Bayerisches Oberstes Landesgericht 1 Z BR 128/94
Fortgeltung eines gemeinschaftlichen Testaments nach Scheidung und Wiederheirat der Ehegatten
Tenor
III. Der Geschäftswert des Verfahrens der weiteren Beschwerde wird auf 200.000 DM festgesetzt.
Gründe
I.
Der im Alter von 69 Jahren verstorbene Erblasser war kinderlos. Er hat erstmals im Jahre 1948 mit der Mutter der Beteiligten zu 1 die Ehe geschlossen. Die Ehe wurde im Jahre 1958 rechtskräftig geschieden. Im Jahre 1961 heirateten der Erblasser und seine frühere Ehefrau erneut. Diese Ehe bestand bis zum Tod der Ehefrau im Jahre 1991.
Während ihrer ersten Ehe, am 19.11.1954, errichteten der Erblasser und seine Ehefrau in notarieller Form ein gemeinschaftliches Testament. Darin setzten sie sich gegenseitig zu Alleinerben ein und bestimmten, Erbin des Zuletztversterbenden von ihnen solle die Beteiligte zu 1 sein, eine voreheliche Tochter der Ehefrau.
Am 24.6.1986 schrieb und unterzeichnete die Ehefrau des Erblassers eigenhändig folgendes Testament:
Wir, die Eheleute … setzen uns hiermit gegenseitig zu Alleinerben ein. Nach dem Tode des Letztversterbenden von uns, soll unser beiderseitiger Nachlass wie folgt auf unsere Kinder übergehen.
Zwei drittel an die Tochter E. … (eine weitere voreheliche Tochter der Ehefrau), ein drittel an Tochter H. (Beteiligte zu 1)…
Der Erblasser unterschrieb diese letztwillige Verfügung nicht. Nach dem Tod der Ehefrau erklärte er vor dem Nachlaßgericht, er sei sowohl aufgrund des Testaments vom 19.11.1954 als auch des Testaments vom 24.6.1986 Alleinerbe geworden und nehme die Erbschaft an.
Am 1.2.1992 schrieb und unterzeichnete der Erblasser eigenhändig ein Testament, worin er seine Lebensgefährtin, die Beteiligte zu 2, als Alleinerbin seines Vermögens einsetzte.
Aufgrund des gemeinschaftlichen Testaments vom 19.11.1954 beantragte die Beteiligte zu 1 beim Nachlaßgericht einen Erbschein als Alleinerbin. Die Beteiligte zu 2 vertrat die Ansicht, dieses Testament sei durch die Scheidung der testierenden Ehegatten im Jahr 1958 unwirksam geworden, deshalb sei das Testament des Erblassers vom 1.2.1992 für die Erbfolge maßgebend, und stellte ihrerseits Antrag auf Erteilung eines Alleinerbscheins. Das Nachlaßgericht kündigte nach Anhörung der Beteiligten und Vernehmung zweier Zeuginnen mit Beschluß vom 29.10.1993 die Erteilung eines Erbscheins gemäß dem Antrag der Beteiligten zu 2 an. Hiergegen legte die Beteiligte zu 1 Beschwerde ein. Das Landgericht hörte die Beteiligten erneut persönlich an und hob die Entscheidung des Nachlaßgerichts mit Beschluß vom 13.7.1994 auf. Hiergegen richtet sich die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 2, der die Beteiligte zu 1 entgegentritt.
II.
Das zulässige Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
Der Vorbescheid des Nachlaßgerichts könne keinen Bestand haben, denn aufgrund des gemeinschaftlichen Testaments vom 19.11.1954 sei die Beteiligte zu 1 Alleinerbin. Trotz der Scheidung der testierenden Eheleute habe dieses Testament nicht seine Gültigkeit verloren, da die Ehegatten rund drei Jahre nach der Scheidung wieder geheiratet hätten. Zu den Wirkungen der Wiederheirat auf ein vor der Scheidung errichtetes gemeinschaftliches Testament vertrete zwar die Literatur überwiegend den Standpunkt, daß ein nach § 2268 Abs. 1 BGB unwirksam gewordenes Testament nicht wieder auflebe und die Ehegatten ein neues gemeinschaftliches Testament errichten müßten, wenn sie die letztwillige Verfügung ihrem Inhalt nach wieder in Kraft setzen wollten. Ausgehend von lebensnaher Betrachtungsweise schließe sich die Kammer jedoch der Gegenmeinung an, wonach im Fall der Wiederheirat geschiedener Ehegatten der Wille des Erblassers zu diesem Zeitpunkt zu bestimmen und das Testament in der Regel wirksam sei. Insbesondere wenn die Eheleute, wie hier, nicht jahrzehntelang geschieden gewesen seien, liege für den Erblasser der Gedanke nahe, daß die letztwillige Verfügung zugunsten des alten und neuen Ehegatten wirksam sei. Entscheidend sei damit, ob der Erblasser und seine Ehefrau zum Zeitpunkt ihrer Wiederheirat am gemeinschaftlichen Testament hätten festhalten wollen. Dies sei zu bejahen. Es folge zum einen aus dem Verhalten des Erblassers, der sich nach dem Tod der Ehefrau auch unter Berufung auf das gemeinschaftliche Testament vom 19.11.1954 als Alleinerbe gesehen und damit die beiden Töchter der Ehefrau vom Erbrecht ausgeschlossen habe, sowie aus Äußerungen des Erblassers gegenüber beiden Beteiligten. Zum anderen hätten der Erblasser und seine Ehefrau wiederholt erklärt, daß es bei dem notariellen gemeinschaftlichen Testament bleibe und alles geregelt sei. Nach der Scheidung habe der Erblasser die eheliche Wohnung nicht auf Dauer verlassen und weiterhin mit seiner geschiedenen Ehefrau Kontakt gehalten. Mit der Beteiligten zu 2, die der Erblasser 1972 kennengelernt habe, sei er nicht in eine gemeinsame Wohnung gezogen.
