FG Hessen 1 V 2578/12 – § 20 Abs. 1 des ErbStG

August 4, 2017
Finanzgericht Hessen
Beschl. v. 26.02.2013, Az.: 1 V 2578/12

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens hat die Antragstellerin zu tragen.

Gründe

I.

Zwischen den Beteiligten ist im Rahmen des einstweiligen Rechtschutzes streitig, ob die Antragstellerin als Rechtsnachfolgerin der Vorerbin die durch den Vorerbfall ausgelöste Steuerschuld auch dann nach § 20 Abs. 1 des Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung (ErbStG) schuldet, wenn die Vorerbschaft der zwischenzeitlich verstorbenen Vorerbin wirtschaftlich nicht zugeflossen ist.

Die Antragstellerin ist Alleinerbin der am … Januar 2012 verstorbenen … V (Vorerbin). Diese war alleinige Vorerbin des am … Dezember 2007 verstorbenen Herrn E (Erblasser). Bis zu dem – mit Tod der Vorerbin eingetretenen – Nacherbfall war die Testamentsvollstreckung angeordnet worden. Nachdem der Antragsgegner (das Finanzamt – FA -) den, auf Grundlage der Erbschaftsteuererklärung des Testamentsvollstreckers vom 10. Februar 2010 ergangenen, Erbschaftsteuerbescheid nicht mehr gegenüber der Vorerbin bekannt geben konnte, erließ er am 23. April 2012 gegenüber der Antragstellerin als Rechtsnachfolgerin der Vorerbin einen Steuerbescheid, durch den die Erbschaftsteuer auf …,– € festgesetzt wurde und der unter dem Vorbehalt der Nachprüfung erging.

Hiergegen legte die Antragstellerin Einspruch ein, über den bislang nicht entschieden worden ist. Den gleichzeitig gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung lehnte das FA am 4. Mai 2012 ab. Den gegen die Ablehnung der Aussetzung der Vollziehung gerichteten Einspruch wies das FA mit seiner Entscheidung vom 13. November 2012 als unbegründet zurück. Das FA war der Auffassung, die durch den Erbanfall der Vorerbin ausgelöste Steuerschuld schulde die Antragstellerin als Gesamtsrechtsnachfolgerin der Vorerbin nach § 20 Abs.1 ErbStG i.V.m. § 1922 Abs 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Gemäß § 6 Abs. 1 ErbStG handele es sich bei Vor- und Nacherbfall steuerrechtlich um selbständige, zeitlich getrennte Erbfälle, so dass der Nacherbe die durch den Vorerbfall ausgelöste Steuer nicht schulde. Auch § 20 Abs. 4 ErbStG schränke die Haftung des Vorerben nicht ein, sondern regele lediglich die Befugnis, die Steuerleistung dem Nachlass zu entnehmen bzw. wenn diese aus eigenen Vermögen bestritten werde, den Nacherben zum Ersatz zu verpflichten (§ 2124 Abs. 2 BGB). Die von der Antragstellerin angeführten wirtschaftlichen Gesichtspunkte müssten hierbei außer Betracht bleiben.

Die Antragstellerin hat am 7. Dezember 2012 einen gerichtlichen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gestellt. Zur Begründung trägt sie vor, weder der Testamentsvollstrecker noch die Vorerbin hätten die Möglichkeit gehabt, gemäß § 20 Abs. 4 ErbStG die Steuer aus Mitteln der Vorerbschaft zu entrichten, da es das FA versäumt habe, rechtzeitig einen Steuerbescheid zu erlassen. Mangels Abwicklung des Nachlasses und Eintritt des Nacherbfalls hätten der Vorerbin und der Antragstellerin zu keinem Zeitpunkt Mittel aus der Vorerbschaft zur Verfügung gestanden. Daher seien sie weder befugt, noch in Lage gewesen, dem Nachlass den (voraussichtlichen) Steuerbetrag zu entnehmen. Da nunmehr nur noch die Nacherbin in der Lage sei, die durch die Vorerbschaft veranlasste Steuer aus den Mitteln des Nachlasses zu entrichten, sei auch der Erbschaftsteuerbescheid an diese zu richten. Insoweit verkenne das FA auch, dass § 6 Abs. 2 ErbStG den Nacherben hinsichtlich des Vorerbschaftvermögens als Erben des Vorerben behandelt. Darüber hinaus stelle es eine unbillige Härte dar, dass die Antragstellerin die Steuer für ein Erbe schulde, das ihr nie zur Verfügung gestanden habe. Dies gelte umso mehr, als dieser Zustand letztlich auf Versäumnisse des FA zurückzuführen sei.

