Finanzgericht München Urt. v. 05.11.2003, Az.: 4 K 4790/01 Differenzierung zwischen beschränkt und unbeschränkt Steuerpflichtigen

August 4, 2017
Finanzgericht München
Urt. v. 05.11.2003, Az.: 4 K 4790/01
Differenzierung zwischen beschränkt und unbeschränkt Steuerpflichtigen anhand des Inlandswohnsitzes; Vorliegen einer indirekten Diskriminierung; Besteuerung nach österreichischen Vorschriften; Verstoß gegen europäisches Gemeinschaftsrecht

Lediglich wenn der gesamte oder nahezu der gesamte Erwerb (ab 90 v.H. des gesamten Vermögens) aus im Inland der Erbschaftsbesteuerung unterliegendem Inlandsvermögen besteht, könnte die Freibetragsregelung des § 16 Abs. 2 ErbStG zu einer mittelbaren Diskriminierung im Ausland wohnender EG-Bürger führen.

 

  1. 1.

    Die Klage wird abgewiesen.

  2. 2.

    Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

  3. 3.

    Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Streitig ist nur noch, ob § 2 Abs. 1 Ziffer 1 i.V.m. §§ 16 Abs. 2 und 19 Erbschaftsteuergesetz (ErbStG) das Europäische Gemeinschaftsrecht verletzt.

I.

Die am 26.06.2000 in Innsbruck (Österreich) verstorbene Erblasserin … würde von ihrer Tochter, der Klägerin allein beerbt.

Sowohl die Erblasserin als auch die Klägerin hatten am Todestag ihren Wohnsitz in Innsbruck; sie hielten sich in den letzten fünf Jahren vor dem Todestag dauernd im Ausland auf, ohne in der Bundesrepublik Deutschland einen Wohnsitz zu haben. Beide besaßen ausschließlich die österreichische Staatsangehörigkeit.

Mit Erbschaftsteuerbescheid vom 30.05.2001 setzte das Finanzamt die Erbschaftsteuer wie folgt fest:

Wert des Erwerbs:

Landsgrundstück … 1/3-Anteil
Wert lt. Feststellungsbescheid des Finanzamts M. und Verkehrsteuern vom 13.03.2001 1.088.000,00 DM
./. Darlehen 5.455,00 DM
1.082.545,00 DM
./. Freibetrag gemäß § 16 Abs. … ErbStG 2.000,00 DM
steuerpflichtiger Erwerb – abgerundet 1.080.500,00 DM
Steuerklasse I, Steuersatz gem. § 19 Abs. 3 AO: 15 % × 1.000.000,00 DM = 150.000,00 DM 1/2 × 80.000,00 DM = 40.250,00 DM
190.250,00 DM

Der Bescheid erging vorläufig gemäß § 165 Abs. 1 AO hinsichtlich der Kosten für den Erbfall, da diese noch nicht bekannt waren.

Ihren Einspruch begründete die Klägerin damit, dass – obwohl die festgesetzte Erbschaftsteuer, beruhend auf dem Feststellungsbescheid rein rechnerisch richtig errechnet sei – der vorliegende Erbschaftsteuerbescheid das Europäische Gemeinschaftsrecht in gravierendem Ausmaß verletze, und zwar hinsichtlich der Niederlassungs- und Kapitalverkehrsfreiheit und des Diskriminierungsverbots aufgrund der Staatsangehörigkeit des Art. 6 EG-Vertrag.

Der Einspruch blieb im Wesentlichen erfolglos. Lediglich wegen der Anerkennung im Einspruchsverfahren geltend gemachten Nachlaßverbindlichkeiten setzte das Finanzamt die Erbschaftsteuer auf 183.100,00 DM herab, weiterhin vorläufig gemäß § 165 Ab 1 AO bezüglich der Erbfallkosten (s. Einspruchsentscheidung vom 12.10.2001, Bl. 83 FA-Akte).

Mit der Klage trägt die Klägerin wiederum vor, dass die Bestimmung des § 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG i.V.m. §§ 16, 19 ErbStG gravierend gemeinschaftswidrig sei.

Der normative Inhalt, der für den gegenständlichen Fall maßgeblich sei, besage, dass der nicht deutsche Staatsbürger, der auch keinen Wohnsitz in Deutschland habe, keinen Freibetrag im Sinne des § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG zugebilligt erhalte. Diesen Freibetrag erhalte dagegen der deutsche Staatsbürger wie auch jener ausländische Staatsbürger, der in Deutschland seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt habe.

