Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, L 6 AS 172/11 Grundsicherung für Arbeitsuchende – Pflichtteilsanspruchs aus Erbschaft

August 19, 2017

Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, L 6 AS 172/11

 

Grundsicherung für Arbeitsuchende – Einkommens- oder Vermögensberücksichtigung – Pflichtteilsanspruchs aus Erbschaft – Abgrenzung der Rücknahme von der Aufhebung eines Verwaltungsakts für die Vergangenheit – Verletzung der Anhörungspflicht – keine Nachholung

 

 

Leitsatz

  1. Die Zuwendung eines Pflichtteils zählt zum Vermögen, wenn der Erbfall vor der Beantragung von Leistungen eingetreten ist.
  2. Ist die Erfüllung des Pflichtteilsanspruchs im Zeitraum nach Antragstellung erfolgt, stellt der Zufluss des Geldbetrags Einkommen dar.
  3. Zur Abgrenzung der §§ 45 und 48 SGB 10.

Tenor

  1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 10.06.2009 – S 6 AS 1070/08 – sowie der Bescheid der Beklagten vom 11.08.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.11.2008 aufgehoben.
  2. Der Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Tatbestand

 

Die Beteiligten streiten darüber, in welcher Höhe die Klägerin für die Zeit vom 01.09.2008 bis 31.12.2008 Anspruch auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) hatte und insbesondere darüber, ob ein Pflichtteilsanspruch als Einkommen oder als Vermögen zu berücksichtigen ist.

 

Die 1975 geborene Klägerin lebte im streitgegenständlichen Zeitraum zusammen mit ihren drei Töchtern in einer Bedarfsgemeinschaft. Ihre Großmutter war am 01.10.2003 verstorben, wovon sie mit einem Schreiben des Amtsgerichts B vom 29.10.2007 Kenntnis erhalten hatte. In dem notariellen Testament ihrer Großmutter, der Witwe M B , geb. am … 1923, vom 14.05.2003 hatte die Erblasserin ihre Tochter D P , geb. B , ersatzweise deren Tochter J P , geb. am … 1984, zu ihrer alleinigen Erbin eingesetzt. Die beiden anderen Kinder der Großmutter, Frau E S , und der vorverstorbene Vater der Klägerin, Herr K K sind in der notariellen Urkunde nicht erwähnt.

 

Mit Bescheid vom 07.12.2007 und Änderungsbescheiden vom 19.12.2007 hatte der Beklagte Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 01.01.2008 bis 30.06.2008 gewährt. Aufgrund des am 6. Juni 2008 gestellten Weiterbewilligungsantrags waren der Bedarfsgemeinschaft mit Bescheid vom 18.06.2008 weiterhin Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.07.2008 bis zum 31.12.2008 bewilligt worden. Einen Vermerk über die Aufgabe zur Post enthält der Bescheid nicht. Mit Bescheid vom 02.07.2008 erfolgte durch den Beklagten eine Abänderung bezüglich der Leistungshöhe für den genannten Zeitraum.

 

Im Juni 2008 erhielt der Beklagte Kenntnis davon, dass der Klägerin aus einer Erbschaft ein Betrag in Höhe von 7.282,83 € zugeflossen sein solle. Er forderte daraufhin bei der Klägerin einen entsprechenden Nachweis an. Diese legte zwei an sie adressierte Rechtsanwaltsschreiben vom 16.06.2008 vor. Eines dieser Schreiben enthält die Abrechnung von Rechtsanwaltsgebühren, woraus sich nach Abzug der erhaltenen Zahlungen i.H.v. 7.282,83 € ein Guthabensbetrag i.H.v. 6.538,61 € ergab. In dem zweiten Schreiben vom 16.06.2008 erhielt die Klägerin die Mitteilung, dass in der Anlage ein Verrechnungsscheck i.H.v. 6.538,61 € beigefügt sei. Die Klägerin hat den Scheck am 18.06.2008 erhalten; der Betrag wurde nach Einlösung auf ihrem Konto am 19.06.2008 gutgeschrieben.

 

Mit Bescheid vom 11.08.2008 änderte der Beklagte sodann die Bewilligungsleistungen für den Zeitraum vom 01.09.2008 bis zum 31.12.2008. Er bewertete die Auszahlung „des Erbes“ i.H.v. 6.538,61 € als Zufluss von Einkommen, das auf 12 Monate zu verteilen sei, woraus sich für den genannten Zeitraum ein monatlich anrechenbarer Betrag i.H.v. 544,89 € ergebe. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 04.11.2008 zurück.

 

Hiergegen hat die Klägerin am 14.11.2008 Klage beim Sozialgericht Koblenz (SG) erhoben und geltend gemacht, sie habe erstmals durch ein Schreiben des Amtsgerichts B vom 29.10.2007 vom Tod ihrer Großmutter am 01.10.2003 Kenntnis erhalten. Der Erbfall sei aber bereits mit dem Tod eingetreten und die Erbschaft damit schon zu einem Zeitpunkt zugeflossen, als sie vom Beklagten noch keine Leistungen erhalten habe. Nach der Erbauseinandersetzung habe ihr Rechtsanwalt mit Schreiben vom 16.06.2008 den ihr zustehenden Geldbetrag mitgeteilt. Bei dem Geld aus der Erbschaft handele es sich um Vermögen im Sinne von § 12 SGB II.

 

Das SG hat mit Urteil vom 10.06.2009 die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Beklagte habe zu Recht mit Bescheid vom 11.08.2008 für die Zeit vom 01.09.2008 bis 31.12.2008 eine Änderung der der Klägerin zustehenden Leistungen gemäß § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) verfügt. Der aus der Erbschaft zugeflossene Betrag i.H.v. 6.538,61 € sei als Einkommen im Sinne von § 11 Abs. 1 S. 1 SGB II einzustufen und deshalb in zutreffender Anwendung der Regelung in § 2 Abs. 4 S. 3 Arbeitslosengeld II – /Sozialgeldverordnung auf einen angemessenen Zeitraum aufgeteilt und mit einem Teilbetrag i.H.v. 544,89 € in Ansatz gebracht worden. Als Einkommen sei nach der Rechtsprechung sowohl des Bundesverwaltungsgerichts als auch des Bundessozialgerichts (BSG) alles zu qualifizieren, was jemand in der Bedarfszeit wertmäßig zusätzlich erhalte, dagegen sei Vermögen alles, was der Betreffende zu Beginn der Bedarfszeit bereits habe. Die Klägerin könne nicht damit gehört werden, dass der aus der Erbschaft stammende Betrag ihr bereits im Zeitpunkt des Todes der Großmutter am 01.10.2003 zugeflossen sei. Es sei vielmehr auf den tatsächlichen Zufluss abzustellen, auf das Schicksal der Forderung komme es nicht an. In Kenntnis der Rechtssprechung des BSG bezüglich einer Einkommenssteuererstattung sei daher auch bezüglich des Zuflusses eines Geldbetrages aus einer Erbschaft davon auszugehen, dass es nicht auf den Zeitpunkt des Erbfalls, sondern auf den tatsächlichen Zeitpunkt des Zuflusses des Geldbetrages ankomme.