Die Antragstellerin regt an, einen Termin zur Erörterung des Sach- und Streitstandes anzuberaumen und beantragt sinngemäß,

die Vollziehung des angefochtenen Erbschaftsteuerbescheides in voller Höhe auszusetzen sowie
hilfsweise – im Unterliegensfalle – die Beschwerde zuzulassen

Das FA beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Zur Begründung verweist es auf seine Einspruchsentscheidung im Aussetzungsverfahren.

Im Rahmen des Einspruchsverfahren wurde der Steuerbescheid mehrfach geändert, zuletzt mit Bescheid vom 10. Dezember 2012, durch den die Erbschaftsteuer auf …,– € festgesetzt wurde. Dieser ist nunmehr Gegenstand des Einspruchsverfahrens (§ 365 Abs. 3 Satz 1 der Abgabenordnung – AO -).

II.

1. Der Senat entscheidet ohne Durchführung eines Erörterungstermins im Sinne des § 79 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 FGO. Es wurde davon abgesehen, einen solchen Termin anzuberaumen, da dieser – neben der vorliegend nicht in Betracht kommenden Vorbereitung einer mündlichen Verhandlung bzw. der Klärung offener Sachverhaltsfragen – im Wesentlichen der gütlichen Beteiligung des Rechtsstreits dienen soll, das FA aber auf telefonische Anregung des Gerichts mitgeteilt hat, dass es im Streitfall keine Möglichkeit für ein Entgegenkommen sehe.

2. Der Antrag ist unbegründet.

Gemäß § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Steuerbescheides auf Antrag aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an seiner Rechtmäßigkeit bestehen oder wenn seine Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige und nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Die Rechtmäßigkeit eines Steuerbescheides ist ernstlich zweifelhaft, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken, so dass sich bei abschließender Klärung dieser Fragen der Verwaltungsakt als rechtswidrig erweisen könnte (ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes – BFH – seit dem Beschluss vom 10. Februar 1967, III B 9/66, Bundessteuerblatt – BStBl – III 1967, 182).

a) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Erbschaftsteuerbescheides, die eine Aussetzung der Vollziehung rechtfertigen würden. Nach den im Rahmen des summarischen Verfahrens zu treffenden Beurteilungen hat das FA zu Recht die Antragstellerin als Rechtsnachfolgerin der Vorerbin für die Erbschaftsteuer aus der Vorerbschaft in Anspruch genommen.

b) Gemäß § 6 Abs. 1 ErbStG gilt der Vorerbe steuerrechtlich als Erbe. Daher unterliegt der durch den Vorerbfall bewirkte Erwerb von Todes wegen der Erbschaftsteuer (§§ 1 Abs. 1 Nr. 1, 3 Abs. 1 Nr. 1 Var. 1 ErbStG). Steuerschuldner ist nach § 20 Abs. 1 Satz 1 ErbStG der Vorerbe als Erwerber. Ist dieser bei Erlass des Steuerbescheides bereits verstorben, ist der Steuerbescheid an den Erben als Gesamtrechtsnachfolger im Sinne des § 1922 Abs. 1 BGB zu richten (vgl. Brockmeyer in Klein, AO, 8. Auflage, § 122, Rdnr. 33).