Die Bestimmung des § 2 ErbStG beinhalte demnach eine Diskriminierung hinsichtlich der Staatsangehörigkeit wie auch hinsichtlich des Grundrechtes der Niederlassungs- und Kapitalverkehrsfreiheit, weil deutsche Staatsbürger und nicht deutsche Staatsbürger unterschiedlich behandelt würden.

Auch der deutsche Staatsbürger, der seit mehr als fünf Jahren keinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland habe, werde im Erbschaftsteuerrecht schlechter behandelt als ein deutscher Staatsbürger im Inland oder ein Ausländer, der in Deutschland lebe und seinen gewöhnlichen Aufenthalt habe. In diesem Umfang werde daher die Grundsäule des Gemeinschaftsrechtes der Niederlassungsfreiheit gravierend verletzt.

Die Klägerin verweist in diesem Zusammenhang auf zwei Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes, nämlich auf die Entscheidung C 35/98, woraus hervorginge, dass der Freibetrag für Dividenden im Einkommensteuergesetz im Gemeinschaftsbereich der Europäischen Gemeinschaft gleichhoch sein müsse. Unterschiedliche Freibeträge seien demnach verbotswidrig und verletzten den Grundsatz der Niederlassungs- und Kapitalverkehrsfreiheit. Aber auch die Entscheidung C 251/98 sei auf den gegenständlichen Fall anwendbar, welche besagt, dass jede Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit unterlassen werden müsse. In diesem Bezugsfall sei es um einen Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates gegangen, der in diesem wohnte und sämtliche Anteile an einer Gesellschaft gehalten habe, die ihren Sitz in einem anderen Mitgliedstaat habe. Eine 100 %ige Beteiligung am Kapital einer Gesellschaft, die ihren Sitz in einem anderen Mitgliedstaat habe, bewirke zweifelsohne, dass auf diesen Steuerpflichtigen die Vertragsvorschriften für die Niederlassungsfreiheit Anwendung finden müssten. Es dürfe in der Streitsache keine Rolle spielen, ob nun die Klägerin zu ihrem bereits sei 1967 erworbenen 1/3 Anteil am Haus M. T. nun noch ein weiteres Drittel seitens ihrer Mutter hinzuerwerbe. Die Steuervorschriften für die Erbschaftsteuer seien daher jedenfalls so anzuwenden, als hätte sie ihren Wohnsitz im Inland. Das Haus … stelle ein Vermietungsunternehmen dar; die Mieteinnahmen dienten der Deckung des Lebensunterhalts.

Art. 6 EG-Vertrag, der ein allgemeines Verbot der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit enthalte, könne nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes autonom nur auf durch das Gemeinschaftsrecht geregelte Fallgestaltung angewendet werden, für die der Vertrag keine besonderen Diskriminierungsverbote vorsehe.

Der Grundsatz der Nichtdiskriminierung sei im Bereich des Niederlassungsrechtes durch Art. 52 EG-Vertrag umgesetzt und konkretisiert worden; aus diesem Artikel ergebe sich, dass die Bestimmung des § 2 Abs. 1 Nr. 1 c ErbStG eine gemeinschaftswidrige Norm ist.

Die Art. 6 und 52 des EG-Vertrages seien unmittelbar anwendbares Recht, so dass diese Bestimmungen bereits die Finanzbehörde anzuwenden hätten.

Nach der Entscheidung des EuGH zu C 397/98 und C 410/98 seien Diskriminierungen unter Berufung auf die Kohärenz des Steuersystems unzulässig, wenn diese durch DBA vermieden werden könnten. Das österreichisch-deutsche DBA sehe jedoch eine derartige Regelung nicht vor.

Nach österreichischem Recht wäre das gesamte Vermögen (Vermögen in Deutschland 7.515.719 ATS = 1.068.252,00 DM, Vermögen in Österreich 3.510.000 ATS = 498.896,00 DM) nur mit 11 % zu versteuern (= 1.212.829 ATS), so dass die deutsche Erbschaftsteuer wegen des niedrigeren Freibetrags von 2.000,00 DM diskriminierend sei.

Die Klägerin beantragt,

diese Rechtsfrage gem. §Art. 234 EG-Vertrag dem EuGH vorzulegen bzw. unter Änderung des Erbschaftsteuerbescheids vom 30.05.2001 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12.10.2001 die Erbschaftsteuer auf 100.237,00 DM herabzusetzen.