 

Gegen die Entscheidung des SG hat die Klägerin mit Zustimmung der Beklagten vom 02.07.2009 die vom SG mit Beschluss vom 08.07.2009 zugelassene Sprungrevision eingelegt. Sie rügt die Verletzung von § 11 Abs. 1 SGB II. Aus der Definition von Einkommen und Vermögen durch den 4. und 14. Senat des BSG im Zusammenhang mit Entscheidungen über die Rückerstattung von Einkommenssteuern lasse sich ersehen, dass Einkommen grundsätzlich alles das sein solle, was jemand nach Antragstellung wertmäßig dazu erhalte, Vermögen solle das sein, was jemand vor Antragstellung bereits gehabt habe. Diese Definition werde jedoch nicht allen Fallgestaltungen gerecht, die Abgrenzung zwischen Einkommen und Vermögen sei zu statisch. Einkommen sei als regelmäßige, jedenfalls relativ häufig wiederkehrende Einnahme zu definieren. Demgegenüber stelle eine Zahlung aus einem Erbe eine Einmalzahlung dar. Deshalb sei ein Erbe unabhängig vom Zeitpunkt der Antragstellung ein Vermögenswert. Schließlich sei das Zuflussprinzip unrichtig angewendet worden, denn mit dem Tod eines Erblassers gehe die Erbschaft unmittelbar und von selbst auf den Erben kraft Gesetzes über. Das Erbe sei der Klägerin also bereits zum Zeitpunkt des Todes ihrer Großmutter zugeflossen, ungeachtet der Tatsache, dass die Klägerin weder von dem Tod ihrer Großmutter noch von ihrem Erbrecht zunächst überhaupt Kenntnis gehabt habe.

 

Das BSG hat der zulässigen Sprungrevision im Sinne der Aufhebung der Entscheidung und Zurückverweisung an das Landessozialgericht (LSG) stattgegeben (Urteil vom 24.11.2011 – B 14 AS 45/09 R -). Es könne nicht abschließend entschieden werden, ob und aufgrund welcher Rechtsgrundlage der Beklagte den ursprünglichen Leistungsbescheid für den Zeitraum vom 01.09.2008 bis 31.12.2008 ändern und in welcher Höhe er ggf. Leistungen habe neu festsetzen können. In verfahrensrechtlicher Hinsicht komme als Rechtsgrundlage für den Änderungsbescheid § 48 SGB X bzw. § 45 SGB X in Betracht. Mangels tatsächlicher Feststellungen des SG könne indes nicht entschieden werden, ob nach Erlass des Verwaltungsakts, der aufgehoben werden solle, eine wesentliche Änderung in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht eingetreten sei (Anwendung des § 48 SGB X) oder der Verwaltungsakt bereits zum Zeitpunkt seines Erlasses rechtswidrig gewesen sei (Anwendung des § 45 SGB X).

Erlassen sei ein Verwaltungsakt nach der Rechtsprechung des BSG in dem Zeitpunkt, in dem er dem Adressaten bekannt gegeben und damit wirksam geworden sei. Die Bekanntgabe eines schriftlichen Verwaltungsakts erfolge mit dessen Zugang.

Der als auslösendes Ereignis angesehene Zufluss von 6.538,61 € habe nach dem SG „im Juni 2008, ca. am 19.06.2008“ stattgefunden. Wann der Bescheid vom 18.06.2008 der Klägerin zugegangen und damit als Verwaltungsakt wirksam geworden sei, ergebe sich aus den Feststellungen nicht. Angesichts des zeitlichen Ablaufs spreche einiges dafür, dass der Zugang des Verwaltungsakts nach dem Zufluss des Geldes erfolgt sei, so dass als Rechtsgrundlage für die teilweise Rücknahme der Bewilligungsbescheide vom 18.06.2008 bzw. 02.07.2008 § 45 SGB X zugrunde zu legen gewesen wäre.

Allein die Tatsache, dass der Beklagte seinen Bescheid vorliegend auf § 48 SGB X gestützt habe, würde allerdings nicht zum Erfolg der Klage führen. Soweit der Verwaltungsakt dadurch nicht in seinem Regelungsumfang oder seinem Wesensgehalt verändert oder die Rechtsverteidigung des Betroffenen in unzulässiger Weise beeinträchtigt oder erschwert werde, sei das Stützen der Entscheidung auf eine andere Rechtsgrundlage zulässig. Da die §§ 45, 48 SGB X dasselbe Ziel, nämlich die Änderung bzw. Aufhebung eines Verwaltungsakts hätten, sei das Auswechseln der genannten Rechtsgrundlage grundsätzlich zulässig. Sofern § 45 SGB X einschlägig sei, sei zu prüfen, ob bei der Klägerin ein schutzwürdiges Vertrauen auf den Bestand des Verwaltungsaktes vorgelegen habe. In diesem Fall sei insbesondere zu prüfen, ob der Klägerin nach ihren individuellen Möglichkeiten und ihrer persönlichen Einsichtsfähigkeit grobe Fahrlässigkeit deshalb anzulasten sei, weil sie den Zufluss der 6.538,61 € dem Beklagten nicht mitgeteilt habe.

Ob in der Sache der Leistungsbescheid vom 18.06.2008 rechtswidrig gewesen sei, weil dem dort errechneten Bedarf zu berücksichtigendes Einkommen oder Vermögen gegenübergestanden habe, könne ebenfalls nicht abschließend entschieden werden.

Einkommen im Sinne des § 11 Abs. 1 SGB II sei grundsätzlich alles das, was jemand nach Antragstellung wertmäßig dazu erhalte, und Vermögen das, was er vor Antragstellung bereits gehabt habe. Auszugehen sei vom tatsächlichen Zufluss, es sei denn, rechtlich werde ein anderer Zufluss als maßgeblich bestimmt. Nicht entscheidend sei das Schicksal der Forderung.

