OLG Frankfurt am Main Urt. v. 22.09.1993 17 U 43/92 Voraussetzungen einer Verzeihung nach § 2337 BGB

August 19, 2017
Oberlandesgericht Frankfurt am Main
Urt. v. 22.09.1993, Az.: 17 U 43/92
Zu den Voraussetzungen einer Verzeihung nach § 2337 BGB
Für die Annahme einer Verzeihung im Sinne von § 2337 BGB ist es ausreichend, wenn sich das Verhältnis zwischen dem späteren Erblasser und seinem Abkömmling zur Normalität hin gewandelt hat, indem die familiären Beziehungen wiederaufgelebt sind.

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das am 30. Oktober 1991 verkündete Urteil des Landgerichts Wiesbaden – Az: 5 O 552/90 – abgeändert.

Die Klage wird hinsichtlich des Klageantrages zu 1) dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt.

Zur Verhandlung und Entscheidung über die Höhe dieses Anspruchs sowie über den Antrag zu 2) (Feststellungsantrag) wird der Rechtsstreit an das Landgericht zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.

Der Wert der Beschwer wird auf 235.715,43 DM festgesetzt.

Tatbestand:

Der Kläger macht gegen die Beklagte einen Pflichtteilsergänzungsanspruch hinsichtlich des Nachlasses ihrer gemeinsamen Mutter, der Erblasserin …, geltend. Der Anspruch soll in der Weise befriedigt werden, dass die Beklagte die Zwangsvollstreckung in Höhe eines Betrages von 235.715,43 DM in mehrere, ihr von der Erblasserin geschenkten Grundstücke, duldet. Der Kläger verlangt darüber hinaus die Feststellung, dass die Beklage verpflichtet ist, die Zwangsvollstreckung auch wegen eines weitergehenden Pflichtteilsergänzungsanspruchs zu dulden, der sich daraus ergibt, dass die Grundpfandrechte der betreffenden Grundstücke nicht mehr in Höhe des Nennbetrages valutieren.

Der Kläger ist der älteste Sohn der Erblasserin aus erster Ehe. Er wuchs bei deren Schwester auf und wurde von dieser und ihrem Ehemann, den Eheleuten …, 1974 adoptiert. Der Kläger wurde von seiner Mutter in einem gemeinschaftlichen Testament mit ihrem zweiten Ehemann, … vom …11.1972 ebenso wie der weitere Bruder … enterbt, indem die Beklagte als Alleinerbin eingesetzt wurde. Außerdem wurde ihnen der Pflichtteil entzogen. Der betreffende Text des Testaments lautet:

„Der Sohn der Ehefrau aus erster Ehe …soll aus dem Nachlass der Mutter nichts erhalten. Ich, Frau … entziehe meinem Sohn … auch den Pflichtteil, weil er sich am 25. September 1965, als ich ihm die Genehmigung zur Eheschließung, weil er damals noch minderjährig war, verweigerte, ins Gesicht gespuckt und im Beisein meiner Tochter … ins Gesicht geschlagen hat. Er hat sich dadurch einer vorsätzlichen körperlichen Misshandlung seiner Mutter schuldig gemacht“.

Wegen des Inhalts dieser Urkunde im Übrigen wird auf die Kopie des notariellen gemeinschaftlichen Testaments vom …11.1972, Bl. 25 – 27 d.A. Bezug genommen. Durch notarielle Verträge vom 18.12.1975, 1.9.1979 und 1.6.1984 zwischen den Eheleuten einerseits und der Beklagten andererseits erhielt letztere von der Erblasserin und deren zweiten Ehemann mehrere Grundstücksschenkungen. Wegen des Inhalts dieser Verträge im Einzelnen wird auf die Kopien der betreffenden notariellen Urkunden Bl. 221, 222, 190 – 197 und 298 – 300 d.A. verwiesen. Die Schenkung von 1975 war verbunden mit einem Wohnrecht und diejenige von 1984 mit einem Nießbrauch zu Gunsten der Eheleute …. Während ihrer letzten Lebensjahre wohnte die Erblasserin im Hause der Beklagten. Frau …verstarb am ….5.1989, nachdem ihr zweiter Ehemann, … bereits 1987 vorverstorben war. Sie hinterließ lediglich ein wenig Bargeld und geringfügige Bankguthaben, was für die Begleichung der Beerdigungskosten nicht ausreichte. Die Beklagte erteilte durch Anwaltsschreiben vom 23.8.1989 und 18.12.1990 sowie durch eidesstattliche Versicherung vom 3.12.1990 Auskunft über den Bestand des Nachlasses. Wegen des Inhalts dieser Schreiben wird auf Bl. 22 – 24 und 44 – 45 R d.A. ergänzend verwiesen.

