsblätter, Internetnutzung – zentrale Planung und Koordination und bringen Gruppen und einzelne zu Versammlungen zusammen. Für diese Veranstaltungen ist spezifisch, dass sie dezentral und auf der Grundlage von Kooperation und gegenseitig akzeptierter Autonomie stattfinden. Die an den Veranstalter gerichteten Pflichten können bei solchen Veranstaltungen deshalb suspendiert beziehungsweise modifiziert sein (vgl. zum Ganzen VG Stuttgart, Beschluss vom 12.01.2022 – 1 K 80/22 – juris Rn. 22 m.w.N.). Die von Nr. 1 Buchst. c) der angegriffenen Allgemeinverfügung in den Blick genommenen geplanten, aber nicht angemeldeten Versammlungen, die sich gegen die Corona-Schutzmaßnahmen richten, unterfallen somit dem Schutz der Versammlungsfreiheit.
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Die Versammlungsfreiheit ist hingegen nicht vorbehaltlos gewährleistet. Nach Art. 8 Abs. 2 GG können Versammlungen unter freiem Himmel durch Gesetz – wie 15 Abs. 1 VersG – oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden. Derartige Beschränkungen sind jedoch im Licht der grundlegenden Bedeutung von Art. 8 Abs. 1 GG auszulegen.
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Da die Versammlungsfreiheit, ähnlich wie die Meinungsfreiheit, für die Persönlichkeitsentfaltung des Einzelnen und für die demokratische Ordnung grundlegende Bedeutung besitzt und Verbot und Auflösung einer Versammlung die intensivsten Eingriffe in dieses Grundrecht darstellen, sind sie an strenge Voraussetzungen gebunden und dürfen nur ausgesprochen werden, wenn dies zum Schutz gleichwertiger Rechtsgüter notwendig ist und wenn eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung abgewendet werden muss (vgl. BVerfG, Beschluss vom 01.12.1992 – 1 BvR 88/91 u.a. – BVerfGE 87, 399, juris Rn. 52). Verbot oder Auflösung setzen zum einen als ultima ratio voraus, dass das mildere Mittel der Auflagenerteilung ausgeschöpft ist. Zum anderen wird die behördliche Eingriffsbefugnis dadurch begrenzt, dass Verbote und Auflösungen nur bei einer „unmittelbaren Gefährdung“ der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung statthaft sind. Durch das Erfordernis der Unmittelbarkeit werden die Eingriffsvoraussetzungen stärker als im allgemeinen Polizeirecht eingeengt. Erforderlich ist im konkreten Fall jeweils eine Gefahrenprognose. Diese enthält zwar stets ein Wahrscheinlichkeitsurteil; dessen Grundlagen können und müssen aber ausgewiesen werden. Demgemäß bestimmt das Gesetz, dass die Prognose auf „erkennbaren Umständen“ beruhen muss, also auf Tatsachen, Sachverhalten und sonstigen Einzelheiten; ein bloßer Verdacht oder Vermutungen können nicht ausreichen. Für die Gefahrenprognose können Ereignisse im Zusammenhang mit früheren Versammlungen als Indizien herangezogen werden, soweit sie bezüglich des Mottos, des Ortes, des Datums sowie des Teilnehmer- und Organisatorenkreises Ähnlichkeiten zu der geplanten Versammlung aufweisen (vgl. dazu nur BVerfG, Beschluss vom 12.05.2010 – 1 BvR 2636/04 – BVerfGK 17, 303, juris Rn. 17). Unter Berücksichtigung der grundlegenden Bedeutung der Versammlungsfreiheit darf die Behörde insbesondere bei Erlass eines vorbeugenden Verbotes keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen, zumal ihr bei irriger Einschätzung noch die Möglichkeit einer späteren Auflösung verbleibt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.05.1985 – 1 BvR 233/81 u.a. – BVerfGE 69, 315, juris Rn. 79 f.; Beschluss vom 04.09.2010 – 1 BvR 2298/10 – juris Rn. 6).