Ob es sich bei den von dem Beklagten berücksichtigten Geldbeträgen überhaupt um eine Erbschaft handele, bei der sich die von der Klägerin in ihrer Revisionsbegründung dargestellten Abgrenzungsfragen zwischen Einkommen und Vermögen stellten, lasse sich auf der Grundlage der Feststellungen des SG nicht entscheiden. Ob tatsächlich nach dem Tod der Großmutter bei der Klägerin als Enkelin eine Erbschaft im Sinne der Legaldefinition des § 1922 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) angefallen sei, erschließe sich vorliegend nicht. Denkbar sei ebenso, dass die Klägerin die zugeflossene Summe als Einzelzuwendung im Wege eines Vermächtnisses und damit als Forderung gegen den Nachlass erlangt habe. Wenn feststehe, dass die Klägerin als (Mit-)Erbin die Gesamtrechtsnachfolge nach ihrer Großmutter angetreten habe, sei entgegen der Auffassung des SG davon auszugehen, dass einzig aus dem Erbe ergebender Geldbetrag als Vermögen einzuordnen sei. Im Fall der Gesamtrechtsnachfolge gehe die Erbschaft unmittelbar kraft Gesetzes auf die Erben über unbeschadet der Tatsache, dass wegen des Ausschlagungsrecht ein Erbe erst mit Annahme erworben werde. Bereits mit dem Erbfall könne der Erbe über seinen Anteil am Nachlass verfügen, ohne dass es auf die Durchsetzung von Ansprüchen etwa gegen die Miterben ankomme. Bereits diese Verfügungsmöglichkeit bedeute einen Zufluss im Sinne der dargestellten Rechtssprechung. Maßgebend sei im Falle der Gesamtrechtsnachfolge also, dass der Erbfall mit dem Tod der Großmutter bereits am 01.10.2003 und damit jedenfalls vor der (ersten) Antragstellung eingetreten sei. Der Zufluss des Geldbetrages im Juni 2008 aus diesem Erbe stelle sich in diesem Fall als „versilbern“ bereits vorhandenen Vermögens dar und sei somit weiterhin als Vermögen zu qualifizieren. Es wäre als solches zu verwerten, wenn es in einer Höhe anfalle, die zur (vorübergehenden) Beendigung der Hilfebedürftigkeit führe. Ob dies der Fall sei, sei ggf. anhand der Freibetragsregelung in § 12 Abs. 2 SGB II und damit anhand der den Hilfebedürftigen zustehenden Freibeträge zu entscheiden. Sofern die Klägerin mit dem Erbfall lediglich Inhaberin einer Forderung gegen den Nachlass geworden sei, seien Freibeträge nicht zu berücksichtigen, weil es sich in diesem Fall im Zeitpunkt des Zuflusses des Geldbetrages um Einkommen im Sinne des § 11 SGB II handele.

Zur Begründung der Berufung trägt die Klägerin vor, die Rechtmäßigkeit der Aufhebungsentscheidung sei nach § 45 SGB X zu beurteilen. Das Schreiben mit dem beigefügten Verrechnungsscheck sei der Klägerin nach der Mitteilung der damaligen Bevollmächtigten am 16.06.2008 zugegangen. Der Bescheid vom 18.06.2008 sei von dem Beklagten frühestens am 19.06.2008 auf den Postweg gegeben worden, so dass nach der gesetzlichen Fiktion ein Zugang spätestens zum 22.06.2008 festzustellen sei. Da der 22.06.2008 ein Sonntag gewesen sei, sei eine Zustellung entsprechend erst am 23.06.2008 möglich gewesen, also zu einem Zeitpunkt, der nach dem Zugang des Schecks gelegen habe. Der Verwaltungsakt sei daher bereits bei seinem Erlass rechtswidrig gewesen und habe daher nur unter den Voraussetzungen des § 45 SGB X zurückgenommen werden dürfen. Die Klägerin habe erst am 18.06.2008 die Geldzahlung erhalten und damit definitiv Kenntnis von dem Zufluss des Geldes gehabt. Schon aus zeitlichen Gründen sei ihr eine rechtzeitige Information des Beklagten deshalb nicht möglich gewesen und ihr Verhalten nicht als grob fahrlässig zu beurteilen. Bei dem Geldzufluss handele es sich weder um eine Erbschaft im engeren Sinne, noch um ein Vermächtnis, sondern um einen Pflichtteilsanspruch. Erblasser sei Frau M B , die Großmutter der Klägerin, gewesen, die am 01.10.2003 verstorben sei. Frau B habe drei Kinder gehabt, Frau E S , Herrn K K , den Vater der Klägerin, sowie Frau D P Laut notariellem Testament der Erblasserin vom 14.05.2003 (Urkundenrolle Nr. 296/03) sei Frau D P zur Alleinerbin eingesetzt worden. Dementsprechend stünden den Stämmen der beiden anderen Kinder der Erblasserin Pflichtteilsansprüche zu, wozu auch die Klägerin zusammen mit ihren beiden Brüdern gehöre. Der Klägerin habe aus dem Nachlass ihrer Großmutter somit ein Pflichtteilsanspruch in Höhe von 1/18 des Nachlasses zugestanden. Zu klären sei daher die Frage, ob eine Pflichtteilszahlung „eine Erbschaft“ oder „ein Vermächtnis“ sei. Bereits aus der gesetzlichen Regelung des § 2317 BGB ergebe sich, dass ein Pflichtteilsberechtigter auch „Erbe“ im Sinne der maßgeblichen Definition sei. Genau wie das Erbe entstehe der Anspruch unmittelbar mit dem Erbfall. Der Anfall des Pflichtteils entfalte unmittelbar dingliche Wirkung; im Gegensatz hierzu habe ein Vermächtnisnehmer lediglich einen schuldrechtlichen Anspruch auf Leistung gegen den Erben – ein Pflichtteilsberechtigter sei, zumindest in Bezug auf die Quote seines Pflichtteils, Gesamtrechtsnachfolger des Erblassers. Er könne gemäß § 2317 BGB über seinen Anspruch verfügen, d.h. ihn z.B. übertragen oder selbst vererben. Deshalb stelle auch ein Pflichtteilsanspruch Vermögen im Sinne von § 12 Abs. 1 SGB II dar. Dies habe das BSG in seiner Entscheidung vom 06.05.2010 (B 14 AS 2/09 R) ausdrücklich festgestellt. Auch der Bundesgerichtshof habe bereits im Jahr 1993 (BGHZ 123,183) festgestellt, dass der Pflichtteilsanspruch nach § 2317 Abs. 1 BGB bereits mit dem Erbfall als Vollrecht begründet sei. Deshalb könne auch ein Pflichtteilsberechtigter sofort, d.h. in der logischen Sekunde des Erbfalles, über sein Pflichtteilsrecht verfügen und es z.B. veräußern. Aufgrund der der Klägerin und ihren Kindern zustehenden Freibeträge liegen kein einzusetzendes Vermögen vor. Der im Jahr 2008 33 Jahre alten Klägerin stünde ein Freibetrag von 33 X 150, mithin in Höhe von 4.950,00 € zu. Hinzu kämen die Freibeträge der mit der Klägerin in Bedarfsgemeinschaft lebenden drei Kindern i.H.v. mindestens jeweils 3.000,00 €, die der Klägerin ebenfalls zuzurechnen seien.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 10.06.2009 und den Bescheid der Beklagten vom 11.08.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.11.2008 aufzuheben,