Demnach spreche alles dafür, daß die Eheleute bei ihrer Wiederheirat vom Fortbestand des Testaments vom 19.11.1954 ausgegangen seien und dieses zum Zeitpunkt der zweiten Eheschließung als gemeinschaftliches Testament wieder wirksam geworden sei. Dies gelte für sämtliche Verfügungen, insbesondere auch für die Schlußerbeneinsetzung. Nichts spreche dafür, daß der Erblasser und seine Ehefrau daran nicht hätten festhalten wollen. Der Erblasser habe bis zum Schluß ein gutes Verhältnis zur Beteiligten zu 1 gehabt; der Streit der Beteiligten zu 1 mit ihrer Mutter, der möglicherweise zu deren Testament vom 24.6.1986 geführt habe, sei erst zu einem späteren Zeitpunkt entstanden.
Dieses von der Ehefrau errichtete Testament, das aber vom Erblasser nicht unterzeichnet worden sei, habe die Schlußerbenregelung des gemeinschaftlichen Testaments nicht abändern können.
Durch das nach dem Tod der Ehefrau errichtete Testament vom 1.2.1992 habe der Erblasser das gemeinschaftliche Testament nicht widerrufen können, denn dieses enthalte wechselbezügliche Verfügungen. Allerdings führten weder der gesamte Inhalt der im Testament enthaltenen Verfügungen noch die Nebenumstände zu einem eindeutigen Auslegungsergebnis. Daher greife die Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB ein.
Die gegenteilige Auffassung, die das Landgericht vertreten hat, mag zwar im Einzelfall zu Ergebnissen führen, die den Vorstellungen der Ehegatten entsprechen. Hat jedoch ein Ehegatte zwischenzeitlich anderweitig letztwillig verfügt, so ergeben sich im Hinblick auf die Bindungswirkung des § 2271 Abs. 1 Satz 2 BGB kaum lösbare Probleme.
(1) Der festgestellte Sachverhalt bietet keine Anhaltspunkte dafür, daß die Ehegatten schon im Zeitpunkt der Errichtung des Testaments vom 19.11.1954 mit der Scheidung ihrer damaligen Ehe gerechnet haben. Ein auf die Fortgeltung dieses Testaments gerichteter wirklicher Wille der Testierenden (vgl. BGH FamRZ 1960, 28/29 zu § 2077 BGB) kommt daher nicht in Betracht.
(2) Deshalb ist zu prüfen, ob die Aufrechterhaltung des gemeinschaftlichen Testaments dem mutmaßlichen (hypothetischen) Willen der Ehegatten im Zeitpunkt der Errichtung entsprochen hat, d.h. ob sie ihre letztwilligen Verfügungen auch dann getroffen hätten, wenn sie die Scheidung und ihre anschließende Wiederverheiratung als möglich vorausgesehen hätten. Umstände, die zeitlich nach der Ehescheidung liegen, sind zwar bei der ergänzenden Auslegung gemäß § 2077 Abs. 3, § 2268 Abs. 2 BGB in der Regel ohne Bedeutung (vgl. zur Eheschließung mit einem neuen Partner BGH FamRZ 1960, 28/29 und FamRZ 1961, 364/366 sowie BayObLGZ 1993, 240/247). Es kann dahinstehen, inwieweit dies allgemein für Umstände gilt, die das Verhältnis der Ehegatten nach der Scheidung betreffen (vgl. BayObLG FamRZ 1993, 362/363 zu § 2077 BGB; Soergel/Loritz § 2077 Rn. 17; Brox Erbrecht 14. Aufl. Rn. 216). Die Wiederheirat der geschiedenen Ehegatten ist jedoch ein den Status der Testierenden in gleicher Weise wie die Scheidung betreffender Umstand, der deshalb bei der ergänzenden Auslegung des gemeinschaftlichen Testaments gemäß § 2268 Abs. 2 BGB nach Auffassung des Senats Berücksichtigung finden kann (a.A. wohl Staudinger/Kanzleiter § 2268 Rn. 7). Mit der erneuten Eheschließung werden die familienrechtlichen Beziehungen neu begründet, die die Grundlage für die Errichtung des gemeinschaftlichen Testaments gebildet haben. Die Ehegatten könnten gemäß § 2265 BGB erneut gemeinschaftlich testieren, wenn sie dies wollten und dazu Veranlassung sähen. Je nach den Umständen des Einzelfalls kann auch die Erwartung des Fortbestands der Ehe bis zum Tod, die der Errichtung eines gemeinschaftlichen Testaments in der Regel zugrunde liegt (vgl. vorstehend unter a) und MünchKomm/Musielak § 2268 Rn. 1), nach dem Verständnis der testierenden Ehegatten letztlich berechtigt erscheinen, wenn sie nach der Scheidung ein zweites Mal heiraten und diese Ehe erst durch den Tod eines der Ehegatten aufgelöst wird. Dies kommt jedenfalls dann in Betracht, wenn – wie hier – die zweite Ehe verhältnismäßig kurze Zeit nach der Scheidung geschlossen wird und keiner der Ehegatten in der Zwischenzeit anderweitig letztwillig verfügt hat.