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Der Begriff der „öffentlichen Sicherheit“ umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.05.1985 – 1 BvR 233/81 u.a. – BVerfGE 69, 315, juris Rn. 77). Zu den prinzipiell gleichwertigen anderen Rechtsgütern, zu deren Schutz Eingriffe in die Versammlungsfreiheit gerechtfertigt werden können, gehört insbesondere das Grundrecht Dritter auf Leben und körperliche Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30.08.2020 – 1 BvQ 94/20 – NVwZ 2020, 1508, juris Rn. 16). Eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit setzt eine konkrete Sachlage voraus, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die der Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Rechtsgüter führt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.12.2007 – 1 BvR 2793/04 – BVerfGK 13, 82, juris Rn. 20). Nach den allgemeinen Regeln des Verwaltungsrechts, die auf die Konzeption der Grundrechte als Abwehrrechte abgestimmt sind, liegt dabei die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Verbotsgründen bei der Behörde (vgl. BVerfG, Beschluss vom 04.09.2010 – 1 BvR 2298/10 – juris Rn. 13).
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Die Gewährleistung des Art. 8 GG schließt es nicht von vornherein aus, auf der Grundlage des § 15 VersG auch eine Versammlung in Gänze präventiv zu untersagen. Jedoch ist bevorzugt eine nachträgliche Auflösung zu erwägen, die den friedlichen Teilnehmern die Chance einer Grundrechtsausübung nicht von vornherein abschneidet und dem Veranstalter den Vorrang bei der Isolierung unfriedlicher Teilnehmer belässt. Ein vorbeugendes Verbot der gesamten Veranstaltung wegen befürchteter Ausschreitungen einer gewaltorientierten Minderheit oder wegen sonstiger Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ist hingegen nur unter strengen Voraussetzungen und unter verfassungskonformer Anwendung des § 15 VersG statthaft. Die Pflicht zur optimalen Wahrung der Versammlungsfreiheit mit den daraus folgenden verfahrensrechtlichen Anforderungen gebietet unter anderem eine hohe Wahrscheinlichkeit in der Gefahrenprognose sowie die vorherige Ausschöpfung aller sinnvoll anwendbaren Mittel, die eine Grundrechtsverwirklichung der friedlichen Demonstranten ermöglichen. Insbesondere setzt das Verbot der gesamten Demonstration als ultima ratio voraus, dass das mildere Mittel, durch Kooperation mit den friedlichen Demonstranten eine Gefährdung zu verhindern, gescheitert ist oder dass eine solche Kooperation aus Gründen, welche die Demonstranten zu vertreten haben, unmöglich war (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.05.1985 – 1 BvR 233/81 u.a. – BVerfGE 69, 315, juris Rn. 93).
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Abweichend vom Wortlaut des § 15 Abs. 1 VersG, kommt es im vorliegenden Fall für die Beurteilung des Vorliegens einer unmittelbaren Gefährdungslage maßgeblich auf die Sachlage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung an. Denn bei dem in Nr. 1 Buchst. c) der angegriffenen Allgemeinverfügung enthaltenen präventiven, auf den Zeitraum vom 19.12.2021 bis zum 31.01.2022 bezogenen Versammlungsverbot handelt es sich um einen Dauerverwaltungsakt, der seine Regelungswirkung ständig neu entfaltet. Im einstweiligen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO, der sich gegen zukünftige Rechtswirkungen des angefochtenen Verwaltungsaktes richtet, ist dessen Rechtmäßigkeit daher nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung zu beurteilen (vgl. VG Karlsruhe, Beschluss vom 17.01.2022 – 14 K 119/22 – juris Rn. 89 m. w. N.).
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(bb) Diesem Maßstab wird das Versammlungsverbot in Nr. 1 Buchst. c) der angegriffenen Allgemeinverfügung nicht gerecht.
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Bereits die von der Antragsgegnerin angestellte Gefahrenprognose zur Begründung einer unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Sicherheit durch unangemeldete Versammlungen, die sich gegen die geltenden Corona-Schutzmaßnahmen richten, ist nicht frei von rechtlichen Bedenken.
