BGH IV ZR 51/09
Pflichtteilsanspruch: Berücksichtigung einer dinglichen Belastung eines Nachlassgegenstands bei der Berechnung
Bei der Berechnung des Pflichtteilsanspruchs bleiben dingliche Belastungen von Nachlassgegenständen (hier: Grundschuld) als zweifelhafte Verbindlichkeiten Kommanditisten gemäß § 2313 Abs. 2 Satz 1 BGB bei der Nachlassbewertung außer Ansatz, wenn und solange ihre tatsächliche Verwirklichung unsicher ist. Das gilt auch dann, wenn die dingliche Belastung zur Absicherung der gegenüber einem Dritten bestehenden Verbindlichkeit bestellt wurde
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 6. März 2009 wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Kläger machen gegen den Beklagten Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche nach der am 18. Februar 1996 verstorbenen F. F., der Mutter des Beklagten und Großmutter der Kläger, geltend. Mit Testament vom 5. August 1988 hatte die Erblasserin den Beklagten zu ihrem Erben eingesetzt. Der Ehemann der Erblasserin sowie ihr anderer Sohn, der Vater der Kläger, waren vorverstorben. Der Nachlass besteht im Wesentlichen aus Grundstücken, die im Allein- oder Miteigentum der Erblasserin standen. Nach dem Tod ihres Ehemannes 1985 wurde die von diesem betriebene Einzelfirma „K. F.“ zunächst von der Erblasserin, dem Beklagten sowie dem Vater der Kläger in ungeteilter Erbengemeinschaft fortgeführt. Ende 1987/Anfang 1988 gründeten der Beklagte und sein Bruder die F. GmbH & Co., KG (im Folgenden: F. KG), an der die beiden Brüder als Kommanditisten beteiligt waren. Die Erblasserin wurde nicht Mitgesellschafterin. Die Grundstücke, die teilweise für betriebliche Zwecke genutzt werden, wurden nicht in die F. KG eingebracht, sondern verblieben im Allein- bzw. Miteigentum der Erblasserin. Diese gestattete aber die kostenfreie Nutzung des Grundbesitzes durch die F. KG und sicherte deren Kreditverbindlichkeiten durch die Eintragung von Grundschulden, die zum Zeitpunkt des Erbfalles mit 714.963,42 DM valutierten. Eine Inanspruchnahme der Grundschulden durch die finanzierenden Kreditinstitute ist bisher nicht erfolgt.
Das Landgericht hat der Klage nach Einholung eines Sachverständigengutachtens teilweise stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das Berufungsgericht das Urteil des Landgerichts dahin geändert, dass der Beklagte zur Zahlung von 13.464,18 € an den Kläger zu 1 und von je 23.690,01 € an die Kläger zu 2 und 3 nebst jeweils 4% Zinsen hieraus seit 31. Januar 1997 verurteilt worden ist. Mit der Revision verfolgt der Beklagte seinen Klagabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Bewertung der Grundstücke nach dem Ertragswertverfahren durch den Sachverständigen sei nicht zu beanstanden, da es sich um fremd genutzte Betriebsgrundstücke gehandelt habe. Auf das vom Beklagten vorgelegte Gutachten könne demgegenüber nicht abgestellt werden, weil dieses auf der Sachwertmethode basiere. Auszugehen sei mithin von einem Wert der Grundstücke von 337.542,12 €. Die Grundschulden seien gemäß § 2313 Abs. 2 BGB nicht wertmindernd zu berücksichtigen. Solange die Inanspruchnahme noch ungeklärt sei, zählten Grundpfandrechte für fremde Schulden zu den zweifelhaften Verbindlichkeiten. Der Erbe solle das Risiko tragen, dass sich ungewisse Verbindlichkeiten doch noch verwirklichten und der Ausgleichsanspruch aus § 2313 Abs. 1 Satz 3 BGB geltend gemacht werden müsse. Umgekehrt sollten die Kläger als Pflichtteilsberechtigte in Geld so viel erhalten, wie sie erhalten würden, wenn sie zu dem dem Pflichtteil entsprechenden Bruchteil Erben geworden wären. Als Erben sei ihr Vermögen aber nicht geschmälert, solange die Kommanditgesellschaft ihren Verpflichtungen gegenüber den Banken nachkomme und die Grundschulden nicht in Anspruch genommen würden. Die Anwendung von § 2313 Abs. 2 BGB sei auch sachgerecht, weil der Erbe anders als der Pflichtteilsberechtigte dann erfahre, wenn sich die zunächst unberücksichtigt gebliebenen Belastungen verwirklichten. Unter