hilfsweise die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Das BSG sei in seiner Entscheidung vom 24.02.2011 lediglich für den Fall der Gesamtrechtsnachfolge und dem damit verbundenen unmittelbaren Übergang des Vermögens des Erblassers auf den Rechtsnachfolger zu dem Ergebnis gelangt, dass der Erbe bereits zum Zeitpunkt des Erbanfalls Vermögensinhaber in Form des Nachlasses werde und ein Zufluss bereits mit dem Erbfall eintrete. Ein unmittelbarer Übergang des Vermögens kraft Gesetzes trete jedoch im Fall der Pflichtteilsberechtigung gerade nicht ein. Das Gesetz sehe die Pflichtteilsberechtigung lediglich als persönliche Geldforderung des Pflichtteilsberechtigten gegen den Erben an. Eine unmittelbare Vermögensnachfolge bereits zum Zeitpunkt des Erbfalls könne daher ausgeschlossen werden. Die Verfügungsmöglichkeit des Pflichtteilsberechtigten nach § 2317 BGB stelle keine sofortige Verfügungsmöglichkeit im Sinne der Entscheidung des BSG vom 24.02.2011 und daher keinen vergleichbaren Zufluss in diesem Sinne dar. Fließe ein Geldbetrag aus der Forderung einer Pflichtteilsberechtigung erst nach Antragstellung, handele es sich nicht um eine „Versilberung“ von Vermögen, sondern vielmehr um die Realisierung einer Geldforderung. Unter Anwendung der Grundsätze, die das Bundesverwaltungsgericht zur Begründung einer Forderung und deren Erfüllung nach Antragstellung aufgestellt habe und der sich auch die zuständigen Senate des BSG angeschlossen hätten, liege im Fall der Gesamtrechtsnachfolge bereits vor Antragsstellung Vermögen vor, welches durch die Auszahlung nach Antragstellung lediglich „versilbert“ werde. Der tatsächliche Zufluss liege jedoch bereits zum Zeitpunkt des Erbfalls vor. Die Pflichtteilsberechtigung dagegen stelle lediglich eine Forderung dar, so dass allein auf die tatsächlich erfolgte Auszahlung des Geldes abzustellen sei. Schließlich habe die Klägerin ihren Pflichtteilsanspruch erst mittels anwaltlicher Hilfe gegen die Erbin realisieren können. Da als Vermögen im Sinne des § 12 SGB II auch Forderungen in Betracht kämen, stelle ein vor Antragstellung erworbener Anspruch aus einem Vermächtnis grundsätzlich Vermögen im Sinne des § 12 SGB II dar. Das Bundessozialgericht differenziere jedoch in der Entscheidung vom 24.02.2011 weiter danach, ob es sich um einen Vermögenswert handele, der im Zusammenhang mit einer Erbschaft im Sinne der Legaldefinition des § 1922 BGB angefallen sei oder lediglich um einen erbrechtlichen Anspruch in Form einer Forderung gegen den Nachlass. Das Gesetz ordne den Pflichtteilsanspruch zusammen mit dem Vermächtnis lediglich als Forderung gegen den Nachlass ein und grenze beide aufgrund ihrer Rechtsnatur von der Gesamtrechtsnachfolge nach § 1922 BGB ab. Die Erfüllung der Pflichtteilsforderung durch den Erben stelle eine „Realisierung“ der Forderung dar und nicht die „Versilberung“ einer dinglichen Vermögensposition, welche bereits vor Antragstellung unmittelbar auf den Erben übergegangen sei. Nicht maßgebend sei, dass der Pflichtteilsanspruch auch bereits vor Antragstellung zum Vermögen der Klägerin gehört habe. Entscheidend sei vielmehr die Auszahlung der Forderung, welche jedenfalls ein Einkommenszufluss nach Antragstellung darstelle. Das BSG habe in seiner Entscheidung vom 24.02.2011 klargestellt, dass nur bei einem Erbfall Vermögen begründet werde, welches auch noch dessen Verwertung nach Antragstellung lediglich „versilbert“ werde und daher kein Einkommenszufluss vorliege, was bei Forderungen gegen den Nachlass gerade nicht der Fall sei. Die Klägerin habe zumindest grob fahrlässig weder in dem Leistungsantrag vom 06.06.2008 den bestehenden Pflichtteilsanspruch noch später den Zufluss des Betrages i.H.v. 6.538,61 € mitgeteilt.

Der Senat hat die Korrespondenz der damaligen Bevollmächtigten der Klägerin, dier Rechtsanwälte G und F , bezüglich der Geltendmachung und Realisierung des Pflichtteilsanspruchs der Klägerin gegenüber ihrer Tante D P in Höhe von 7.287,83 € beigezogen. Es handelt sich im Einzelnen um ein Beratungsschreiben der Bevollmächtigten vom 14.11.2007, ein Schreiben der Bevollmächtigten vom 18.12.2007 an das AG Bottrop mit dem Antrag auf Gewährung von Akteneinsicht, Mitteilung der Ergebnisse durch die Bevollmächtigten mit Schreiben vom 26.03.2008 mit der Anfrage, ob Auskunft und Zahlung (in Höhe von 7.354,00 €) eingefordert werden soll, ein Schreiben der gegnerischen Anwälte mit der Bitte um Bezifferung des Anspruch vom 30.04.2008, ein Schreiben der Bevollmächtigten vom 13.05.2008, ob der Anspruch nunmehr beziffert werden soll, ein Schreiben der Bevollmächtigten an die Gegenseite vom 27.05.2008 mit der Aufforderung zur Zahlung eines Betrages in Höhe von 10.931,74 € unter Fristsetzung zum 10.06.2008, das Schreiben der Gegenseite vom 03.06.2008, in dem ein Pflichtteilsanspruch in Höhe von 7.287,83 € errechnet war mit der Bitte, das Zahlungsziel um eine Woche zu verlängern sowie das Schreiben der Bevollmächtigten vom 16.06.2008 zur Übersendung des Verrechnungsschecks an die Klägerin. Diese hat schließlich den Computerausdruck der Bank über die Gutschrift des Betrages in Höhe von 6.538,61 € am 19.06.2008 vorgelegt.

Der Senat hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 28.08.2012 persönlich angehört.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Verfahrensakte des Bundessozialgerichts (B 14 AS 45/09 R) sowie der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung (§ 170 Abs. 4 S. 2 SGG) ist auch begründet. Das SG hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Der Bescheid vom 11.08.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.11.2008 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.

  1. Beteiligt ist auf Klägerseite im vorliegenden Verfahren nur die Klägerin selbst. Sie lebt zwar mit ihren drei Töchtern in einer Bedarfsgemeinschaft, hat aber das Klageverfahren von Anfang an allein betrieben, ohne dass es einen Hinweis darauf gab, dass sie als gesetzliche Vertreterin auch Ansprüche ihrer Töchter geltend machen wollte. Soweit die Anrechnung der der Klägerin zugeflossenen Summe als Einkommen auch Auswirkungen auf die Ansprüche der Töchter gehabt hat, hätten diese ihre Recht selbst geltend machen müssen (BSG, Urteil vom 24.02.2011 – B 14 AS 45/09 R).