(3) Im vorliegenden Fall hat das Landgericht festgestellt, der Erblasser und seine Ehefrau hätten sich zu beider Lebzeiten wiederholt in dem Sinn geäußert, daß es bei dem notariellen gemeinschaftlichen Testament geblieben sei oder bleibe. Die Schwester der Ehefrau habe glaubhaft angegeben, die Eheleute hätten bis kurz vor ihrem Tod erklärt, bezüglich des Testaments bleibe es so wie es gemacht worden sei und alles sei geregelt. Gegenüber den Kindern der Beteiligten zu 1, die 1960 und 1962 geboren sind, hätten die Eheleute von ihrem gemeinsamen Testament gesprochen und mehrfach erklärt, die Mutter (die Beteiligte zu 1) würde einmal alles erben. Nach dem Tod der Ehefrau habe der Erblasser gegenüber der Beteiligten zu 1 unter Berufung auf „das Testament“ erklärt, erst erbe er und dann sie. Der Beteiligten zu 2, mit der er längere Zeit liiert gewesen sei, habe der Erblasser bereits nach dem Kennenlernen im Jahr 1972 von dem gemeinschaftlichen Testament erzählt, später auch von dem abändernden Testament der Ehefrau aus dem Jahr 1986, das er aber nicht mit unterschrieben habe.
(4) Das Landgericht hat aus diesen zeitlich nach der zweiten Eheschließung liegenden Umständen geschlossen, die Ehegatten hätten im Zeitpunkt ihrer Wiederverheiratung an den Verfügungen des gemeinschaftlichen Testaments vom 19.11.1954, mit denen sie sich gegenseitig zu Alleinerben und die Beteiligte zu 1 als Schlußerbin eingesetzt hatten, festhalten wollen. Der Senat wertet den vom Beschwerdegericht für das Jahr 1961 festgestellten wirklichen Willen der Ehegatten als Anhaltspunkt für einen entsprechenden hypothetischen Willen bei der Testamentserrichtung im Jahr 1954 (vgl. BGH FamRZ 1961, 364/366). Er geht deshalb davon aus, daß die Ehegatten das während ihrer ersten Ehe errichtete gemeinschaftliche Testament vom 19.11.1954 seinem ganzen Inhalt nach hätten aufrechterhalten wollen, wenn sie im Zeitpunkt seiner Errichtung die Scheidung dieser Ehe im Jahr 1958 und ihre Wiederheirat im Jahr 1961 bedacht hätten. Soweit dieses Testament wechselbezügliche Verfügungen enthält, ist angesichts der hier gegebenen besonderen Umstände anzunehmen, daß die Ehegatten auch deren Fortgeltung als wechselbezüglich (vgl. BayObLGZ 1993, 240/246 m.w.N.; Muscheler DNotZ 1994, 733/741 f.) gewollt hätten. Dies ergibt sich aus den vorstehend unter (3) wiedergegebenen Tatsachen, die das Landgericht ohne Verfahrensfehler festgestellt hat, sowie aus dem Umstand, daß die Ehefrau am 24.6.1986 eine die gegenseitige Erbeinsetzung der Ehegatten wiederholende und eine abweichende Regelung der Schlußerbfolge enthaltende letztwillige Verfügung in der Form eines gemeinschaftlichen Testaments entworfen hat, die aber vom Erblasser nicht unterzeichnet worden ist.
(5) Aus alledem ergibt sich, daß die testierenden Ehegatten ihre beiden Ehen – auch in bezug auf die Erbfolge – letztlich als Einheit angesehen haben.
Das Landgericht hat daher zu Recht den Vorbescheid des Nachlaßgerichts aufgehoben, der die Erteilung eines der Erbrechtslage nicht entsprechenden Erbscheins gemäß dem Antrag der Beteiligten zu 2 angekündigt hatte.
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