OLG Düsseldorf,I-3 Wx 247/11: Auslegungsregeln hinsichtlich Ersatzerbenberufung

Juni 12, 2016

OLG Düsseldorf • Beschluss vom 30. Juli 2012 • Az. I-3 Wx 247/11

1.
Hat der Erblasser in seiner letztwilligen Verfügung eine ihm nahe stehende Person (hier seine jahrzehntelange Lebensgefährtin) bedacht, so legt die Lebenserfahrung für den Fall des vorzeitigen Wegfalls des von ihm eingesetzten Erben die Prüfung nahe, ob der Erblasser im Zeitpunkt der Errichtung des Testaments eine Ersatzerbenberufung der Abkömmlinge des Bedachten gewollt hat oder gewollt hätte.

2.
Die für die Einsetzung von Abkömmlingen geltende Auslegungsregel des § 2069 BGB, wonach bei Wegfall eines bedachten Abkömmlings im Zweifel anzunehmen ist, dass ersatzweise der betreffende Stamm berufen ist, ist auch bei dem Erblasser besonders nahe stehenden Personen nicht (analog) anzuwenden.

Tenor
Die angefochtene Entscheidung wird geändert. Der Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 2. (UR-Nr. … des Notars L. in Oberhausen) wird zurückgewiesen.
Geschäftswert: 30.000 €.
Gründe
I.
Die Beteiligten zu 1. sind die Geschwister des kinderlos verstorbenen Erblassers, die Beteiligte zu 2. ist die Tochter der 1928 geborenen und am 15. Juli 2010 vorverstorbenen Lebensgefährtin des Erblassers, mit der dieser über 30 Jahre zusammengelebt hatte.
Am 30. November 1995 errichtete der Erblasser ein notarielles Testament (UR-Nr. … des Notars W. in Oberhausen), in dem es unter anderem hieß:
„Ich setze hierdurch meine Lebensgefährtin Frau Z. K., … zu meiner alleinigen Erbin ein.
Weiteres habe ich nicht zu bestimmen.
Den Wert meines Vermögens gebe ich mit … an.“
Unter Berufung auf das Vorversterben der Lebensgefährtin haben die Beteiligten zu 1. im November 2010 einen Antrag auf Erteilung eines sie als Miterben zu je 1/2 Anteil ausweisenden Erbscheins gestellt. Die Beteiligte zu 2. hat mit notarieller Urkunde vom 30. November 2010 als einziger Abkömmling der vorverstorbenen Lebensgefährtin des Erblassers auf Erteilung eines Alleinerbscheins zu ihren Gunsten angetragen.
Nach eingehender Beweisaufnahme hat das Nachlassgericht durch die angefochtene Entscheidung einerseits ausgesprochen, die zur Begründung des Erbscheinsantrages der Beteiligten zu 2. erforderlichen Tatsachen würden für festgestellt erachtet und der beantragte Erbschein werde erteilt werden, wobei die sofortige Wirksamkeit dieses Beschlusses ausgesetzt und die Erbscheinserteilung bis zu dessen Rechtskraft zurückgestellt werde; andererseits hat es ausgesprochen, eine Entscheidung über den Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 1. werde gleichfalls zurückgestellt.
Gegen diesen ihnen am 29. Juni 2011 zugestellten Beschluss wenden sich die Beteiligten zu 1. mit ihrem am 21. Juli 2011 bei Gericht eingegangenen Rechtsmittel, dem die Beteiligte zu 2. entgegentritt.
Mit weiterem Beschluss vom 31. August 2011 hat das Nachlassgericht der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht Düsseldorf zur Entscheidung vorgelegt.
Der Senat hat Auskünfte des die letztwillige Verfügung seinerzeit beurkundenden Notars eingeholt. Wegen des Ergebnisses der Ermittlungen sowie wegen der weiteren Einzelheiten des Verfahrensstoffes wird auf die Nachlassakte und die Testamentsakte 6 IV 949/95 AG Oberhausen Bezug genommen.
II.
Das Rechtsmittel der Beteiligten zu 1. ist als befristete Beschwerde gemäß §§ 58 Abs. 1 i.V.m. 352 Abs. 1 Satz 1, 59 Abs. 1, 61 Abs. 1, 63 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1, 64 Abs. 1 und 2 FamFG zulässig und nach der vom Nachlassgericht ordnungsgemäß erklärten Nichtabhilfe gemäß § 68 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbsatz FamFG dem Senat zur Entscheidung angefallen. Dieser hat nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG von der Durchführung eines Termins oder einer mündlichen Verhandlung abgesehen, weil solche bereits in erster Instanz vorgenommen worden und von einer erneuten Vornahme keine entscheidungserheblichen weiteren Erkenntnisse zu erwarten gewesen sind.
