Bayerisches Oberstes Landesgericht, 1Z BR 42/96
Auslegung einer letztwilligen Verfügung in einem Ehegattentestament für den Fall des „gleichzeitigen Todes“
Haben Ehegatten in einem gemeinschaftlichen Testament eine letztwillige Verfügung für den Fall ihres „gleichzeitigen Todes“ getroffen, so ist durch Auslegung zu ermitteln, ob sie nur den Ausnahmefall des im gleichen Bruchteil einer Sekunde eintretenden Todes beider regeln wollten, oder ob die letztwillige Verfügung nach dem Willen der Testierenden auch für andere Fallgestaltungen (hier: Selbsttötung beider Ehegatten und Eintritt des Todes im Abstand von 30 Minuten) gelten sollte.
Tenor
Die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 1 gegen den Beschluß des Landgerichts München II vom 19. Dezember 1995 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligte zu 1 hat den Beteiligten zu 3 bis 5 die im Verfahren der weiteren Beschwerde entstandenen Kosten zu erstatten.
III. Der Geschäftswert des Verfahrens der weiteren Beschwerde wird auf 868 837 DM festgesetzt.
Gründe
I.
Der 85jährige Erblasser und seine 66jährige Ehefrau sind durch Selbsttötung aus dem Leben geschieden. Ihre Ehe war kinderlos geblieben. Der Ehemann hatte aus erster Ehe zwei Töchter, die Beteiligte zu 1 und die vorverstorbene Mutter der Beteiligten zu 2.
Die Eheleute haben mehrere letztwillige Verfügungen hinterlassen. Durch notarielles Testament vom 9.5.1958 hatte der Ehemann seine Ehefrau zur Vorerbin und seine beiden Töchter aus erster Ehe zu Nacherben eingesetzt. Ein als „Testaments-Ergänzung“ bezeichnetes maschinengeschriebenes und vom Ehemann unterzeichnetes Schriftstück vom 1.6.1984 enthält Erläuterungen „zu unserem Testament vom 28.5.1982, in dem wir uns gegenseitig als Alleinerben eingesetzt haben“. Ein Testament dieses Datums wurde nicht aufgefunden. Das Schriftstück war einem vom Ehemann eigenhändig geschriebenen und unterzeichneten Testament vom 6.12.1990 beigelegt, dem die Ehefrau die Worte „Das ist auch mein letzter Wille“ sowie Datum und Unterschrift hinzugefügt hatte. Das Schriftstück enthält mehrere Streichungen und Korrekturen. Es lautet:
Unser Testament.
Für den Fall unseres Todes setzen wir, der Rentner … und seine Ehefrau …, uns gegenseitig als Allein-Erben ein. Wir wollen in … beigesetzt werden. Im Falle unseres gleichzeitigen Todes setzen wir K. … als unsere Allein-Erbin ein.
Der nach dem Wort „wir“ folgende Satzteil ist durchgestrichen und teils zwischen den Zeilen, teils am linken Rand ersetzt durch die Worte:
… (Beteiligte zu 3 bis 5) je zu 1/3 Anteil ein. Wir bestellen hiermit … (Beteiligter zu 3) zum Testamentsvollstrecker.
Der Text fährt fort:
Die Erbin soll (korrigiert: Die Erben sollen) folgende Vermächtnisse erfüllen: …
Der folgende Abschnitt:
Da es beim Tode eines Ehepartners bei dem Überlebenden infolge hohen Alters oder Krankheit zu akutem schweren Gesundheitsverfall kommen könnte, so bestimmen wir, jeder für sich, schon jetzt K. als Alleinerbin des jeweils Überlebenden. Auch in diesem Fall soll K. obige Vermächtnisse erfüllen.
ist mit je einem waagerechten Strich oberhalb der Anfangszeile und unterhalb der Schlußzeile, die durch einen quer über den Text verlaufenden Schrägstrich verbunden sind, durchgestrichen.