Bei dem Jobcenter handelt es sich um eine gemeinsame Einrichtung (§ 44 b Abs. 1 S. 1 SGB II i.d.F. des Gesetzes vom 03.08.2010, BGBl I S.1112), die mit Wirkung vom 01.01.2011 kraft Gesetzes entstanden ist und die im laufenden gerichtlichen Verfahren als Rechtsnachfolger an die Stelle der bisher beklagten Arbeitsgemeinschaft (vgl. § 76 Abs. 3 S.1 SGB II) tritt. Das Jobcenter ist gemäß § 70 Nr. 1 SGG beteiligtenfähig (BSG, Urteil vom 24.02.2011, a.a.O.).

  1. Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 11.08.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.11.2008, mit dem der Beklagte den Leistungsbescheid vom 18.06.2008 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 02.07.2008 wegen nachträglichen Zuflusses von aus seiner Sicht bei der Leistungsberechnung zu berücksichtigendem Einkommen geändert und bei der Neuberechnung die Leistungen für den Zeitraum vom 01.09.2008 bis 31.12.2008 um einen monatlich anrechenbaren Betrag i.H.v. 544,89 € vermindert hat.
  2. Entgegen der Auffassung des SG und des Beklagten kann die Aufhebungsentscheidung nicht auf § 48 SGB X gestützt werden. Der rechtliche Maßstab für die Aufhebungsentscheidung ist vielmehr § 45 SGB X (a). Die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Bewilligung mit Wirkung für die Zukunft liegen vor, da die Leistungsbewilligung rechtswidrig erfolgte (b) und auch die Voraussetzungen für eine gebundene Entscheidung gegeben sind (c). Jedoch mangelt es an der Anhörung zu den diesbezüglichen tatsächlichen Voraussetzungen (d).
  3. a) Nach § 48 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. § 45 SGB X regelt, dass ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), soweit er rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise zurückgenommen werden darf. § 45 SGB X findet also Anwendung, wenn der Verwaltungsakt bereits zum Zeitpunkt seines Erlasses rechtswidrig war und deswegen geändert werden soll. Beide Normen grenzen sich nach den objektiven Verhältnissen im Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsakts, der aufgehoben werden soll, ab (BSG, Urteil vom 21.06.2011 – B 4 AS 22/10 R-, juris). Erlassen ist ein Verwaltungsakt in dem Zeitpunkt, in dem er dem Adressaten bekannt gegeben und damit wirksam geworden ist. Die Bekanntgabe eines schriftlichen Verwaltungsakts erfolgt mit dessen Zugang (BSG, Urteil vom 24.02.2011, a.a.O.)

Da der Zeitpunkt des Zugangs des Bescheids vom 18.06.2008 nicht ermittelt werden kann und mangels Abgangsvermerks auch die Zugangsfiktion (§ 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X) nicht eingreift, kann nicht festgestellt werden, zu welchem Zeitpunkt der Bescheid erlassen wurde. Daher kann der Bescheid jedenfalls – da eine persönliche Übergabe weder vorgetragen noch in den Akten dokumentiert ist – nicht vor dem 19.06.2008 zugegangen sein. Zu diesem Zeitpunkt war aber die Zahlung aus dem Pflichtteilsanspruch bereits zugeflossen, wobei offen bleiben kann, ob auf den Erhalt des Verrechnungsschecks am 18.06.2008 (vgl. Mecke in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. § 11 Rdnr. 12) oder auf die Kontogutschrift am 19.06.2008 abzustellen ist, da diese nicht nach, sondern allenfalls gleichzeitig mit dem Zugang des Bescheids vom 18.06.2008 erfolgt ist: Daher ist die Aufhebungsentscheidung in jedem Fall an § 45 SGB X zu messen (vgl. zur gleichzeitigen Bekanntgabe und Zufluss: BSG, Urteil vom 16.12.2008 – B 4 AS 48/07 R -, juris).

  1. b) Nach § 45 Abs. 1 SGB X darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2-4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

Ein rechtswidriger Verwaltungsakte darf (auch für die Zukunft) nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsakts vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit den öffentlichen Interessen an der Rücknahme schutzwürdig ist (§ 45 Abs. 2 S. 1 SGB X). Nach § 45 Abs. 2 S. 2 SGB X ist das Vertrauen in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann.

Ob die Bewilligungsentscheidung vom 18.06.2008 rechtswidrig war, beurteilt sich danach, ob die Klägerin in dem Umfang hilfebedürftig war, wie in dem Bescheid vorausgesetzt. Nach § 7 Abs. 1 Nr. 3 SGB II (in der Fassung des Gesetzes vom 23.12.2007, BGBl. I 3254) i.V.m. § 9 Abs. 1 SGB II (in der Fassung des Gesetzes vom 20.07.2007, BGBl. I 1706) ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit (Nr. 1), aus dem zu berücksichtigenden Einkommen und Vermögen (Nr. 2) sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält.

Insofern ist das SG, die Auffassung des Beklagten bestätigend, im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass die Leistungsbewilligung zumindest für den hier streitgegenständlichen Zeitraum ab September 2008 aufgrund des Zuflusses von Einkommen in Höhe des zu berücksichtigenden Einkommens rechtswidrig ist.

Der der Klägerin aus dem Erbfall ihrer Großmutter zugeflossene Geldbetrag i.H.v. 6.538,61 € im Juni 2008 stellt Einkommen (§ 11 Abs. 1 SGB II) dar, das als einmaliges Einkommen nach näherer Maßgabe von § 2 Abs. 4 der Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld (Arbeitslosengeld II/ Sozialgeld -Verordnung) bei der Bedarfsberechnung zu berücksichtigen war.

Wie die für die Grundsicherung für Arbeitssuchende zuständigen Senate des BSG zur Abgrenzung von Einkommen und Vermögen bereits entschieden haben, ist Einkommen dabei grundsätzlich alles, was jemand nach Antragstellung wertmäßig dazu erhält, und Vermögen das, was er vor Antragstellung bereits hatte. Auszugehen ist vom tatsächlichen Zufluss, es sei denn, rechtlich wird ein anderer Zufluss als maßgeblich bestimmt (st Rspr. BSG, Urteil vom 30.07.2008 – B 14 AS 76/07 R-, SozR 4-4200 § 11 Nr. 17; Urteil vom 24.02.2011 – B 14 AS 45/09 R- , SozR 4- 4200 § 11 Nr. 36; Urteil vom 25.01.2012 – B 14 AS 101/11 R -, juris).