Die Beschwerde erweist sich auch als in der Sache begründet. Der Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 2. – nur dieser ist Gegenstand der angefochtenen Entscheidung und Verfahrensgegenstand vor dem Senat – muss der Zurückweisung unterliegen.
1.
Ausschlaggebend ist hier, wie auch vom Nachlassgericht zutreffend erkannt und von den Beteiligten ebenso gesehen, ob der Erblasser in seiner letztwilligen Verfügung aus dem Jahre 1995 einen Ersatzerben (§ 2096 BGB) bestimmt hat. Die für die Einsetzung von Abkömmlingen des Erblassers geltende Auslegungsregel des § 2069 BGB kann nicht – auch nicht analog – angewandt werden, wenn der Erblasser eine Person eingesetzt hat, die nicht zu seinen Abkömmlingen gehört. In einem solchen Fall ist jedoch durch Auslegung zu ermitteln, ob in der Einsetzung des Erben zugleich die Kundgabe des Willens gesehen werden kann, die Abkömmlinge des Bedachten zu Ersatzerben zu berufen. Nicht anders als in sonstigen Fällen ist dabei zunächst im Rahmen der sogenannten erläuternden Auslegung zu klären, ob ein wirklicher oder mutmaßlicher Wille des Erblassers für den Fall eines vorzeitigen Wegfalls des von ihm eingesetzten Erben im Zeitpunkt der Errichtung des Testaments festgestellt werden kann; anderenfalls ist eine ergänzende Auslegung in Betracht zu ziehen. Ist der Bedachte eine dem Erblasser nahestehende Person, legt die Lebenserfahrung die Prüfung nahe, ob der Erblasser eine Ersatzerbenberufung der Abkömmlinge des Bedachten gewollt hat oder gewollt hätte. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang, ob die Zuwendung dem Bedachten als erstem seines Stammes oder nur ihm persönlich gegolten hat. Die erforderliche Andeutung im Testament kann – nach dem in der Rechtsprechung vertretenen Standpunkt – dann schon in der Tatsache der Berufung dieser Person zum Erben gesehen werden. In jedem Fall jedoch ist der Erblasserwille anhand aller Umstände des Einzelfalles zu ermitteln (OLG München NJW-RR 2006, S. 1597 f.; OLG München FamRZ 2011, S. 1692 f.; KG FamRZ 2011, S. 928 ff.; jeweils m.w.Nachw.).
2.
a)
Im vorliegenden Fall kann ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass die Mutter der Beteiligten zu 2. dem Erblasser als jahrzehntelange Lebensgefährtin so nahe stand, dass geprüft werden muss, ob die testamentarische Zuwendung durch den Erblasser im Jahre 1995 nur ihr persönlich galt oder der Erblasser sie als erste ihres Stammes bedachte.
b)
Indes spricht alles dafür, dass der Erblasser bei Errichtung des Testaments hierzu einen tatsächlichen Willen gebildet hatte und dieser dahin ging, nur seine Lebensgefährtin persönlich zu bedenken.
Schon unabhängig von den Umständen bei der Beurkundung musste sich dem Erblasser die Frage aufdrängen, was denn nach seinem Tode mit seinem Vermögen geschehen solle, wenn er seine Lebensgefährtin überlebe. Denn diese war als einzige Erbin vorgesehen, im November 1995 bereits 67 Jahre alt und überdies mehrere Jahre älter als der Erblasser selbst.