Der Kläger hat behauptet, der von der Erblasserin in dem gemeinsamen Testament vom 30.11.1972 zur Begründung für den Pflichtteilsentzug angeführten Vorfall habe sich nicht so zugetragen. Außerdem habe er sich mit seiner Mutter wieder versöhnt und habe zur ihr in den letzten Jahren mit seiner Familie des öfteren Kontakt gehabt. Dies gehe auch aus dem Schreiben des damaligen Beklagtenvertreters, Rechtsanwalt …, vom 23.8.1989 hervor (Bl. 22 – 24 d.A.). Der Wert der der Beklagten von der Erblasserin geschenkten Grundstücke betrug nach Darstellung des Klägers zum Zeitpunkt des Erbfalles 1.932.625,– DM, wobei er sich auf Sachverständigengutachten des Gutachterausschusses der Stadt … (Bl. 139 – 189 d.A.) gestützt hat. Dabei habe der Wert des Grundstückes … in … im Schenkungszeitpunkt bereits 350.000,– DM betragen. Aus diesem zum 1.9.1979 ermittelten Wert abzüglich der von ihm für die Einholung des betreffenden Sachverständigengutachtens aufgewandten Kosten von 3.612,– DM hat der Kläger einen Pflichtteilsergänzungsanspruch von 57.731,33 DM errechnet, der zuzüglich der Sachverständigenkosten Gegenstand seines Klageantrages erster Instanz war.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, die Zwangsvollstreckung in das Grundstück… in …, eingetragen im Grundbuch von … des Amtsgerichts Wiesbaden, Bl. …, Flurstücke … und …, wegen eines Anspruches in Höhe von 61.343,33 DM nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu dulden.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat behauptet, der Kläger habe mündlich auf alle Ansprüche aus dem Nachlass seiner Mutter verzichtet. Er habe sie, die Beklagte, am ….5.1989, einen Tag nach dem Tode der Mutter, zu Hause aufgesucht und erklärt, dass er ihr gegenüber keinerlei Ansprüche, die in irgendeinem Zusammenhang mit dem Nachlass stünden, geltend machen werde. Dieser Verzicht sei einige Wochen später noch einmal im Rahmen eines Gespräches ausdrücklich bestätigt worden, in dem nämlich die Ehefrau des Klägers hervorgehoben habe, dass der Kläger seine diesbezügliche Äußerung ernst gemeint habe und er auch tatsächlich nichts haben wolle, wenn er das sage.

Zur Höhe des Nachlasses hat die Beklagte behauptet, die Eheleute … seien durch die Schenkungen an sie, die Beklagte, vermögenslos geworden. In Anbetracht der geringen Rente der Erblasserin und deren zweiten Ehemannes habe sie, die Beklagte, beide Personen unterhalten müssen. Die Eheleute hätten bei ihr im Haus mietfrei gewohnt, sie habe ihnen zwei Personenwagen zur Verfügung gestellt, die Erblasserin habe mehrere Darlehen von ihr erhalten und sie habe dieselbe mit 1.500,– DM monatlich unterstützt. Außerdem habe ihr … eine Forderung gegen die Erblasserin in Höhe von 800.000,– DM abgetreten. Sie habe auch noch Steuerschulden für die Erblasserin beim Finanzamt getilgt. Alle diese Leistungen sind nach Ansicht der Beklagten vom Wert der Schenkungen in Abzug zu bringen.

Das Landgericht hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 4.10.1991 (Bl. 262, 262 R d.A.) durch Vernehmung der Zeugen … und …. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der Zeugenvernehmung vom 30.10.1991 (Bl. 293 – 296 d.A.) Bezug genommen. Außerdem hat das Landgericht gemäß Beschluss vom 4.10.1991 ein Beweissicherungsverfahren durchgeführt und die Zeuginnen … und … vernommen. Wegen des Inhaltes der Aussagen wird ergänzend auf die Vernehmungsprotokolle vom 30.10.1991 (Bl. 302 – 305 d.A.) verwiesen.