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Die Begründung der Allgemeinverfügung und die Ausführungen der Antragsgegnerin in ihrer Antragserwiderung legen nahe, dass sie sich schon aufgrund des prognostizierten Verstoßes künftiger Versammlungen gegen die Anmeldepflicht aus § 14 VersG befugt sah, unangemeldete Versammlungen der in Nr. 1 Buchst. c) der angegriffenen Allgemeinverfügung näher bezeichneten Art präventiv zu untersagen. Hierzu wird in der Begründung der angegriffenen Allgemeinverfügung ausgeführt, das Anmeldeerfordernis trage dem Umstand Rechnung, dass die zuständigen Sicherheitsbehörden einen zeitlichen Vorlauf bräuchten, um zu prüfen, ob von der Durchführung der Versammlung Gefahren für die öffentliche Sicherheit ausgingen, und bejahendenfalls Vorkehrungen zu treffen hätten, um die Gefahren und Schäden für Dritte zu verhindern. Bei den geplanten Zusammenkünften sei eine erhebliche Gefahr für hochrangige Rechtsgüter Dritter zu befürchten, insbesondere dadurch, dass es zu einer erheblichen Anzahl von physischen Kontakten komme, die Mindestabstände nicht eingehalten und keine geeignete Mund-Nasen-Bedeckung getragen würden. In Ansehung des derzeitigen Infektionsgeschehens in Karlsruhe komme eine Versammlung nur unter Einhaltung von infektionshygienischen Auflagen in Betracht, sofern die hinreichende Gewähr bestehe, dass diese Auflagen auch (mehrheitlich) umgesetzt würden.
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Der bloße Verstoß gegen die Anmeldepflicht aus § 14 VersG stellt indes noch keine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit im Sinne des dargelegten Maßstabs dar und ist für sich genommen daher nicht geeignet, das Versammlungsverbot in Nr. 1 Buchst. c) der angegriffenen Allgemeinverfügung zu tragen. § 15 Abs. 3 VersG sieht als eine Sanktion der Nichtanmeldung zwar die mögliche Auflösung der Versammlung vor. Die unterbliebene Anmeldung berechtigt jedoch nicht schematisch zur Auflösung oder – wie vorliegend – zum präventiven Verbot einer Versammlung. Auflösung und Verbot sind keine Rechtspflicht der zuständigen Behörde, sondern eine Ermächtigung, von welcher die Behörde angesichts der hohen Bedeutung der Versammlungsfreiheit im Allgemeinen nur dann pflichtgemäß Gebrauch machen darf, wenn weitere Voraussetzungen für ein Eingreifen hinzukommen; die fehlende Anmeldung und der damit verbundene Informationsrückstand erleichtern lediglich dieses Eingreifen. Dies gilt auch für solche Versammlungen, die rechtzeitig hätten angemeldet werden können oder bei denen die Anmeldung aus Nachlässigkeit oder plangemäß überhaupt unterlassen worden ist (vgl. VG Stuttgart, Beschluss vom 12.01.2022 – 1 K 80/22 – juris Rn.29 m. w. N.). Zwar kann eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit auch darauf beruhen, dass die Versammlungsbehörde aufgrund der zwar möglichen, aber unterbliebenen Anzeige keine gefahrenabwehrenden Sicherheitsmaßnahmen treffen konnte (vgl. Dürig-Friedl in dies./Enders, Versammlungsrecht, 1. Aufl. 2016, § 15 VersG Rn. 162 m. w. N.). Von einem solchen Fall kann hier jedoch nicht ausgegangen werden. Sowohl in der Begründung der vorliegend angegriffenen Allgemeinverfügung als auch in ihrer Antragserwiderung weist die Antragsgegnerin darauf hin, dass sich das präventive Verbot in Nr. 1 Buchst. c) in erster Linie gegen sogenannte „Montagsspaziergänge“ richte, die nicht zufällig stattfänden, sondern für die im Internet und mit Flyern geworben werde