Ein solcher rechtlich maßgeblicher anderer Zufluss ergibt sich bei einem Erbfall aus § 1922 Abs. 1 BGB, nach dem mit dem Tode einer Person deren Vermögen als Ganzes auf den oder die Erben übergeht (Gesamtrechtsnachfolge). Bereits ab diesem Zeitpunkt kann ein Erbe aufgrund seiner durch den Erbfall erlangten rechtlichen Position über seinen Anteil am Nachlass verfügen (§ 2033 Abs. 1 S. 1 BGB), ohne dass es auf die Durchsetzung von Ansprüchen etwa gegen die Miterben ankommt. Bereits diese Verfügungsmöglichkeit bedeutet einen Zufluss im Sinne der dargestellten Rechtssprechung. Der Zeitpunkt des Erbfalls ist maßgeblich für die Beurteilung, ob eine Erbschaft Einkommen oder Vermögen ist (BSG, Urteil vom 25.01.2012 – B 14 AS 101/11 -, juris). Maßgebend ist im Falle der Gesamtrechtsnachfolge also, ob der Erbfall bereits vor der (ersten) Antragstellung eingetreten ist (BSG, Urteil vom 24.02.2011- B 14 AS 45/09 R – unter Bezugnahme auf BSG, Urteil vom 28.10.2009 – B 14 AS 62/08 R -, juris).

Der Zufluss des Geldbetrages aus einem Erbe würde sich in diesem Fall als „versilbern“ bereits vorhandenen Vermögens darstellen und wäre weiterhin als Vermögen zu qualifizieren (BSG, Urteil vom 24.02.2011, a.a.O., unter Bezugnahme auf BSG; Urteil vom 06.09.2007 – B 14/7 b AS 66/06 R -, BSGE 99,77 = SozR 4 – 4200 § 12 Nr. 5). Sofern die zugeflossene Summe als Einzelzuwendung im Wege eines Vermächtnisses und damit lediglich als Forderung gegen den Nachlass erlangt wird, sind Freibeträge nicht zu berücksichtigen, weil es sich in diesem Fall zum Zeitpunkt des Zuflusses des Geldbetrags um Einkommen im Sinne des § 11 SGB II handelt (BSG, Urteil vom 28.10.2009 – B 14 AS 62/08 R- juris ).

Bei dem zugeflossenen Geldbetrag handelt es sich vorliegend weder um eine Erbschaft, noch um die Erfüllung eines Vermächtnisses, sondern um die Erfüllung eines Pflichtteilsanspruches. Die Zuwendung des Pflichtteils ist keine eindeutige Verfügung des Erblassers, sondern kann dreierlei bedeuten:

Erbeinsetzung auf die Pflichtteilsquote oder Enterbung (§ 1938 BGB) durch Verweisung auf den Pflichtteilsanspruch oder Vermächtnis in Höhe des Pflichtteils. Insoweit ist entscheidend, ob der Erblasser den Bedachten begünstigen oder ihm nur das belassen wollte, was er ihm nach dem Gesetz nicht entziehen konnte. Die Auslegungsregel des § 2304 BGB, wonach die Zuwendung des Pflichtteils im Zweifel nicht als Erbeinsetzung anzusehen ist, besagt nur negativ, dass sie im Zweifel nicht Erbeinsetzung ist, lässt aber offen, ob dann positiv eine Vermächtnisanordnung oder eine Verweisung auf das gesetzliche Pflichtteilsrecht anzunehmen ist. Durch Auslegung (§ 2084 BGB) ist daher zu ermitteln, was der Erblasser mit der Verweisung auf den Pflichtteil gewollt hat (Weidlich in Palandt, BGB, 71. Auflage, § 2304, Rn. 1 f.). Vorliegend ergibt die Auslegung des notariellen Testamentes der Witwe M B , geb. am … 1923, vom 14.05.2003, dass es sich in Bezug auf den der Klägerin zugeflossenen Geldbetrag um die Erfüllung eines Pflichtteilsanspruches handelt. In dem notariellen Testament hat die Erblasserin ihre Tochter D P , geb. B , ersatzweise deren Tochter J P , geb. am …1984, zu ihrer alleinigen Erbin eingesetzt. Sie hat damit ihren übrigen Kinder Frau E S und dem Stamm des verstorbenen Vaters der Klägerin Herrn K – K keine unmittelbaren Rechte am Nachlass und Mitsprache bei dessen Verwaltung und Verteilung eingeräumt. Da sich aus der notariell beurkundeten letztwilligen Verfügung der Erblasserin nicht ergibt, dass diese den übrigen Kindern etwas zuwenden wollte, ist davon auszugehen, dass sie diese vom Erbe nur ausschließen wollte, woraus sich deren Pflichtteilberechtigung ergibt.

Der Pflichtteilsanspruch stellte zunächst Vermögen der Klägerin dar, da der Erbfall bereits am 01.10.2003 vor der ersten Antragstellung der Klägerin vom 30.08.2004 eingetreten ist.

Unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 08.07.1993 – IX ZR 116/92 -, BGHZ 123,183), wonach der Pflichtteilanspruch nach § 2317 Abs. 1 BGB bereits mit dem Erbfall als Vollrecht begründet ist, geht das BSG davon aus, dass der Pflichtteilsanspruch aus § 2303 Abs. 1 BGB zum Vermögen nach § 12 SGB II zählt (BSG, Urteil vom 06.05.2010 – B 14 AS 2/09 R-, SozR 4-4200 § 12 Nr. 15). Dieser Auffassung schließt sich der Senat an. Nach § 12 SGB II sind als Vermögen alle verwertbaren Vermögensgegenstände zu berücksichtigen, dazu können bewegliche Sachen ebenso gehören wie Immobilien und Forderungen. Dass der 14. Senat des BSG in seinem Urteil vom 24.02.2011 an der im Urteil vom 06.05.2010 (a.a.O.) vertretenen Auffassung nicht länger festhalten wollte, lässt sich dieser Entscheidung nicht entnehmen. Der 14. Senat hat in dem Urteil vom 24.02.2011 weder ausdrücklich seine diesbezügliche Rechtsauffassung aufgegeben, noch ergibt sich dies durch Bezugnahme auf das Urteil vom 06.05.2010 (a.a.O.). Insofern hat das BSG in der Revisionsentscheidung zum vorliegenden Fall lediglich eine Unterscheidung zwischen einem aus dem Erbe ergebenen Geldbetrag sowie einer Einzelzuwendung im Wege eines Vermächtnisses und damit als Forderung gegen den Nachlass vorgenommen.