Sodann hat das Landgericht die Klage durch am 30.10.1991 verkündetes Urteil (Bl. 281 – 288 d.A.), auf das ausdrücklich Bezug genommen wird, abgewiesen und ausgeführt, dem Kläger stehe kein Pflichtteilergänzungsanspruch zu, weil er auf einen solchen durch einen mit der Beklagten am 4.5.1989 abgeschlossenen Erlassvertrag wirksam verzichtet habe. Deswegen könne die Wirksamkeit der Pflichtteilsentziehung ebenso dahingestellt bleiben wie die vom Kläger behauptete Verzeihung. Die Beklagte habe durch die Aussagen der Zeugen … und … bewiesen, dass der Kläger auf eine Äußerung ihrerseits hin, die größte Befürchtung der Mutter sei gewesen, dass er und der Bruder … sich gegen sie zusammentun und sie kaputtmachen könnten, erwidert habe, bei ihm brauche sie, die Beklagte, keine Angst zu haben, er wolle nichts haben. Die Beklagte habe daraufhin entgegnet, dann sei es ja gut. Die Bekundungen der Zeugen seien auch deswegen glaubhaft, weil der Kläger selber zugestanden habe, dass die Beklagte ihm gegenüber die angegebene Äußerung getan habe, worauf er erwidert habe, sie brauche keine Angst zu haben. Da der Kläger über die wirtschaftlichen Verhältnisse der Erblasserin, insbesondere über den Grundbesitz, unterrichtet gewesen sei, habe er auch gewusst, welche wirtschaftliche Bedeutung seine Erklärung habe. Der Erlassvertrag sei durch die zustimmende Erklärung der Beklagten zustande gekommen.

Gegen dieses ihm am 21.1.1992 zugestellte Urteil hat der Kläger am 21.2.1992 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 23.4.1992 … an diesem Tage begründet.

Er hat seinen Klageantrag auf Duldung der Zwangsvollstreckung in mehrere Grundstücke auf einen Betrag von 235.715,43 DM erhöht und verlangt darüber hinaus die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Zwangsvollstreckung wegen weiterer Beträge zu dulden die sich daraus ergeben, dass die Grundpfandrechte an den geschenkten Grundstücken nicht mehr in Höhe des Nennbetrages valutieren.

Der Kläger behauptet jetzt, er habe die Beklagte nicht am …5.1989, sondern bereits am Todestag der Erblasserin, dem …5.1989, besucht. Dabei sei die Zeugin … nicht zugegen gewesen. Es sei auch lediglich über den Text der Todesanzeige gesprochen worden. Ein zweites Zusammentreffen habe bei der Beerdigung am 8.5.1989 stattgefunden. Er habe sich nur kurz bei der Beklagten aufgehalten. Sachliche Erörterungen hätten nicht stattgefunden bei dieser Gelegenheit. Seine Ehefrau und sein Sohn seien bei der Beklagten zum Kaffee geblieben. Dabei habe seine Ehefrau erklärt, dass er, der Kläger, sich nicht mit seinem Bruder gegen die Beklagte zusammentun werde. Am …5.1989 habe er die Beklagte zu keinem Zeitpunkt aufgesucht. Dies sei nämlich der Himmelfahrtstag gewesen, den er zu einem Ausflug genutzt habe. Er sei zunächst mit einem Herrn … zusammen gewesen und danach noch mit seiner Ehefrau. Auch wenn die Aussage der Zeugin … zuträfe, sei dies kein ausreichender Beweis. Das Testament der Eheleute … sei am …5.1989 noch nicht eröffnet gewesen, so dass für ihn, den Kläger, ungewiss gewesen sei, ob er Erbe werde oder nicht. Pflichtteilsergänzungsansprüche seien ihm völlig unbekannt gewesen, auch wenn er von den Schenkungen der Erblasserin an die Beklagte gewusst haben sollte. Die vom Landgericht in seinem Urteil zitierte Äußerung seinerseits habe nicht den Sinn gehabt, den ihm das Landgericht beimesse. Im Übrigen wendet sich der Kläger gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts und vertritt die Auffassung, das Ergebnis der Beweisaufnahme erster Instanz sei nicht ausreichend gewesen, um einen Erlassvertrag hinsichtlich seines Pflichtteils annehmen zu können. In Anbetracht dessen, dass ein Erbverzicht notariell zu beurkunden sei, müssten an einen Verzicht auf den Pflichtteilsanspruch besonders hohe Anforderungen gestellt werden, was dessen Klarheit und Deutlichkeit betreffe. Schließlich stellt der Kläger nach wie vor den im Testament aufgeführten Grund für die Pflichtteilsentziehung in Abrede und behauptet weiterhin eine Versöhnung mit der Erblasserin, mit der er seit 1985 wieder ein gutes Verhältnis gehabt habe.