und die regelmäßig montags am selben Ort durchgeführt werden sollten. Die Antragsgegnerin geht damit selbst davon aus, dass für einen unbestimmten Zeitraum, beginnend mit Inkrafttreten der vorliegend angegriffenen Allgemeinverfügung, auf ihrer Gemarkung immer montags derartige planmäßig unangemeldete Versammlungen stattfinden werden. Dieser Kenntnisstand versetzt sie aber in die Lage, hierauf gefahrenabwehrrechtlich zu reagieren, etwa durch den Vorhalt adäquater Polizeikapazitäten an diesen Tagen. Hingegen folgt weder aus der Begründung der angegriffenen Allgemeinverfügung noch aus der Antragserwiderung, dass aus Sicht der Antragsgegnerin die begründete Gefahr besteht, an anderen Wochentagen würden unangemeldete Versammlungen gegen Corona-Schutzmaßnahmen stattfinden und die Antragsgegnerin werde hiervon gleichsam überrascht, ohne darauf in gefahrenabwehrrechtlicher Weise adäquat reagieren zu können. Sowohl die von der Antragsgegnerin geschilderten Vorkommnisse in der Vergangenheit als auch ihre Erwägungen zur präventiven Untersagung zukünftiger unangemeldeter Versammlungen beziehen sich nahezu ausschließlich auf so genannte „Montagsspaziergänge“, von deren Planung die Antragsgegnerin hinreichende Kenntnis hat.
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Auch soweit die Antragsgegnerin mit dem präventiven Versammlungsverbot den legitimen Zweck verfolgt, die Grundrechte Dritter auf Leben und Gesundheit zu schützen, ist die durchgeführte Gefahrenprognose nicht frei von rechtlichen Bedenken. Dabei dürfte der Antragsteller zwar mit seiner Auffassung fehlgehen, dass bei der Zusammenkunft einer unbestimmten Anzahl von Menschen unter freiem Himmel keine Gefahr einer Infektion mit dem Corona-Virus besteht (vgl. hierzu VG Stuttgart, Beschluss vom 12.01.2022 – 1 K 80/22 – juris Rn. 32; VG Karlsruhe, Beschluss vom 17.01.2022 – 14 K 119/22 – juris Rn. 99). Gleichwohl folgt aus der Begründung der Antragsgegnerin nicht ohne weiteres die nach dem dargelegten Maßstab erforderliche hohe Wahrscheinlichkeit, dass es bei der Durchführung unangemeldeter Versammlungen gegen Corona-Schutzmaßnahmen auf Gemarkung der Antragsgegnerin durch die Nichteinhaltung erforderlicher Mindestabstände oder das Nichttragen einer Mund-Nasen-Bedeckung zu einem Infektionsgeschehen innerhalb der Versammlung oder zu einer Übertragung des Corona-Virus auf Dritte kommen wird. Hierzu führt die Antragsgegnerin in ihrer Begründung aus, die Einhaltung von Mindestabständen sei bei derartigen Versammlungen nicht gewährleistet, da aufgrund vielfältiger Erfahrungen der jüngeren Vergangenheit zu erwarten sei, dass zahlreiche Teilnehmende solcher Versammlungen nicht zuverlässig die Gewähr dafür böten, auf die Einhaltung infektionsschutzrechtlicher Anforderungen effektiv hinzuwirken. Zur Begründung dieser Auffassung bezieht sie sich maßgeblich auf einen unangemeldeten „Spaziergang“, der am 13. Dezember 2021 auf ihrer Gemarkung durchgeführt wurde und bei dem Mindestabstände in Teilen nicht eingehalten und Mund-Nasen-Bedeckungen und nur in wenigen Einzelfällen getragen worden seien. Es ist bereits fraglich, ob dieser singuläre Vorfall, auf den die Antragsgegnerin maßgeblich abstellt, ausreicht, um präventiv eine unbestimmte Vielzahl gleichartiger Versammlungen zu verbieten. Hinzu kommt jedenfalls, dass auch nach den Ausführungen der Antragsgegnerin Mindestabstände nur in Teilen nicht eingehalten wurden, woraus folgt, dass eine wohl nicht ohne Weiteres