Entgegen der Auffassung der Antragstellerin folgt aus dem vor Erlass des Steuerbescheides eingetretenen Nacherbfall nichts anderes (vgl. Urteil des Reichsfinanzhofes – RFH – vom 7. November 1935 III e A 28/35, Reichssteuerblatt – RStBl – 1935, 1509; Kobor in Fischer/Jüptner/Pahlke/Wachter, ErbStG, 2. Auflage, § 6 Rdnr. 14; Jüptner in Fischer/Jüptner/Pahlke/Wachter, a.a.O., § 20 Rdnr 43; Gebel in Troll/Gebel/Jülicher, ErbStG, Loseblatt, Stand März 2012, § 6 Rdnr. 23), insbesondere wurde hierdurch nicht der Nacherbe zum Schuldner der durch den Vorerbfall ausgelösten Steuerschuld (Urteil des Finanzgerichts – FG – Hamburg vom 18. Januar 1968 II 180/65, Entscheidungen der Finanzgerichte – EFG – 1968, 362, Geck in Kapp/Ebeling, ErbStG, Loseblatt, Stand Oktober 2012, § 6 Rdnr. 43).

Zwar bestimmt § 6 Abs. 2 Satz 1 ErbStG, dass beim Eintritt der Nacherbfolge (durch den Tod des Vorerben) diejenigen, auf die das Vermögen übergeht, den Erwerb als vom Vorerben stammend zu versteuern haben, hieraus ergibt sich aber kein Übergang der durch die Vorerbschaft ausgelösten Steuerschuld auf den Nacherben. Vielmehr ordnet § 6 Abs.2 Satz 1 ErbStG lediglich an, dass – entgegen der zivilrechtlichen Bestimmung des § 2100 BGB, wonach die Nacherben Erben des Erblassers sind – als Erblasser im Sinne des § 15 Abs.1 ErbStG grundsätzlich der Vorerbe gilt. Mithin kommt es in Fällen der Nacherbschaft für die Bestimmung der Steuerklasse des § 15 Abs.1 ErbStG und damit mittelbar auch für die Höhe des Freibetrags nach § 16 Abs.1 ErbStG sowie die Höhe des Steuersatzes nach § 19 Abs.1 ErbStG auf das Verhältnis des Erwerbers, d.h. desjenigen, der im Zeitpunkt des Nacherbfalles Inhaber des Nacherbenanwartschaftsrechts ist, zum Vorerben an (vgl. aber § 6 Abs. 2 Satz 2 ErbStG).

Den in Teilen der Literatur geäußerten Bedenken, die zu dieser Rechtsfrage ergangenen Urteile des RFH und des FG Hamburg hätten sich nicht mit der Bestimmung des (heutigen) § 6 Abs. 2 Satz 1 ErbStG auseinandergesetzt (Meincke, ErbStG, 16. Auflage, § 6 Rdnr. 6, wohl auch Weinmann in Moench/Weinmann ErbStG, Loseblatt, Stand Januar 2013, § 6 Rdnr. 9), vermag der Senat nicht zu folgen. Da sich diese Bestimmung fast wortgleich sowohl in § 7 Abs. 2 Satz 1 ErbStG 1925 (vom 22. August 1925, RGBl I, 320) als auch in der Fassung des ErbStG 1959 (BGBl I, 187) findet, ist davon auszugehen, dass den Gerichten diese Regelung durchaus bekannt war, sie ihnen aber – aus den vorgenannten Gründen – nicht wesentlich für ihre Entscheidung erschien.

Für die Bestimmung des Steuerschuldners ist auch nicht von Bedeutung, dass – aus welchen Gründen auch immer – der Erlass des Bescheides über die durch die Vorerbschaft ausgelöste Steuerschuld erst nach Eintritt des Nacherbfalls erfolgte und die Steuerschuldnerin die Steuer daher entgegen § 20 Abs. 4 ErbStG nicht aus Mitteln der Vorerbschaft entrichten konnte. Denn nach der Überzeugung des Senats schränkt die Regelung des § 20 Abs. 4 ErbStG die Haftung des Vorerben nicht ein (a.A. Meincke, ErbStG, 16. Auflage, § 20 Rdnr. 6). Vielmehr ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte des wortgleichen § 15 Abs. 4 ErbStG 1925, der in der Entwurfsfassung noch systematisch dem