Der Feststellungsantrag ist nach Ansicht des Klägers notwendig, weil die Beklagte bisher über die Valutierung der Grundpfandrechte an den geschenkten Grundstücken keine Auskunft erteilt habe.

Schließlich nimmt der Kläger Bezug auf sein gesamtes Vorbringen in erster Instanz einschließlich der Beweisantritte.

Er beantragt,

das angefochtene Urteil abzuändern und

  1. 1.

    die Beklagte zu verurteilen, die Zwangsvollstreckung wegen eines Betrages von 235.715,43 DM nebst 4 % Zinsen aus 61.343,33 DM seit dem 9.1.1991 und aus 174.372,– DM seit dem 27.4.1992 zu dulden in folgende Grundstücke:

    1. a)

      Grundbuch des Amtsgerichts Wiesbaden, Gemarkung …, Bl. …, laufende Nr. …, Flur …, Flurstück …, …„…“,

    2. b)

      Grundbuch des Amtsgerichts Wiesbaden, Gemarkung …, Bl. …, laufende Nr. …, Flur …, Flurstück …, „Ackerland am…“,

    3. c)

      Grundbuch des Amtsgerichts Wiesbaden, Gemarkung …, Bl. …, laufende Nr. …, Flur …, Flurstück …, „Ackerland am…“,

    4. d)

      Grundbuch des Amtsgerichts Wiesbaden, Gemarkung …, Bl. …, Flur …, Flurstück …, „…“, und Bl. …, Flur …, Flurstücke und Bl. …, Flur …, Flurstück …,

    5. e)

      Grundbuch des Amtsgerichts Wiesbaden, Gemarkung …, Bl. …, Flur …, Flurstück …, „…“

    6. f)

      Grundbuch des Amtsgerichts Wiesbaden, Gemarkung …, Bl. …, Flur …, Flurstück, „…“

    7. g)

      Grundbuch des Amtsgerichts Wiesbaden, Gemarkung …, Bl. …, Flur …, Flurstücke … und …, „…“,

  2. 2.

    festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Zwangsvollstreckung in die vorbezeichneten Grundstücke wegen eines weiteren Betrages zu dulden, der sich als zusätzliche Pflichtteilsergänzung gemäß § 2329 BGB insoweit ergibt, als die in den Grundbüchern für die vorgenannten Grundstücke eingetragenen Grundpfandrechte am 1.9.1979 ganz oder teilweise getilgt waren, also nicht mehr in Höhe des Nennbetrages valutieren,

  3. 3.

    hilfsweise, dem Kläger nachzulassen die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung, die auch durch selbstschuldnerische und unbefristete Bürgschaft eines inländischen Kreditinstitutes erbracht werden kann, abzuwenden.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Auch sie beantragt hilfsweise,

ihr nachzulassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung, die auch durch selbstschuldnerische und unbefristete Bürgschaft eines inländischen Kreditinstitutes erbracht werden kann, abzuwenden.

Für den Fall, dass das Gericht einen Pflichtteilsergänzungsanspruch des Klägers bejahen sollte, beantragt die Beklagte,

wegen der Höhe des Anspruchs die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen.

Sie behauptet, der im Testament als Grund für die Pflichtteilsentziehung angegebene Vorfall entspreche den Tatsachen. Nach Auffassung der Beklagten reicht eine vorsätzliche Körperverletzung des Erblassers als solche für eine Pflichtteilsentziehung aus. Auch sonst seien keinerlei Gründe ersichtlich, die die Wirksamkeit der testamentarischen Pflichtteilsentziehung in Frage stellten. Die Beklagte behauptet, der zweite Ehemann der Erblasserin, … sei nur deswegen zu einer so weitgehenden letztwilligen Verfügung zu ihren Gunsten … bereit gewesen, weil die Erblasserin in dem Ehegattentestament sichergestellt habe, dass die beiden Söhne weder ein Erbe noch einen Pflichtteil erhalten (Beweis: … 324 d.A.). Die von dem Kläger vorgetragenen Umstände, aus denen er eine Versöhnung mit der Erblasserin ableitet, bestreitet die Beklagte gemäß ihrer Einlassung in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 3.3.1993 nicht, vertritt aber die Auffassung, dass dieser Sachverhalt nicht als Verzeihung im Rechtssinne zu werten sei. Hinsichtlich der Beweiswürdigung verteidigt die Beklagte das landgerichtliche Urteil und hält die Aussagen der Zeugen … und … zum Verzicht des Klägers auf seinen Pflichtteilsanspruch für zutreffend. Die davon abweichende Darstellung des Klägers sei unrichtig. Er habe am Nachmittag des ….5.1989 erstmals auf den Tod seiner Mutter reagiert und sei in ihrem, der Beklagten, Haus erschienen. Das dann geführte Gespräch sei so verlaufen, wie es die Zeugin … bei ihrer Vernehmung vor dem Landgericht geschildert habe. Die Zeugin habe sich noch darüber erregt, dass der Kläger einen Tag nach dem Tode seiner Mutter in einem roten Hemd erschienen sei. Der Kläger habe außerdem an dem Tag der Testamentseröffnung bei ihr, der Beklagten, angerufen und erklärt, er habe heute das Testament bekommen, er hätte ihr ja gesagt, er wolle nichts haben, „aber sie Drecksau solle sich nun nicht mehr bei ihm sehen lassen“.