Berücksichtigung weiterer Vermögenswerte, bestehender Verbindlichkeiten, Schenkungen sowie anzurechnender Vorempfänge hat das Berufungsgericht den sich jeweils auf 1/12 des Nachlasswertes belaufenden Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsanspruch der Kläger im tenorierten Umfang berechnet. Das hält rechtlicher Nachprüfung standZutreffend hat das Berufungsgericht angenommen, dass die auf den Nachlassgrundstücken lastenden Grundschulden zur Sicherung von Fremdkrediten zugunsten der F. KG bei der Berechnung des Pflichtteilsanspruchs der Kläger nicht als Nachlassverbindlichkeiten zu berücksichtigen sind, sondern als zweifelhafte Verbindlichkeiten zunächst außer Ansatz bleiben. § 2311 Abs. 1 Satz 1 BGB stellt für den Bestand und den Wert des Nachlasses auf die Zeit des Erbfalles ab. Dieses Stichtagsprinzip des § 2311 BGB wird für bestimmte Arten von Rechten und Verbindlichkeiten in § 2313 BGB durchbrochen, wenn der Bestand des Nachlasses von künftigen ungewissen Ereignissen abhängig ist (vgl. MünchKomm-BGB/Lange, 5. Aufl. § 2313 Rn. 1 f.; Staudinger/Haas, BGB [2006] § 2313 Rn. 1, 16). Gemäß § 2313 Abs. 1 Satz 1 BGB bleiben bei der Feststellung des Wertes des Nachlasses Rechte und Verbindlichkeiten, die von einer aufschiebenden Bedingung abhängig sind, außer Ansatz. Nach § 2313 Abs. 2 Satz 1 BGB gilt für ungewisse oder unsichere Rechte sowie für zweifelhafte Verbindlichkeiten das Gleiche wie für Rechte und Verbindlichkeiten, die von einer aufschiebenden Bedingung abhängig sind.
a) Auf dieser Grundlage entspricht es ganz überwiegender Auffassung, dass dingliche Belastungen von Nachlassgegenständen jedenfalls dann als zweifelhafte Verbindlichkeiten bei der Nachlassbewertung außer Ansatz zu bleiben haben, wenn und solange ihre tatsächliche Verwirklichung unsicher ist. So hat bereits das Reichsgericht entschieden, dass ein Pfandrecht auf in den Nachlass fallende Wertpapiere unter 2313 Abs. 2 Satz 1 BGB fällt, wenn es der Sicherung einer fremden Schuld dient und noch gänzlich ungewiss ist, ob und in welcher Höhe das Pfandrecht in Anspruch genommen wird (SeuffArch 68, 237). Weiter hat der Senat Grundschulden an von Kriegsschäden betroffenen Grundstücken als zweifelhafte Verbindlichkeiten angesehen, weil unklar war, ob und in welcher Höhe diese tatsächlich verwirklicht werden könnten (Urteil vom 22. November 1951 – IV ZR 37/51, BGHZ 3, 394, 397 ff.). Auch im Schrifttum wird weitgehend die Ansicht geteilt, dass Grundpfandrechte als zweifelhafte Verbindlichkeiten zu behandeln sind, solange offen ist, ob der Sicherungsfall eintritt und in welcher Höhe eine Inanspruchnahme erfolgt (MünchKomm-BGB/Lange aaO Rn. 7; Staudinger/Haas aaO Rn. 11; Bamberger/Roth/Mayer, BGB 2. Aufl. § 2313 Rn. 4; Soergel/Dieckmann, BGB 13. Aufl. § 2313 Rn. 8; PWW/Deppenkemper, BGB 5. Aufl. § 2313 Rn. 5; Lange/Kuchinke, Erbrecht 5. Aufl. § 37 VII Fn. 273).
Hiervon abweichend wird vereinzelt die Auffassung vertreten, Grundpfandrechte seien in Höhe ihrer Valutierung als den Nachlass mindernd zu berücksichtigen (Klingelhöffer, Pflichtteilsrecht 3. Aufl. Rn. 450 f.). Allerdings sei zugleich der Freistellungsanspruch des Erblassers gegenüber dem Schuldner als Aktivum des Nachlasses zu berücksichtigen, so dass diese Ansicht bei tatsächlicher Realisierbarkeit dieses Freistellungsanspruchs in der Regel zu demselben Ergebnis wie die überwiegende Auffassung kommt (so Klingelhöffer aaO; zur Problematik ferner Joachim, Pflichtteilsrecht 2. Aufl. Rn. 123). Demgegenüber ist das Oberlandesgericht Düsseldorf der Ansicht, dingliche Belastungen seien unmittelbar vom Nachlasswert abzusetzen, weil sie einer auflösend bedingten Verbindlichkeit gleichstünden (FamRZ 1995, 1525, 1526). Ein Befreiungs- oder Aufwendungsersatzanspruch sei als Ausgleich bei den Aktiva des Nachlasses dagegen nicht zu berücksichtigen, weil ein solcher Anspruch erst mit der tatsächlichen Inanspruchnahme der Grundschuld entstehe.
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