§ 7 ErbStG 1925 (§ 6 ErbStG) zugeordnet war, dass der Gesetzgeber verhindert wollte, dass derjenige, der zugleich Erbe und Vorerbe wird, die durch die Vorerbschaft höhere Steuerlast aus seinem Erbe leisten muss. Entgegen der Überschrift und seiner systematischen Stellung soll § 20 Abs. 4 ErbStG die Stellung des Vorerben als Steuerschuldner nach § 20 Abs. 1 ErbStG damit in keiner Weise einschränken (RFH-Urteil vom 7. November 1935 III e A 28/35, RStBl 1935, 1509, zu § 15 Abs. 4 ErbStG 1925). Auch besteht kein steuerrechtlicher Grund, anzuordnen, dass der Vorerbe die Steuer aus Mitteln der Erbschaft entrichten müsse, ihm also zu verbieten, sie aus eigenen Mitteln zu bezahlen. Sinn bekommt diese Vorschrift vielmehr nur unter dem bürgerlich-rechtlichen Gesichtspunkt, dass der Vorerbe befugt ist, die Steuerleistung dem Nachlass zu entnehmen (BFH-Urteil vom 12. Mai 1970 II 52/64, BStBl II 1972, 462 zu § 15 Abs. 4 ErbStG a.F.). Die Steuer soll also wirtschaftlich aus der Substanz der Erbschaft bezahlt werden und damit letztlich – als eine auf der Vorerbschaft ruhende außerordentliche Last im Sinne des § 2126 BGB – zu Lasten des Nacherben gehen bzw. – wenn sie aus dem Vermögen des Vorerben bewirkt wird – einen Ersatzanspruch nach § 2124 Abs. 2 Satz 2 BGB auslösen (Urteil des Landgerichts Bonn vom 24. Januar 2012 10 O 453/10 Neue Juristische Wochenschrift-Rechtsprechungsreport – NJW-RR – 2012,1031 m.w.N.; Jüptner in Fischer/Jüptner/Pahlke/Wachter, ErbStG, 2. Auflage, § 20 Rdnr 43).

c) Eine Aussetzung der Vollziehung des Steuerbescheides kommt im Streitfall auch nicht auf der Grundlage des § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 Alternative 2 FGO wegen unbilliger Härte in Betracht.

Nach ständiger BFH-Rechtsprechung ist auch bei Vorliegen einer unbilligen Härte der Vollstreckung eine Aussetzung der Vollziehung nur möglich, wenn Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Steuerbescheides nicht ausgeschlossen werden können (zuletzt BFH-Beschluss vom 26. Oktober 2011 I S 7/11, BFH/NV 2012, 583 mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen; Koch in Gräber, FGO, 7. Auflage, § 69 Rdnr. 107).

Ob die Voraussetzungen einer unbilligen Härte im vorliegenden Fall erfüllt sind, kann offenbleiben. Jedenfalls scheidet eine Aussetzung der Vollziehung auf einer solchen Grundlage aus, weil Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Steuerbescheides nahezu ausgeschlossen sind. Soweit ersichtlich, werden selbst in der von der Antragstellerin zitierten Literatur lediglich Bedenken gegen die bisherige Rechtsprechung formuliert, die jedoch aus den oben genannten Gründen nicht durchgreifen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

4. Die Beschwerde war nicht zuzulassen, da keine Zulassungsgründe ersichtlich sind. Gemäß § 128 Abs. 3 Satz 2 FGO i.V.m. § 115 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 FGO ist eine Beschwerde gegen einen Beschluss über den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung regelmäßig nur wegen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts, zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder wegen eines Verfahrensmangels zuzulassen. Die vorliegende Sache hat insbesondere keine grundsätzliche Bedeutung, da die dem Streitfall zugrunde liegende Rechtsfrage bereits gerichtlich geklärt ist (vgl. RFH-Urteil vom 7. November 1935 III e A 28/35, RStBl 1935, 1509; Urteil des FG Hamburg vom 18. Januar 1968 II 180/65, EFG 1968, 362).

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