Für die Bestimmung der Höhe des geltend gemachten Anspruchs stellen nach Auffassung der Beklagten die Gutachten des Gutachterausschusses der Landeshauptstadt … keine ausreichende Grundlage dar.

Den Feststellungsantrag hält die Beklagte mangels zeitlicher Einschränkung für unsubstantiiert. Aus dem Schenkungsvertrag selbst ergebe sich, dass die an den Grundstücken bestehenden Grundpfandrechte im damaligen Zeitpunkt in Höhe von 800.000,– DM valutierten. Dabei beruft sich die Beklagte auf Schreiben der … des … an die Erblasserin und … vom 29.9.1978 und der … an die … des … vom 21.8.1980 (Bl. 345, 346 und 347 d.A.). Schließlich verweist die Beklagte nochmals darauf, dass die Schenkungen der Eheleute … für sie mit zahlreichen Verpflichtungen diesen gegenüber verbunden waren, was im Einzelnen ausgeführt wird. Insofern wird ergänzend auf die Berufungserwiderung vom 2.7.1992, Bl. 338 – 343 d.A., Bezug genommen.

Der Senat hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 30.3.1993 (Bl. 417 – 420 d.A.) durch Vernehmung der Zeugen …, … und …. Auf die Zeugin … hat die Beklagte verzichtet. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll des Senatstermins vom 28.6.1993 (Bl. 446 – 464 d.A.) ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung des Klägers hat insoweit Erfolg, als der Klageantrag zu 1) dem Grunde nach gerechtfertigt ist. Zur Entscheidung über die Höhe des Anspruchs ist der Rechtsstreit gemäß § 538 Abs. 1 Nr. 3 ZPO an das Landgericht zurückzuverweisen. Wegen Sachzusammenhangs mit dem Antrag zu 1) wird der Feststellungsantrag ebenfalls an das Gericht erster Instanz zurückverwiesen. Eine Entscheidung über die Höhe der Klageforderung ist nicht möglich, ohne die Valutierung der Grundpfandrechte zu berücksichtigen.

Der geltend gemachte Pflichtteilsergänzungsanspruch steht dem Kläger gemäß §§ 2329, 2325 und 2303 BGB zu. Er wurde durch die Einsetzung der Beklagten als Alleinerbin in dem gemeinschaftlichen Testament der Erblasserin und ihres zweiten Ehemannes, … enterbt und kommt daher als Pflichtteilsberechtigter in Betracht (§ 2303 Abs. 1 BGB).

Dieser Anspruch wird durch die Adoption des Klägers durch die Eheleute …. im Jahre 1974 nicht berührt. Der 194… geborene Kläger war nämlich im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Adoptionsgesetzes von 1976 am 1.1.1977 bereits volljährig, so dass auf das Annahmeverhältnis gemäß Art. 12, § 1 Abs. 1 dieses Gesetzes die Vorschriften über die Annahme Volljähriger anzuwenden sind. Gemäß § 1770 Abs. 2 BGB werden daher die Rechte und Pflichten aus dem Verwandtschaftsverhältnis des Angenommenen zu seinen Verwandten durch die Annahme nicht berührt.