vernachlässigbare Anzahl von Versammlungsteilnehmern die erforderlichen Abstände hingegen eingehalten hat. Demgegenüber dürfte der Umstand, dass die Teilnehmer mehrheitlich keine Mund-Nasen-Bedeckungen getragen haben, für sich genommen nicht ausreichen, um die Prognose einer besonders schwerwiegenden Infektionsgefahr bei künftigen unangemeldeten Versammlungen dieser Art zu begründen. Denn der Landesverordnungsgeber geht gegenwärtig davon aus, dass im öffentlichen Raum das Einhalten eines Mindestabstandes von 1,5 m ausreichend ist, um dem Ansteckungsrisiko entgegen zu wirken. Denn nur für den Fall, dass die Einhaltung dieses Mindestabstands nicht zuverlässig gewährleistet werden kann, ordnet § 3 Abs. 2 Nr. 2 CoronaVO im Freien die Pflicht zum Tragen einer medizinischen Maske an. Zudem führt die Antragsgegnerin selbst in der Begründung der angegriffenen Allgemeinverfügung aus, dass es bei einem am 18. Dezember 2021 auf ihrer Gemarkung durchgeführten Aufzug zu dem gleichen Thema gelungen sei, die Teilnehmenden nach Ansprache der Versammlungsleitung zur Einhaltung der verfügten Auflagen betreffend die Abstands- und Maskentragungspflicht anzuhalten. Soweit die Antragsgegnerin einschränkend darauf verweist, dass es hierzu einer permanenten/wiederholten Ansprache durch die Versammlungsleitung bedurft hätte, ändert dies nichts an der Feststellung, dass die Versammlungsteilnehmer bei einem entsprechenden Einwirken die erforderlichen Hygieneschutzmaßnahmen einhielten und dadurch die aus Sicht der Antragsgegnerin gegebene unmittelbare Gefahr einer Verbreitung des Corona-Virus abgewehrt werden konnte. Des Weiteren führt die Antragsgegnerin in ihrer Antragserwiderung aus, dass angemeldete Versammlungen in der Vergangenheit nach (mehrfacher) Ansprache weitgehend störungsfrei hätten durchgeführt werden können. Weshalb dies nicht auch bei unangemeldeten Versammlungen gelingen soll, erschließt sich nicht. Denn auch in diesem Fällen werden die Sicherheitskräfte auf die Versammlungsteilnehmer einwirken können, um die Wahrung des Abstands- und Maskentragungsgebots zu erreichen. Dies lässt an der Einschätzung der Antragsgegnerin, dass eine Durchführung unangemeldeter Versammlungen gegen Corona-Schutzmaßnahmen ohne weiteres zu einer Gefährdung der Rechtsgüter der Teilnehmenden oder dritter Personen führen wird, zweifeln.
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Gegenteiliges folgt auch nicht aus dem von der Antragsgegnerin vorgelegten Bericht des Polizeipräsidiums Karlsruhe vom 20. Dezember 2021, der unter anderem eine am 20. Dezember 2021 auf Gemarkung der Antragsgegnerin durchgeführte unangemeldete Versammlung gegen Corona-Schutzmaßnahmen zum Gegenstand hat. Ein Verstoß gegen Abstands- oder Maskentragungspflichten wird dort nicht beschrieben. Auch sonstige zu einer unmittelbaren Gefährdung der Rechtsgüter Leib und Leben führende Sachverhalte lassen sich diesem Bericht nicht entnehmen. Lediglich eine Person habe nach Auflösung der Versammlung Widerstand gegen die polizeilichen Maßnahmen geleistet und eingesetzte Kräfte beleidigt. Dies sind jedoch keine Handlungsweisen, denen die Antragsgegnerin mit der angegriffenen Allgemeinverfügung begegnen möchte. Auch aus dem weiteren von der Antragsgegnerin vorgelegten, undatierten Polizeibericht, welcher eine unangemeldete Versammlung am 17. Januar 2022 zum Gegenstand hat, folgt nicht, dass Teilnehmer solcher Versammlungen regelmäßig gegen Hygienevorschriften verstießen.
