KG Berlin 05.07.2016, 6 W 59/16
Beschluss
Nachlassache: Erbrecht eines Erben 4. Ordnung nach Beitritt der ehemaligen DDR
Tenor
Die Beschwerde der Beteiligten zu 3.–10. und 12. gegen den Beschluss des Amtsgerichts Tempelhof-Kreuzberg – Nachlassgericht – vom 23. März 2016 wird auf ihre Kosten bei einem Beschwerdewert von 850.000 € zurückgewiesen.
Gründe
I.
Die Beteiligten zu 3.–10. und 12. wenden sich als mögliche Erben 5. Ordnung mit ihrer am 18. April 2016 eingegangenen Beschwerde gegen den Beschluss des Nachlassgerichts vom 8. März 2016, den Verfahrensbevollmächtigten der Beschwerdeführer zugestellt am 23. März 2016, in dem die für die Erteilung eines Alleinerbscheins zu Gunsten des Beteiligten zu 1) – Antragstellers – erforderlichen Tatsachen festgestellt worden sind. Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens der Beteiligten und der Begründung der Entscheidung wird auf den angefochtenen Beschluss (Bd. II Bl. 1 – 3 d.A.) Bezug genommen.
Die Beschwerdeführer vertreten weiterhin die Ansicht, der Antragsteller schließe sie nicht von der Erbfolge aus, weil der Erbfall am 11. Januar 2009 und damit vor dem 29. Mai 2009 – dem Wirksamwerden der Regelungen des 2. ErbGleichG – eingetreten ist mit der Folge, dass der vor dem 1. Juli 1949 nichtehelich geborene Antragsteller – trotz der Anerkennung der Vaterschaft durch seinen Erzeuger – in der väterlichen Linie nicht erbberechtigt sei. Daran ändere auch der im Zeitpunkt des Erbfalls noch geltende Art. 235 § 1 Abs. 2 EGBGB nichts. Denn diese Regelung, wonach in Ansehung eines vor dem Wirksamwerden des Beitritts geborenen nichtehelichen Kindes die für die erbrechtlichen Verhältnisse eines ehelichen Kindes geltenden Vorschriften anzuwenden sind, enthalte im Hinblick auf den Zweck der Überleitungsregelung, Bestandschutz zu gewähren, das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal, dass dem nichtehelichen Kind nur die Erbrechte, die ihm unter der Geltung des ZGB zugestanden hätten, erhalten bleiben sollten. Die Regelung setze voraus, dass es ohne den Beitritt zur Erbfolge des Kindes nach dem ZGB gekommen wäre. Unter der Geltung des ZGB wäre der Antragsteller als Erbe der 4. Ordnung jedoch nicht erbberechtigt gewesen, da das ZGB ausweislich der Regelungen der §§ 365 – 369 ZGB nur Erben der 1. bis 3. Ordnung kannte und, wenn solche nicht vorhanden waren, gemäß § 369 Abs. 1 ZGB der Staat als gesetzlicher Erbe berufen war. Anhaltspunkte dafür, dass der Einigungsgesetzgeber die Rechte nichtehelicher Kinder über Art 235 § 1 Abs. 2 EGBGB sogar noch erweitern wollte, lägen nicht vor. Die vom Nachlassgericht vorgenommene Auslegung der Bestimmung sei mit den gesetzlichen Regelungen und der ober- und höchstrichterlichen Rechtsprechung unvereinbar.
Mit Beschluss vom 7. Juni 2016 hat das Nachlassgericht der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.
II.
Die Beschwerde der Beteiligten zu 3. – 10. und 12. ist gemäß §§ 58 ff. FamFG zulässig, sie ist insbesondere form– und fristgerecht (§§ 63, 64 FamFG) eingelegt und begründet worden. Die Beschwerdeführer sind auch beschwerdebefugt im Sinne des § 59 Abs. 1 FamFG, da sie – anstelle des Antragstellers – das Erbrecht für sich in Anspruch nehmen.