Sodann ist zu berücksichtigen, dass das Testament notariell beurkundet wurde und in der Sache allein die Erbeinsetzung seiner Lebensgefährtin sowie die Erklärung, weiteres habe der Erblasser nicht zu bestimmen, enthält. Zwar ist es richtig, dass mit der letztgenannten Bemerkung nicht ausdrücklich die Frage der Ersatzerbenberufung angesprochen wird, die Formulierung vielmehr jede mögliche weitere letztwillige Anordnung betrifft. Auch mag man es als jedenfalls denkbar erachten, dass sich in der notariellen Praxis Standardformulierungen verbreitet haben, denen ein eher bloß floskelhafter Charakter zukommt; ein derartiger Umstand dürfte in der Tat bei der Auslegung nicht unberücksichtigt bleiben (vgl. BayObLG FGPrax 2005, S. 71 f.; OLG München FGPrax 2009, S. 122 f.). Jedoch ergibt sich aus den Ausführungen des beurkundenden Notars in seinem Schreiben vom 31. Mai 2012 zur Überzeugung des Senats, dass dies zumindest im gegebenen Fall anders war. Schon angesichts des minimalen Inhalts der testamentarischen Verfügungen wie auch und vor allem der vorerwähnten Gegebenheiten der Lebensdaten liegt die Annahme fern, dass die Frage der Berufung eines Ersatzerben bei der Beurkundung nicht zur Sprache gekommen sein sollte. Darüber hinaus hat der beurkundende Notar angegeben, namentlich in Fällen, in denen nur ein Erbe benannt werde, der unter Umständen schon älter sei, werde die Frage von Ersatzerben regelmäßig angesprochen; soweit ein Beteiligter hierzu erkläre, dass er keine Ersatzerbenregelung wünsche, werde er zusätzlich darauf hingewiesen, dass dann gesetzliche Erbfolge gelte, und im Falle der Beteiligte anschließend nochmals erkläre, dass er lediglich seine testamentarische Bestimmung aufgenommen haben möchte, werde vermerkt, dass er weiteres nicht zu bestimmen habe; im übrigen werde ein Beteiligter auch darüber in Kenntnis gesetzt, dass er eine neue testamentarische Verfügung treffen könne, soweit der von ihm eingesetzte Erbe vorverstorben sei oder sich die Verhältnisse geändert hätten. Der Senat sieht keinen Anlass, am Überzeugungswert dieser nicht nur nachvollziehbaren, sondern auch plausiblen Darstellung zu zweifeln. Danach aber entschied sich der Erblasser im maßgeblichen Zeitpunkt der Errichtung des Testaments bewusst und in voller Kenntnis der Tragweite seiner Entschließung gegen eine Ersatzerbenberufung.
Diese Würdigung wird durch das Schreiben der Beteiligten zu 2. vom 9. Juli 2012 nicht nur nicht in Zweifel gezogen, sondern eher noch bestärkt. Dort bringt die Beteiligte zu 2. nämlich vor, ihr sei nunmehr zugetragen worden, dass der Erblasser, als er im Krankenhaus gelegen habe, geäußert habe, dass er sofort nach Entlassung aus dem Krankenhaus sein Testament zu Gunsten der Beteiligten zu 2. ändern wolle. Zwar bleibt dabei die zeitliche Lage jenes Krankenhausaufenthaltes unklar. Sollte jedoch ein Zeitpunkt vor dem Tode der Lebensgefährtin in Rede stehen, wäre die Äußerung für die hier zu untersuchende Frage belanglos, da es dann um eine Änderung der Erbenberufung als solcher gegangen wäre. Sollte die Äußerung hingegen nach dem Tode der Lebensgefährtin gefallen sein – wofür der weitere Vortrag der Beteiligten zu 2. spricht, ihr sei bestätigt worden, dass der Erblasser sich von dem Vorversterben ihrer Mutter überrascht gezeigt habe -, würde dies bedeuten, dass der Erblasser 2010 die Vorstellung hatte, nach damals gegenwärtiger Lage sei die Beteiligte zu 2. von ihm nicht bedacht. Diese Vorstellung aber stünde in Widerspruch zu der Annahme, 1995 habe der Erblasser mit der Benennung seiner Lebensgefährtin zugleich ersatzweise deren Abkömmling, nämlich die Beteiligte zu 2. als einziger Tochter, zur Erbin berufen wollen.
Schließlich besagt auch die angebliche Äußerung des Erblassers, er sei überrascht, dass seine Lebensgefährtin vor ihm verstorben sei, nicht, dass der Erblasser im Jahre 1995 den Fall des Vorversterbens überhaupt nicht erwogen hätte; die Überraschung kann ebensogut darauf beruhen, dass er diesen Fall seinerzeit zwar für möglich, aber nicht naheliegend erachtete, oder sogar auf – insbesondere gesundheitlichen – Entwicklungen in den Folgejahren.