Eine weitere, vom Ehemann eigenhändig geschriebene und unterzeichnete sowie von der Ehefrau mitunterzeichnete letztwillige Verfügung trägt das Datum 4.10.1992 und lautet:
Unser Testament.
Für den Fall unseres Todes setzen wir, … und seine Ehefrau …, uns gegenseitig als Alleinerben ein. Wir wollen in … beigesetzt werden. Im Falle unseres gleichzeitigen Todes setzen wir … (Beteiligter zu 3), … (Beteiligte zu 4) … (Beteiligte zu 5), zu je einem Drittel als unsere Erben ein. Wir bestellen hiermit … (Beteiligter zu 3) zum Testamentsvollstrecker. Die Erben sollen folgende Vermächtnisse erfüllen:…
Von diesem Testament existieren zwei Urschriften. Eine hat … (Beteiligter zu 3), die andere liegt bei der Bank in …
Die Ehefrau hat handschriftlich angefügt:
Das ist auch mein letzter Wille.
… 4. Oktober 1992
Am 27.5.1993 wurden die Eheleute im Keller ihres Wohnhauses mit Kopfschüssen aufgefunden. Die Ehefrau verstarb um 16.00 Uhr, der Tod des Ehemanns trat um 16.30 Uhr ein. Anhaltspunkte für eine Beteiligung Dritter sind nicht festgestellt worden.
Beim Nachlaßgericht haben die Beteiligten zu 1 und 2 die Ansicht vertreten, ihr Vater bzw. Großvater sei aufgrund des Testaments vom 4.10.1992 Alleinerbe seiner Ehefrau geworden und aufgrund gesetzlicher Erbfolge von ihnen beerbt worden, weil der in diesem Testament geregelte Fall des gleichzeitigen Todes beider Ehegatten nicht eingetreten sei. Die Beteiligten zu 1 und 2 haben Erbscheinsanträge des Inhalts gestellt, daß sie jeweils zur Hälfte Erben des Ehemanns geworden seien. Die Beteiligten zu 3 bis 5 sind diesen Anträgen entgegengetreten und haben ihrerseits Erbscheine beantragt, wonach sie aufgrund des Testaments vom 4.10.1992 beide Ehegatten jeweils zu 1/3 beerbt hätten. Der Beteiligte zu 3 hat außerdem die Erteilung von Testamentsvollstreckerzeugnissen für die Nachlässe der Ehefrau und des Ehemanns beantragt.
Das Nachlaßgericht hat die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft beigezogen und zwei Zeuginnen vernommen. Mit Beschluß vom 22.11.1994 hat es die Erbscheinsanträge der Beteiligten zu 1 und 2 zurückgewiesen und die Erteilung von Erbscheinen gemäß den Anträgen der Beteiligten zu 3 bis 5 sowie die Erteilung der vom Beteiligten zu 3 beantragten Testamentsvollstreckerzeugnisse angekündigt. Die Beteiligte zu 1 hat Beschwerde eingelegt, die vom Landgericht durch Beschluß vom 19.12.1995 zurückgewiesen worden ist. Hiergegen richtet sich die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 1, der die Beteiligten zu 3 bis 5 entgegentreten.
II.
Die Erbfolge nach den Eheleuten bestimme sich nach dem formwirksam errichteten gemeinschaftlichen Testament vom 4.10.1992, durch das die vorhandenen früheren Testamente widerrufen worden seien. Demgemäß seien die Beteiligten zu 3 bis 5 zu je 1/3 Erben des Ehemanns und der Ehefrau geworden; ferner sei der Beteiligte zu 3 zum Testamentsvollstrecker bestimmt worden. Die Voraussetzung für eine Erbeinsetzung der Beteiligten zu 3 bis 5 – das gleichzeitige Versterben der Eheleute – liege vor. Der Ablauf der Ereignisse, die zum Tod des Ehepaars geführt hätten, sei nicht im einzelnen aufklärbar. Jedoch stehe aufgrund der polizeilichen Ermittlungen und der Aussagen der vom Nachlaßgericht vernommenen Zeuginnen zur Überzeugung des Gerichts fest, daß zunächst der Ehemann sich mindestens einmal in den Kopf geschossen habe. Anschließend habe die Ehefrau sich erschossen. Der Ehemann habe trotz zweier Kopfschüsse den Tod seiner Ehefrau um einige Minuten überlebt.