Hiervon zu unterscheiden ist indes die Erfüllung des Pflichtteilsanspruchs gemäß § 2317 BGB in dem maßgeblichen Zeitraum nach Antragstellung. Da es sich bei dem Pflichtteilsanspruch, der mit dem Tod des Erblassers entsteht und sich gegen den Erben oder die Erbengemeinschaft richtet, um eine gewöhnliche Geldforderung handelt (Weidlich in Palandt, BGB, § 2317 Rn. 2), die vererblich und übertragbar ist, handelt es sich im Zeitpunkt des Zuflusses des Geldbetrags um Einkommen (vgl. Urteil vom 24.02.2011, a.a.O.). Diese Beurteilung steht nicht in Widerspruch zu der Qualifizierung des Pflichtteilsanspruchs als Vermögen. Insoweit weist das BSG (Urteil vom 23.08.2011 – B 14 AS 185/10 R -, juris) zutreffend darauf hin, dass die schuldrechtliche Unterscheidung zwischen der auf Zahlung eines Betrages gerichteten Forderung – der Pflichtteilsanspruch- und der Erfüllung der Forderung durch Auszahlung nicht zu einer Konkurrenz dergestalt führt, dass die Forderung als Vermögen und daneben die Leistung aus der Forderung als Einkommen zu berücksichtigen wären. Eine Forderung kann – als ein nicht bereites Mittel – ein Vermögensgegenstand sein (BSG, Urteil vom 06.05.2010 – B 14 AS 2/09 R-, SozR 4-4200 § 12 Nr. 15). Mit Auszahlung der Forderung handelt es sich – im Rahmen des tatsächlichen Zuflusses – um bereite Mittel im Sinne von Einkünften. Auf das Schicksal der Forderung kommt es – wie das BSG in der Entscheidung vom 24.02.2011 (a.a.O.) nochmals betont hat – gerade nicht an (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.02.1999 – 5 C 35/97 -, BVerwGE 108, 296). Die in der Rechtsprechung hiervon anerkannten Ausnahmen, wie im Falle von freiwillig angespartem Vermögen (BSG, Urteil vom 30.09.2008 – B 4 AS 57/07 R -, SozR 4- 4200 § 11 Nr. 16 ), sind vorliegend nicht gegeben.

Das danach zu berücksichtigende Einkommen ist nach § 2 Abs. 4 Alg II-V in der ab dem 01.01.2008 geltenden Fassung bei der Bedarfsberechnung grundsätzlich ab dem Monat des Zuflusses, vorliegend nach der zweiten Alternative ab dem Folgemonat zu berücksichtigen und auf einen angemessenen Zeitraum aufzuteilen (§ 2 Abs. 4 S. 2, S. 3 Alg II-V). Nach Maßgabe dessen ist die Anrechnung als Einkommen ab September 2008 in Bezug auf den streitgegenständlichen Zeitraum nicht zu beanstanden, auch wenn die Anrechnung eigentlich mit dem Monat Juli zu beginnen hätte. Die Beklagte ist insoweit zu Recht davon ausgegangen, dass das in Teilbeträgen anzurechnende Einkommen den Bedarf entsprechend der Berechnung in dem angefochtenen Bescheid gemindert hätte.

  1. c) Allein der Umstand, dass der Beklagte den angefochtenen Bescheid auf § 48 SGB X gestützt hat, ist nicht klagebegründend. Denn das sogenannte „Nachschieben von Gründen“ (richtigerweise: Stützen der Entscheidung auf eine andere Rechtsgrundlage) ist zulässig, soweit der Verwaltungsakt dadurch nicht in seinem Regelungsgehalt oder seinem Wesensgehalt verändert oder die Rechtsverteidigung des Betroffenen in nicht zulässiger Weise beeinträchtigt oder erschwert wird (BSG, Urteil vom 21.06.2011 – B 4 AS 21/10 – , BSGE 108, 258 m.w.N.).

Weil die §§ 45, 48 SGB X auf dasselbe Ziel, nämlich die Aufhebung eines Verwaltungsakts, gerichtet sind, ist das Auswechseln dieser Rechtsgrundlagen grundsätzlich zulässig (BSG, Urteil vom 25.04.2002 – B 11 AL 69/01 R -, juris).

Dass der angefochtene Bescheid wie oben ausgeführt nach § 45 SGB X zu beurteilen ist, kann indes bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit nur dann unbeachtet bleiben, wenn es einer Ermessensentscheidung nicht bedurfte, denn eine Ermessensentscheidung wurde von dem Beklagten – in Anwendung des § 48 SGB X – nicht getroffen.

Nach § 330 Abs. 2 SGB II, auf den § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II verweist, ist eine Ermessensentscheidung bei Vorliegen der in § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X genannten Voraussetzungen entbehrlich. § 330 Abs. 2 SGB III entlastet in diesem Fall die Behörde von Ermessenserwägungen, wenn die übrigen gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen und zwar sowohl bei der Rücknahme für die Zukunft als auch bei Rücknahme für die Vergangenheit (vgl. Pilz in Gagel, SGB II/SGB III, § 330 Rn. 21, Stand 2012).

Nach dem Ergebnis der persönlichen Anhörung durch den Senat spricht vorliegend vieles dafür, dass eine grob fahrlässige Verletzung der Mitteilungspflicht durch die Klägerin vorliegt, die es unterlassen hat, den Beklagten von dem Zufluss der Einnahmen aus dem Pflichtteilsanspruch in Kenntnis zu setzen (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X). Hierbei stehen unrichtigen oder unvollständigen Angaben im Sinne der Vorschrift unterlassene Mitteilungen wesentlicher Änderungen gegenüber dem Antrag bis zum Bescheiderlass gleich. Die Rechtswidrigkeit des VA muss hierauf beruhen; Vorsatz bzw. grobe Fahrlässigkeit brauchen sich jedoch nicht auf die Rechtswidrigkeit zu beziehen. Eine Mitursächlichkeit oder eine mittelbare Verursachung ist ausreichend (Steinwedel in Kasseler-Kommentar, § 45 Rn. 38, Stand Oktober 2011). Die vorausgesetzte Kausalität für die Rechtswidrigkeit des VA liegt vor, wenn die Entscheidung der Behörde gerade auf der Fehlerhaftigkeit der Angaben beruht. Der Begünstigte muss hinsichtlich der Fehlerhaftigkeit der Angaben entweder vorsätzlich gehandelt, d.h. wissentlich den Tatbestand bei vollständiger Kenntnis aller Umstände verwirklicht haben oder grob fahrlässig gewesen sein (Hesse in Beck´scher-Online-Kommentar, SGB X § 45 Rn. 23). Insofern mangelte es vorliegend nicht an der vorausgesetzten Kausalität, da der Klägerin spätestens Anfang Juni durch ein ihr zur Kenntnisnahme übermitteltes Schreiben ihrer Bevollmächtigten vom 05.06.2008 bekannt war, dass die Gegenseite die Zahlung in Höhe von 7.287,83 € bis zum 17.06.2008 in Aussicht gestellt hatte. Auch die grobe Fahrlässigkeit dürfte, ebenso wie in der ebenfalls einschlägigen Alternative des Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X der Regelung, zu bejahen sein.