Erlaubt nach dem zuvor Gesagten die von der Beteiligten zu 2. behauptete Tatsache, dass der Erblasser in späterer Zeit, insbesondere nach dem Tode seiner Lebensgefährtin, den Willen hatte, die Beteiligte zu 2. auf jeden Fall als Erbin zu bedenken, keinen Rückschluss auf einen gleichgelagerten Willen im Zeitpunkt der Testamentserrichtung, ist dieser angebliche spätere Wille seinerseits nicht mehr in einer Verfügung von Todes wegen umgesetzt worden.
c)
Ist danach ein tatsächlicher Wille des Erblassers zur Zeit der Testamentserrichtung feststellbar, kommt es auf einen mutmaßlichen Willen oder auf eine ergänzende Testamentsauslegung nicht mehr an. Dann jedoch lässt sich die Entscheidung auch nicht auf eine bloß überwiegende Wahrscheinlichkeit stützen, wie aber das eine Ersatzerbenberufung befürwortende Nachlassgericht in Würdigung der von ihm durchgeführten Beweisaufnahme gemeint hat.
In der vom Nachlassgericht angeführten Entscheidung BGH NJW 1993, S. 256 f. hat der Bundesgerichtshof Wahrscheinlichkeitserwägungen lediglich für den Bereich eines mutmaßlichen Willens Raum gegeben: Er hat ausgesprochen, dass, falls ein Richter sich von einem tatsächlich vorhandenen wirklichen Willen eines Erblassers nicht überzeugen könne, er sich mit dem Sinn begnügen müsse, der dem Erblasserwillen mutmaßlich am ehesten entspreche, weil er durch Wortlaut und Umstände nahegelegt werde; hiervon dürfe der Richter nur abgehen, wenn weitere Umstände mit mindestens annähernd gleich großem Gewicht für ein Verständnis in einem anderen Sinne dargetan und bewiesen seien. Damit ist nur gesagt, dass ein Gericht in Ermangelung eines ermittelten tatsächlichen Willens als mutmaßlichen Willen des Erblassers grundsätzlich das annehmen könne, was der Erblasser vernünftigerweise gewollt haben kann, und davon nur abweichen dürfe, wenn der Fall gewichtige Besonderheiten aufweise. Diese Erwägungen erlauben es nicht, sich bei der Testamentsauslegung insgesamt mit bloßen Wahrscheinlichkeiten zu begnügen.
III.
1.
Von einer Kostenentscheidung wird abgesehen.
Die Tragung der gerichtlichen Kosten für das Verfahren über den Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 2. im ersten Rechtszug ergibt sich unmittelbar aus den Vorschriften der Kostenordnung. Für das Beschwerdeverfahren fallen Gerichtskosten nicht an, § 131 Abs. 3 und 7 KostO.
Eine Anordnung der Erstattung außergerichtlicher Kosten gemäß § 81 Abs. 1 Satz 1 FamFG entspricht weder für die erste, noch für die zweite Instanz billigem Ermessen. Ein Fall des § 81 Abs. 2 FamFG ist ohnehin nicht gegeben. Darüber hinaus liegen Gründe vor, hier von dem Regelfall abzuweichen, dass in streitigen Nachlasssachen das Unterliegen eines Beteiligten seine Verpflichtung zur Kostenerstattung zur Folge hat. Keiner der Erbprätendenten stand dem Erblasser deutlich ferner als die übrigen. Beide Seiten durften die Auslegung der maßgeblichen letztwilligen Verfügung für zweifelhaft halten und jeweils ein für sich günstiges Ergebnis beanspruchen. Auch die beteiligten Gerichte haben – nach Durchführung von Ermittlungen – unterschiedliche Standpunkte eingenommen, was letztlich auf abweichenden Anforderungen an die Überzeugungsbildung beruht. Bei dieser Lage kann nach Ansicht des Senats nicht angenommen werden, die Billigkeit fordere eine Kostenerstattung, weil es für einen der Beteiligten schlechterdings nicht verständlich sei, dass er „gewonnen“ habe und gleichwohl seine Anwaltskosten selbst zahlen solle (vgl. Keidel-Zimmermann, FamFG, 17. Aufl. 2011, § 81 Rdnr. 46).
2.
Ein Anlass für die Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß § 70 Abs. 2 Satz 1 FamFG besteht nicht. Der Senat ist, sofern seine entscheidungstragenden Erwägungen nicht ohnehin allein auf den Einzelfall bezogen sind, von in der Rechtsprechung anerkannten Grundsätzen nicht abgewichen und hat diese auch nicht weiterentwickelt.
3.
Die Wertfestsetzung findet ihre Grundlage in §§ 131 Abs. 4, 30 Abs. 1 KostO i.V.m. § 107 Abs. 2 Satz 1 KostO analog.

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