Ein gleichzeitiger Tod im Sinn des Testaments sei auch anzunehmen, wenn der kurze Zeit überlebende Ehegatte, etwa wegen einer bis zu seinem Tod anhaltenden Unfähigkeit der Willensbildung oder -äußerung, praktisch gleichzeitig mit dem anderen Teil als handlungsfähiges Rechtssubjekt aus dem Rechtsleben ausscheide. Daran ändere sich nichts, wenn man mit der Beteiligten zu 1 davon ausgehe, daß ein von den Eheleuten gemeinsam geplanter Doppelselbstmord nicht vorliege. Ein gleichzeitiger Tod müsse nicht zwingend durch dasselbe äußere Ereignis herbeigeführt werden.
(1) Das Beschwerdegericht hat angenommen, die Ehegatten hätten den Begriff des „gleichzeitigen Todes“ nicht nur in seinem engen Wortsinn für den kaum vorkommenden Ausnahmefall gebraucht, daß sie beide im gleichen Bruchteil einer Sekunde versterben. Im Sinn des Testaments sei ein gleichzeitiger Tod auch dann zu bejahen, wenn die Eheleute nicht genau im selben Zeitpunkt verstürben, aber der kurze Zeit überlebende Ehegatte beim Eintritt des ersten Erbfalls, etwa wegen einer bis zu seinem Tod anhaltenden Unfähigkeit der Willensbildung oder -äußerung, praktisch gleichzeitig mit dem anderen Teil als handlungsfähiges Rechtssubjekt aus dem Rechtsleben ausscheide. In diesem Zusammenhang hat das Landgericht erwogen, die sich gegenseitig zu Erben einsetzenden Eheleute, die einen Dritten unter der Voraussetzung ihres gleichzeitigen Todes bedächten, wollten in der Regel dem Überlebenden von ihnen freie Hand lassen, über seinen Nachlaß nach Gutdünken zu verfügen. Dieser Wille könne aber nicht Platz greifen, wenn der Überlebende, wie hier der Ehemann, zu einer solchen Verfügung tatsächlich nicht mehr in der Lage sei. Diese Annahme hält sich im Rahmen der Lebenserfahrung (vgl. OLG Stuttgart FamRZ 1994, 852/853 und FamRZ 1982, 1136 f.; KG FamRZ 1970, 148/149; Palandt/Edenhofer § 2269 Rn. 9; Lange/Kuchinke § 4 III 2 a a.E.). Demgegenüber macht die Rechtsbeschwerde geltend, die Ehefrau hätte noch letztwillige Anordnungen treffen können, nachdem ihr Ehemann sich erschossen habe und sie ihn für tot hielt, sie habe jedoch aus eigenem Entschluß ihrem Leben ein Ende gesetzt. Dabei läßt die Beteiligte zu 1 jedoch schon außer Betracht, daß nicht die Ehefrau – von der die Abkömmlinge des Ehemanns ein gesetzliches Erbrecht nicht herleiten könnten – zuletzt verstorben ist. Sie wurde vielmehr von ihrem Ehemann um etwa eine halbe Stunde überlebt, der nach den ohne Verfahrensfehler getroffenen Feststellungen der Tatsacheninstanzen tödlich verletzt und nicht mehr in der Lage war, Rechtshandlungen vorzunehmen oder gar testamentarische Verfügungen über seinen Nachlaß zu treffen.