In der Sache bleibt die Beschwerde jedoch ohne Erfolg, denn die Entscheidung, die für die Erteilung eines Erbscheines zu Gunsten des Beteiligten zu 1. als Alleinerben erforderlichen Tatsachen festzustellen, ist auch unter Berücksichtigung der Beschwerdebegründung nicht zu beanstanden
Ausgangspunkt der Prüfung des zum Zeitpunkt des Erbfalls anwendbaren Rechts sind die Bestimmungen des Art. 230 EGBGB und Art 235 § 1 Abs. 1 EGBGB, aus denen sich ergibt, dass auf den vorliegenden, nach dem 03.10.1990 eingetretenen Erbfall die Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches anzuwenden sind. Insoweit stellt das Nachlassgericht zutreffend fest, dass der Erbe 4. Ordnung im Sinne des § 1928 Abs. 1 BGB die Erben 5. Ordnung im Sinne des § 1929 Abs. 1 BGB gemäß § 1930 BGB von der Erbfolge ausschließt.
Da der Antragsteller der einzige Erbe 4. Ordnung ist, kommt es mithin für die Begründetheit seines Erbscheinsantrages allein darauf an, ob er als nichteheliches Kind in väterlicher Linie erbfähig ist.
Nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches wäre der Antragsteller zwar als ein vor dem 1. Juli 1949 nichtehelich geborenes Kind nicht erbberechtigt gewesen, weil der Erbfall vor dem 29. Mai 2009, dem zeitlichen Geltungsbereich des 2. ErbGleichG, eingetreten ist. Dem Antragsteller kommt jedoch aufgrund des maßgeblichen Erbstatuts die im Rahmen des Einigungsvertrages eingeführte Überleitungsvorschrift des Art. 235 § 1 Abs. 2 EGBGB zugute. Dieser hatte ab dem 3. Oktober 1990 zunächst folgenden Wortlaut:
“Anstelle der §§ 1934 a – 1934 e und § 2338 a des Bürgerlichen Gesetzbuches gelten auch sonst, wenn das nichteheliche Kind vor dem Wirksamwerden des Beitritts geboren ist, die Vorschriften über das Erbrecht des ehelichen Kindes.”
Im Zuge der teilweisen Gleichstellung nichtehelicher und ehelicher Kinder durch das 1. ErbGleichG wurde Art. 235 § 1 Abs. 2 EGBGB zum 1. April 1998 im Wortlaut angepasst und hatte bis zu seiner Streichung am 28. Mai 2009 folgenden Wortlaut:
“Ist der Erblasser nach dem Wirksamwerden des Beitritts gestorben, so gelten in Ansehung eines nichtehelichen Kindes, das vor dem Beitritt geboren ist, die für die erbrechtlichen Verhältnisse eines ehelichen Kindes geltenden Vorschriften.”
Hintergrund dieser Überleitungsregelung war, dass in der DDR bereits mit der Einführung des ZGB zum 01. Januar 1976 eine vollständige Gleichstellung der nichtehelichen Kinder mit den ehelichen Kindern – und zwar ohne jede Altersgrenze oder Stichtagsregelung – vollzogen worden war und dass den vor dem Beitritt nichtehelich geborenen Kindern – ebenso wie ihren väterlichen Verwandten (Köster, Erbrechtliche Fragestellungen nach dem Einigungsvertrag, RPfleger 1991, 97, 98 zu III. 1. b) – die unter der Geltung des ZGB erworbenen “Erbanwartschaften” auch für die Zeit nach Vollzug des Beitritts uneingeschränkt erhalten bleiben sollten. Die Vorschrift diente damit dem Bestandsschutz für die Erbrechte der nichtehelichen Kinder und ihren väterlichen Verwandten (BVerfG, Beschluss vom 20.11.2003 – 1 BvR 2257/03 Rn. 10, FamRZ 2004, 433; Leipold in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 4. Auflage Art. 235 Rn. 35).