Das Finanzamt beantragt,

unter Hinweis auf seine Einspruchsentscheidung Klageabweisung.

Gründe

II.

Die Klage ist unbegründet.

Ein Verstoß gegen höherrangiges Gemeinschaftsrecht, hier den im Zeitpunkt der Steuerentstehung geltenden EG-Vertragsbestimmungen (Art. 12, 43 und 73 b EGV), liegt nach Auffassung des Senats nicht vor, so dass eine Vorlage an den EuGH gem. Art. 234 EG-Vertrag nicht in Betracht kam.

Nachdem im Streitfall die Differenzierung zwischen beschränkt und unbeschränkt Steuerpflichtigen in § 2 Abs. 1 Nr. 1 a und Nr. 3 ErbStG nur an den fehlenden Inlandswohnsitz der Erblasserin und der Erbin anknüpft, die unabhängig von der deutschen Staatsangehörigkeit ist, scheidet eine Diskriminierung nach der Staatsangehörigkeit von vornherein aus. Es könnte die Ungleichbehandlung bei Gewährung des Steuerfreibetrags allenfalls eine indirekte Diskriminierung (s. dazu Dautzenberg/Brüggemann BB 1997, 123, 127 sowie Troll a.a.O. Einf. Tz. 51 „versteckte Diskriminierung“) nach dem Wohnsitz darstellen, zumal grundsätzlich der Regelungsbereich der DBAs nicht zu den Gemeinschaftskompetenzen gehört (s. Art. 293 EG-Vertrag sowie Dautzenberg/Brüggemann a.a.O. S. 124; s.a. FG Düsseldorf, Urteil vom 03.07.1996 4 K 5910/91 Erb, EFG 1996, 1166 m.w.N.), außer es besteht eine Regelungslücke (s. Troll a.a.O. § 2 Tz. 141 m.w.N.). Lediglich wenn unterschiedliche Vorschriften auf gleichartige Situationen angewandt werden (s. Urteile EuGHE I 1995, 225, NJW 1995, 1207; EuGHE I 1995, 2493, EuZVV 1995, 703), hier also für gleichartige Erwerbe unterschiedliche Freibeträge gelten (einmal der volle Freibetrag von 400.000,00 DM nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG, ein andermal hingegen nur der Freibetrag von 2.000,00 DM) läge ein solcher Verstoß vor.

In der Streitsache liegt jedoch keine gleichartige Situation vor. Dies ergibt sich daraus, dass der unbeschränkt Steuerpflichtige, dem der höhere Freibetrag zusteht, mit seinem gesamten Weltvermögen der deutschen ErbSt unterliegt, während bei beschränkt Steuerpflichtigen nach dem mit Österreich abgeschlossenen DBA (Art. 3) nur das im Inland belegene Grundvermögen unter Gewährung des niedrigeren Freibetrags besteuert wird. Diese Differenzierung rechtfertigt die unterschiedliche Gestaltung der Freibetragsregelung und könnte allenfalls dann zu einer mittelbaren Diskriminierung im Ausland wohnender EG-Bürger führen, wenn der gesamte oder nahezu der gesamte Erwerb aus im Inland der ErbSt-Besteuerung unterliegendem Inlandsvermögen (§ 121 BewG) bestehen würde (vgl. Meinke ErbStG m.H. auf Schaumburg in RiWO1, 166; Troll/Gebel/Jülicher a.a.O. § 16 Rz. 21, § 2 Tz. 49, 141, Einf. Tz. 52).

In Anlehnung an die Regelung in § 1 Abs. 3 S. 2 EStG, die aufgrund der Rechtsprechung des EuGH getroffen wurde (s. Schmidt/Heinicke, EStG, 22. Aufl. Rz. 40 ff), wird dies erst ab 90 % des gesamten Vermögens relevant (so auch Troll a.a.O. Einf. Tz. 52). Im Streitfall ist jedoch das Inlandsvermögen weit niedriger.

Ein Verstoß gegen Art. 43 EGV (Niederlassungsfreiheit) scheidet bereits deshalb aus, weil dieser nur auf eine wirtschaftliche Betätigung abstellt, unter die die Erbeinsetzung nicht fällt (vgl. FG-Düsseldorf a.a.O.). Inwieweit Art. 56 f (Freier Kapitalverkehr) in der Streitsache berührt sein könnte, ist nicht erkennbar.

Die Kostenentscheidung erfolgt gemäß § 135 Abs. 1 FGO.

Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).

Das Gericht entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 FGO).

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