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Der weitere Hinweis der Antragsgegnerin in ihrer Begründung sowie in ihrer Antragserwiderung auf bundesweit stark zunehmende Versammlungsaktivitäten der „Querdenkerszene“ sowie Demonstrationen gegen Corona-Schutzmaßnahmen in anderen baden-württembergischen Städten ist zur Begründung einer auf ihrer Gemarkung zu erwartenden unmittelbaren Gesundheitsgefährdung von vornherein untauglich (vgl. VG Stuttgart, Beschluss vom 12.01.2022 – 1 K 80/22 – juris Rn. 36).
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Entscheidend zur Rechtswidrigkeit von Nr. 1 Buchst. c) der angegriffenen Allgemeinverfügung und zum Erfolg des vorliegenden Antrags führt die fehlende Erforderlichkeit des angefochtenen Versammlungsverbots. Denn der Antragsgegnerin stehen mildere Mittel als das vorliegend angegriffene präventive Verbot unangemeldeter Versammlungen zur Verfügung, um der befürchteten Gefahr einer Verbreitung des Corona-Virus im Rahmen derartiger Versammlungen zu begegnen. Derartige Mittel hat die Antragsgegnerin nicht ausreichend erwogen. In diesem Kontext führt sie in ihrer Begründung aus, es könne im Hinblick auf die zu besorgende Gefährdung durch das verdichtete Zusammenkommen einer größeren Personenmehrheit für hochrangige Rechtsgüter nicht abgewartet werden, bis sich die Teilnehmer einer unangemeldeten Versammlung versammelten, um die Versammlung sodann erst aufzulösen. Daher sei nur ein präventives Vorgehen verhältnismäßig. Eine andere, den gleichen Erfolg herbeiführende Maßnahme sei zum Zeitpunkt des Erlasses der angegriffenen Allgemeinverfügung nicht ersichtlich gewesen. Diese Erwägungen werden dem dargelegten Maßstab nicht gerecht. Als im Gegensatz zu dem vorliegend angegriffenen präventiven Verbot unangemeldeter Versammlungen milderes, dem Ziel des Infektionsschutzes ebenso gerecht werdendes Mittel kommt in Betracht, im Wege einer Allgemeinverfügung anzuordnen, dass bei sämtlichen Versammlungen (angemeldete oder unangemeldete) auf Gemarkung der Antragsgegnerin konkret zu bestimmende Abstände zwischen den Teilnehmenden einzuhalten und die Teilnehmenden verpflichtet sind, eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen. Eine solche Maßnahme erscheint nicht von vornherein ungeeignet, um den von der Antragsgegnerin verfolgten und legitimen Infektionsschutz zu erreichen (vgl. VG Stuttgart, Beschluss vom 12.01.2022 – 1 K 80/22 – juris Rn. 41; VG Karlsruhe, Beschluss vom 17.01.2022 – 14 K 119/22 – juris Rn. 110; jeweils m. w. N.; zum Erlass von versammlungsrechtlichen Auflagen im Wege der Allgemeinverfügung vgl. Dürig-Friedl in dies./Enders, Versammlungsrecht, 1. Aufl. 2016, § 15 VersG Rn. 86). Dass derartige Auflagen von den Versammlungsteilnehmern von vornherein oder jedenfalls nach Ansprache – wie bereits bei vergangenen Versammlungen gegen Corona-Schutzmaßnahmen geschehen – nicht beachtet würden, ist nach Prüfung der gegenwärtigen Sachlage nicht ersichtlich.