(2) Das Landgericht ist davon ausgegangen, daß ein gleichzeitiger Tod nicht durch dasselbe äußere Ereignis herbeigeführt werden müsse. Das Beschwerdegericht weist darauf hin, daß der gleichzeitige Eintritt zweier Ereignisse von der Wortbedeutung her nur die Zeitgleichheit voraussetzt, nicht aber die gleiche Ursache. Versterben mehrere untereinander erbberechtigte Personen gleichzeitig im Rechtssinn, also innerhalb des selben Bruchteils einer Sekunde, so hat dies gemäß § 1923 Abs. 1 BGB immer zur Folge, daß keiner des anderen Erbe werden kann, ohne daß es darauf ankäme, ob der Tod aufgrund des gleichen äußeren Ereignisses oder aufgrund verschiedener Ereignisse eingetreten ist (vgl. Nagel S. 118/119 und S. 144 bis 146).
Ergibt die Auslegung einer von Ehegatten für den Fall des gleichzeitigen Todes getroffenen letztwilligen Verfügung, daß ihre Geltung nicht auf den Ausnahmefall des zeitgleichen Versterbens beschränkt sein sollte, so ist weiter zu prüfen, welche Fallgestaltungen die Testierenden regeln wollten, insbesondere ob sie für den in kurzem zeitlichen Abstand eintretenden Tod beider Ehegatten nur eine einheitliche Ursache – etwa einen gemeinsamen Unfall (vgl. BayObLG FamRZ 1995, 1446/1447) – oder auch verschiedene – etwa krankheitsbedingte – Ursachen in Betracht gezogen haben (vgl. OLG Stuttgart FamRZ 1994, 852 f.). Das Landgericht hat aufgrund des Ermittlungsergebnisses, insbesondere der Zeugenaussagen, angenommen, das kurzzeitige Nacheinanderversterben der Ehegatten infolge Selbsttötung sei nach ihrem Willen als gleichzeitiger Tod im Sinn des Testaments vom 4.10.1992 anzusehen. Diese Auslegung ist unter den hier gegebenen Umständen nicht nur möglich, sondern naheliegend. Der Senat schließt sich ihr an.
(3) Das Landgericht hat auch außerhalb der Testamentsurkunde liegende Umstände bei der Auslegung mitberücksichtigt. Es hat in Betracht gezogen, daß der Ehemann wiederholt erklärt habe, seine Abkömmlinge sollten nur den Pflichtteil erhalten, und dies als Anhaltspunkt für die von ihm vorgenommene Wertung des Begriffs des gleichzeitigen Todes angesehen. Mit Recht hat das Landgericht auch den Inhalt des widerrufenen Testaments vom 6.12.1990 zur Auslegung herangezogen (vgl. BayObLGZ 1981, 79/82 und BayObLG FamRZ 1990, 563/564) und den Umstand gewürdigt, daß die Eheleute eine in diesem Testament enthaltene Einsetzung der für den Fall des gleichzeitigen Todes bestimmten Erbin auch als Erbin des Überlebenden in das spätere Testament vom 4.10.1992 nicht übernommen haben. Dem Fehlen einer solchen Regelung in dem hier maßgeblichen Testament brauchte das Landgericht keine Anhaltspunkte für die Auslegung des Begriffs des „gleichzeitigen Todes“ zu entnehmen.
(4) Das Beschwerdegericht mußte die von der Nachlaßpflegerin zu den Akten gegebenen Entwürfe und Ablichtungen widerrufener früherer letztwilliger Verfügungen der Ehegatten zur Auslegung nicht heranziehen. Der Inhalt dieser Schriftstücke beschränkt sich auf Regelungen, die in die maßgeblichen letztwilligen Verfügungen Eingang gefunden haben, und ist daher nicht geeignet, den vorhandenen Auslegungsstoff zu ergänzen oder zu erweitern. Auch der Senat hat die Schriftstücke bei seiner Überprüfung der landgerichtlichen Entscheidung daher im Ergebnis außer Betracht lassen können.
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