Diese Vorschrift enthält die auch in anderen Zusammenhängen maßgebende Legaldefinition der groben Fahrlässigkeit. Sie liegt nach der Rechtsprechung nicht schon dann vor, wenn der Betroffene mit dem relevanten Umstand (z.B. der Rechtswidrigkeit) lediglich „rechnen“ musste. Vorausgesetzt wird vielmehr, dass er ihn aufgrund einfachster und (ganz) naheliegender Überlegungen „hätte erkennen können bzw. „dasjenige unbeachtet geblieben ist, was in gegebenem Falle „jedem hätte einleuchten müssen“. Hierbei sind auch die persönliche Urteils- und Kritikfähigkeit und das Einsichtsvermögen des Betroffenen zu berücksichtigen (subjektiver Fahrlässigkeitsbegriff). Für die Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis der Rechtswidrigkeit des VA im Sinne des Abs. 2 S. 3 Nr. 3 ist der Zeitpunkt der Bekanntgabe des Verwaltungsakts maßgebend. Unerheblich ist insbesondere, ob die Behörde den Begünstigten durch einen späteren Hinweis – z.B. im Rahmen eines Anhörungsverfahrens – von der Rechtswidrigkeit in Kenntnis gesetzt hat (vgl. Steinwedel, a.a.O., § 45 Rn. 41). Danach ist die Klägerin zwar seit Kenntnis vom Tod ihrer Großmutter durchgehend davon ausgegangen, dass es sich bei dem schließlich im Juni 2008 zugeführten Geldbetrag um Vermögen innerhalb der Freibetragsgrenzen (§ 12 Abs. 1, Abs. 2 SGB II) handelte, dementsprechend ihrem Leistungsanspruch und der Bewilligung nicht entgegenstehe und daher auch nicht anzugeben sei. Allerdings beruhte diese Annahme, wie die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat angegeben hat, auf Informationen aus dem Internet. Ob trotz des Umstands, dass das Internet von immer breiteren Kreisen in der Bevölkerung zu Recherchezwecken genutzt wird, eine hierdurch erlangte Information per se anzuzweifeln ist, kann offen bleiben. Jedenfalls konnte die Klägerin nicht mehr angeben, ob sie allein fremden Bewertungen der Rechtslage vertraut hat oder sie selbst das von ihr zitierte Urteil des SG Aachen gelesen hat. Von grober Fahrlässigkeit wäre jedenfalls dann auszugehen, wenn sie ungeprüft fremde Bewertungen übernommen hätte, ohne sich diese durch Einholung einer rechtskundigen Beratung bestätigen zu lassen. Unabhängig davon ist die Klägerin aber davon ausgegangen, das der Beklagte die Einnahmen aus der Erbschaft anrechnen würde. Auch diese Annahme dürfte den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit sowohl hinsichtlich der Verletzung der Mitteilungspflicht als auch hinsichtlich der Unkenntnis von der Rechtswidrigkeit des Bescheides begründen. Denn in jedem Fall hätte die Klägerin eine diesbezügliche Prüfung durch die Beklagte ermöglichen müssen. Nach dem in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindruck ist auch von der notwendigen Einsichtsfähigkeit der Klägerin auszugehen, dieses Erfordernis zu erkennen.

  1. d) Der angefochtene Rücknahmebescheid ist indes wegen des Verstoßes gegen die Anhörungspflicht nach § 24 SGB X rechtwidrig. Dieser Verfahrensmangel ist auch nicht nach § 41 Abs. 1 S. 3 SGB X durch Nachholung geheilt worden

Eine wirksame Nachholung setzt voraus, dass diese den Anforderungen an eine Anhörung nach § 24 SGB X entspricht und insbesondere der Beteiligte über die entscheidungserheblichen Tatsachen in Kenntnis gesetzt wurde sowie Gelegenheit zur Äußerung hatte (BSG, Urteil vom 07.07.2011 – B 14 AS 144/10 R -, juris). Mit der Regelung über die Anhörung beabsichtigt der Gesetzgeber, allgemein das Vertrauensverhältnis zwischen dem Bürger und der Sozialverwaltung zu stärken und die Stellung des Bürgers insbesondere durch den Schutz vor Überraschungsentscheidungen zu stärken. Insbesondere soll der Betroffene Gelegenheit erhalten, durch sein Vorbringen zum entscheidungserheblichen Sachverhalt die bevorstehende Verwaltungsentscheidung zu beeinflussen. Die genannten Zwecke können zwar ohnehin in vollem Umfang nur erfüllt werden, wenn die Anhörung vor Erlass des belastenden Verwaltungsaktes durchgeführt wird. Darüber hinaus kann eine Heilung des Verfahrensmangels nach den mit der Anhörung verfolgten Funktionen noch während des Widerspruchsverfahrens erfolgen, wenn dem Betroffenen während des Vorverfahrens – z.B. durch Einlegung des Widerspruchs – hinreichende Gelegenheit gegeben worden ist, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern (BSG, Urteil vom 09.11.2010 – B 4 AS 37/09 -, SozR 4 -1300 § 41 Nr. 2). Danach war eine Heilung des Verfahrensmangels durch die Durchführung des Widerspruchsverfahrens zwar grundsätzlich möglich. Jedoch war es der Klägerin mangels entsprechender Begründung des auf § 48 SGB gestützten Aufhebungsbescheids nicht möglich, zu tatsächlichen Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X und insbesondere zu dem Fahrlässigkeitsvorwurf Stellung zu nehmen. Selbst wenn der Beklagte im Widerspruchsbescheid vom Vorliegen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X ausgegangen ist, war dies dem angefochtenen Bescheid vom 11.08.2008 gerade nicht zu entnehmen. Eine Anhörung hierzu ist daher im Widerspruchsverfahren nicht nachgeholt worden.

Für eine Heilung im Gerichtsverfahren, die bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz möglich ist (§ 41 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 SGB X) genügt nicht die schlichte Klageerhebung ggf. in Verbindung mit der Klageerwiderung. Vielmehr ist ein eigenständiges, nicht notwendigerweise förmliches Verwaltungsverfahren notwendig (BSG, Urteil vom 07.07.2011, a.a.O.). Eine solche nachholende Anhörung ist im Laufe des Gerichtsverfahrens vor dem SG und LSG nicht erfolgt. Der Beklagte hat im Termin zur mündlichen Verhandlung trotz ausdrücklichen Hinweises durch den Senat auf die fehlende Anhörung und nach Scheitern einer vergleichsweisen Regelung im Hinblick auf weitere, nicht streitgegenständliche Bewilligungszeiträume keinen Antrag nach der mit § 41 Abs. 2 SGB X korrespondierenden Vorschrift des § 114 Abs. 2 Satz 2 SGG zur Heilung des Verfahrensmangels gestellt. Eine Heilung des Verfahrensfehlers war daher nicht mehr möglich, so dass offen bleiben kann, ob die Rechtsprechung des BSG zur Nachholung einer Anhörung im wieder eröffneten Berufungsverfahren (BSG, Urteil vom 07.07.2011, a.a.O.) auch im Falle einer Zurückverweisung nach einer Sprungrevision gilt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Revisionszulassungsgründe gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 u. 2 liegen nicht vor.

 

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