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Soweit die Antragsgegnerin in der Begründung der angegriffenen Allgemeinverfügung ausführt, es könne nicht abgewartet werden, bis sich die Teilnehmer versammeln und die Veranstaltung sodann erst aufgelöst wird, da es in diesem Fall bereits zu einer gegebenenfalls irreparablen Verwirklichung der Gefahrensituation für die Versammlungsteilnehmer und für Dritte kommen würde, erschließt sich nicht, weshalb dies bei angemeldeten Versammlungen, bei denen im Vorfeld entsprechende Auflagen erlassen werden, anders sein soll. Auch in dieser Konstellation müssen die Sicherheitsbehörden zunächst abwarten, ob bei und nach Zusammenkunft der Versammlungsteilnehmer die entsprechenden Auflagen befolgt werden. Erst wenn dies nicht der Fall ist, kann die Versammlung als ultima ratio aufgelöst werden. Somit birgt auch diese Verfahrensweise die Gefahr, dass sich eine unbestimmte Anzahl von Personen ohne Beachtung der erforderlichen Hygieneschutzmaßnahmen im Freien versammeln. Ob diese Hygieneschutzmaßnahmen nun bei angemeldeten Versammlungen im Vorfeld durch individuelle Auflagen oder bei unangemeldeten Versammlungen im Wege der generellen Allgemeinverfügung verfügt werden, macht zur Überzeugung der Kammer keinen Unterschied bei der Effektivität der Gefahrenabwehr.
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Ebenfalls gegen die Erforderlichkeit des vorliegend angegriffenen Versammlungsverbots spricht, dass auch keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, im maßgeblichen Zeitraum der Geltungsdauer der angegriffenen Allgemeinverfügung stünden Polizei- und Ordnungskräfte nicht in ausreichendem Umfang Verfügung, um den durch unangemeldete Versammlungen verursachten, gegebenenfalls auch sehr kurzfristigen Einsatzbedarf zu decken. Zwar sind die Ordnungsbehörden grundsätzlich nicht dazu verpflichtet, Polizeikräfte ohne Rücksicht auf sonstige Sicherheitsinteressen in unbegrenztem Umfang bereitzuhalten. Beschränkungen einer Versammlung kommen unter diesem Gesichtspunkt jedoch nur in Betracht, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit feststeht, dass die Versammlungsbehörde wegen der Erfüllung vorrangiger staatlicher Aufgaben und gegebenenfalls trotz externer Heranziehung von Polizeikräften zum Schutz der Versammlung beziehungsweise zur Gewährleistung eines Infektionsgefahren und schwerwiegenden anderweitigen Gefährdungen vorbeugenden Ablaufs derselben, nicht in der Lage wäre. Hierfür bedarf es indes substantiierter tatsächlicher Angaben (vgl. zum Ganzen VG Karlsruhe, Beschluss vom 17.01.2022 – 14 K 119/22 – juris Rn. 108 m. w. N.). Vorliegend hat die Antragsgegnerin einen in diesem Sinne vor Ort bestehenden Mangel an Polizeikräften schon nicht geltend gemacht. Dies dürfte ihr auch vor dem Hintergrund nicht gelingen, dass ihr nach dem bereits oben Gesagten bekannt ist, dass auf ihrer Gemarkung in wöchentlicher Regelmäßigkeit montags unangemeldete Versammlungen gegen Corona-Schutzmaßnahmen stattfinden werden, und es ihr daher möglich ist, sich hierauf organisatorisch und personell einzustellen. Einen polizeilichen Notstand, der für den Erlass eines präventiven Versammlungsverbots im Wege einer Allgemeinverfügung, die auch friedliche Versammlungen erfasst, erforderlich ist (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 06.11.2013 – 1 S 1640/12 – VBlBW 2014, 147, juris Ls. 1; VG Karlsruhe, Beschluss vom 17.01.2022 – 14 K 119/22 – juris Rn. 111¸ VG Stuttgart, Beschluss vom 12.01.2022 – 1 K 80/22 – juris Rn. 42 ff.), hat die Antragsgegnerin nicht dargetan und für einen solchen ist auch nichts ersichtlich.
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cc) Erweist sich nach alledem das Versammlungsverbot in Nr. 1 Buchst. c) der angegriffenen Allgemeinverfügung als voraussichtlich rechtswidrig, so gilt dies auch für die darauf bezogene Zwangsmittelandrohung in Nr. 2 dieser Allgemeinverfügung.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 63 Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG. Da die vorliegende Entscheidung einer Vorwegnahme der Hauptsache gleichkommt, sieht die Kammer von einer Reduzierung des Streitwerts in Anlehnung an Nr. 1.5 Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 ab.

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