Aus diesem Zweck der Vorschrift folgt entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer indes nicht, dass sie nur dann anwendbar wäre, wenn das nichteheliche Kind nach den Bestimmungen des ZGB auch Erbe geworden wäre. Denn ein Bestandsschutz im engeren Sinne konnte und sollte mangels eines “Erbrechts des Erben” nicht begründet werden. Es gab lediglich erbrechtliche Aussichten nichtehelicher Kinder in der DDR aufgrund der Gleichbehandlung mit ehelichen Kindern, beide Gruppen hatten dieselbe erbrechtliche Stellung. Diese fortschrittliche Lösung des ZGB sollte insofern aufrecht erhalten werden, als nach dem Recht der DDR bereits ein uneingeschränkter erbrechtlicher Status des nichtehelichen Kindes begründet war (vgl. Heß, JR 1994, 273 ff.; Staudinger/Rauscher (2016) Artikel 235 § 1 EGBGB Rn. 2). Nur diese Sonderanknüpfung ist in Art. 235 § 1 Abs. 2 BGB als Vorfrage geregelt. Aus ihr ergibt sich, dass das nichteheliche Kind, das zum Stichtag des 3. Oktober 1990 uneingeschränkt erbfähig war, diesen Status beibehält und einem ehelichen Abkömmling in Bezug auf die Anwendung der erbrechtlichen Vorschriften vollständig gleichgestellt wird (vgl. OLG Dresden, Beschluss vom 15.9.2009 – 3 U 1341/09 Rn. 10 f., 20 ff., FamRZ 2010, 1375 – ergangen zum Pflichtteilsanspruch). Hierdurch wurde partiell geltendes Bundesrecht geschaffen (vgl. Leipold a.a.O. Rn. 37). Der unter dem Begriff des Bestandsschutzes zusammengefasste Zweck der Vorschrift ist damit kein ausreichender und kein schlüssiger Grund für eine Auslegung der Vorschrift dergestalt, dass das Erb- und Pflichtteilsrecht einschränkende Bestimmungen des ZGB fortgelten würden (vgl. OLG Dresden a.a.O. Rn. 11).
Dass dem Antragsteller in der vorliegenden Fallkonstellation gemäß § 369 Abs. 1 ZGB/DDR tatsächlich kein Erbrecht zugestanden hätte, weil danach Verwandte der 4. und höheren Ordnung als gesetzliche Erben vom Erbrecht des Staates verdrängt waren, gibt damit keinen Anlass zu einer Auslegung des Art. 235 § 1 Abs. 2 EGBGB dahingehend, dass sie nur auf Erbfolgen der 1. bis 3. Ordnung Anwendung finden kann. Denn wie ausgeführt, sollte mit dieser Vorschrift nur die im Bereich des Erbrechts unter der Geltung des ZGB vollzogene vollständige Gleichstellung der nichtehelichen mit den ehelichen Kindern erhalten werden. Die Anwendbarkeit des § 1928 BGB und damit das Erbrecht der Erben 4. Ordnung folgt dagegen aus der weiteren gesetzgeberischen Entscheidung im Rahmen des Einigungsvertrages, alle Erbfälle, die nach dem Beitritt stattfinden und unabhängig davon, ob eheliche oder nichteheliche Kinder und deren väterliche Verwandte betroffen sind, nicht mehr dem Erbrecht des ZGB, sondern den Regelungen des 5. Buches des BGB zu unterstellen. Nur aufgrund dieser Regelung sind bei Erbfällen, die nach dem Wirksamwerden des Beitritts eingetreten sind, auch Verwandte der 4. (hier der Antragsteller) und/oder einer höheren Ordnung (hier die Beschwerdeführer) als gesetzliche Erben berufen.
Der Einigungsgesetzgeber hat durch diese Bestimmungen bewusst in Kauf genommen, dass in Einzelbereichen Änderungen in der Erbfolge eintreten und damit u.U. bestimmte Personenkreise besser gestellt werden; dies betrifft neben dem Erbrecht des Antragstellers und der Beschwerdeführer als Erben der 4. und höherer Ordnung z.B. auch die Pflichtteilsberechtigten (vgl. dazu OLG Dresden a.a.O. Rn. 20 f.).
Die vorstehende Auslegung steht in Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Auf die Rechtsprechung zur Stichtagsregelung des 28. Mai 2009 (vgl. Urteil des BGH vom 26.10.2011 – IV ZR 150/11; BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 18.3.2013 – 1 BvR 2436/11, FamRZ 2013,847) kommt es für die vorliegende Entscheidung nicht an. Aus dem oben zitierten Nichtannahmebeschluss des Bundesverfassungsgerichtes vom 20.11.2003 ergibt sich keine abweichende Auslegung. In dem der Entscheidung des OLG Köln vom 23.11.1992 – 11 W 67/92 (FamRZ 1993, 484) zugrunde liegenden Fall wurde Art. 235 § 1 Abs. 2 EGBGB schon deshalb nicht für anwendbar gehalten, weil der Vater des nichtehelichen Kindes zum Zeitpunkt des Beitritts seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Beitrittsgebiet hatte. Diese Bestimmung stand damit dem von dem nichtehelichen Kind begehrten vorzeitigen Erbausgleich nach § 1934 d BGB nicht entgegen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 84 FamFG.
Die Wertfestsetzung beruht auf §§ 61 Abs. 1, 40 GNotKG.
Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen, da es sich um auslaufendes Recht handelt, nicht vor.
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