Die Frage, ob die Erblasserin dem Kläger den Pflichtteil durch das gemeinschaftliche Testament mit … vom …11.1972 wirksam gemäß § 2333 BGB entzogen hat, kann dahinstehen, denn die Verfügung, durch welche die Erblasserin die Entziehung angeordnet hat, wurde durch Verzeihung unwirksam (§ 2337 BGB). Zwischen den Parteien ist in der mündlichen Verhandlung am 3.3.1993 unstreitig geworden, dass sich die Erblasserin mit ihrem Sohn, dem Kläger, in den letzten Jahren vor ihrem Tode wieder versöhnt hat. Die Beklagte hat den Sachverhalt, den der Kläger hierzu vorgetragen hat, nicht mehr in Abrede gestellt, aber seine Wertung als Verzeihung nicht für richtig gehalten. Zwar ist nicht ausgeschlossen, dass eine Versöhnung ohne Verzeihung erfolgt (Palandt-Edenhofer, 52. Aufl. 1993, § 2337, Rnr. 1). Im Streitfall reichen die vorgetragenen Umstände aber aus, um eine Verzeihung anzunehmen. Voraussetzung hierfür ist, dass der Erblasser zum Ausdruck gebracht hat, dass er die Kränkung, die er durch das als Entziehungsgrund angegebene Verhalten erfahren hat, nicht mehr als solche empfindet, er also das Verletzende der Kränkung als nicht mehr existent betrachtet (BGH FamRZ 1961, S. 437, 438). Nach Darstellung des Klägers hat ab 1985 zwischen der Erblasserin und dem Kläger ein ausgesprochen gutes Verhältnis bestanden. Am Gaststättenruhetag haben der Kläger und dessen Ehefrau die Erblasserin und ihren Ehemann im Auto mitgenommen. Es wurden etliche Ausflüge in umliegende Straußwirtschaften unternommen. Die Erblasserin kam zum Geburtstag des Klägers und umgekehrt, der Kläger zum Geburtstag der Mutter, ebenso besuchte man sich zu Weihnachten. Der Kläger holte auch die Eheleute … häufig nach deren Reisen vom Flughafen in …ab und lud sie in seine Gaststätte „…“ in … zum unentgeltlichen Essen ein. Schließlich half er auch seinem Stiefvater in dieser Zeit häufig bei der Arbeit. Das alles zeigt, dass in dem Verhältnis der Mutter zu ihrem Sohn ein Wandel zur Normalität stattgefunden hatte, der ein Wiederaufleben der familiären Beziehung zur Folge hatte. Aus dem Parallelrechtsstreit … gegen … Az. 17 U 29/92, ist gerichtsbekannt, dass der Kläger noch kurz vor dem Tode seiner Mutter an ihr Krankenbett kam und die Erblasserin mit ihm ein vertrauliches Gespräch führte. Aus alledem ist zu schließen, dass sie aus der streitigen Kränkung nichts mehr herleiten und über sie hinweggehen wollte. Dafür war es nicht notwendig, dass sie ihren Willen in einer förmlichen Erklärung kundtat, vielmehr konnte die Verzeihung auch durch schlüssige Handlungen erfolgen (BayObLG 1921, S. 328 ff., 330). Ebensowenig war die Wiederherstellung einer dem Mutter-Kind-Verhältnis entsprechenden innigen und liebevollen Beziehung zwischen der Erblasserin und dem Kläger erforderlich. Vielmehr reicht zur Verzeihung im Rechtssinne der konkludent zum Ausdruck gekommene Wegfall der Kränkungsempfindung aus (BGH FamRZ 1961, S. 437, 438). Der Umstand, dass … als Mitverfasser des gemeinschaftlichen Testaments im Zeitpunkt der Verzeihung bereits vorverstorben war, hindert entgegen der Auffassung der Beklagten deren Wirksamkeit nicht, wie aus § 2270 Abs. 3 BGB folgt (BayObLG a.a.O., S. 331).

Der Pflichtteilsergänzungsanspruch des Klägers wurde auch nicht durch einen Erlassvertrag mit der Beklagten hinfällig. Die Beweisaufnahme hat nicht mit der notwendigen Sicherheit ergeben, dass die Parteien bei einem Gespräch am 4.5.1989 eine solche Vereinbarung getroffen haben.

Zwar ist ein Erlassvertrag gemäß § 397 BGB formlos gültig. Auch die erbrechtlichen Bestimmungen enthalten für den Verzicht auf einen Pflichtteil oder Pflichtteilsergänzungsanspruch nach Eintritt des Erbfalles keine Formvorschriften. Das Zustandekommen eines solchen Vertrages setzt aber eine unzweideutige Erklärung des Gläubigers voraus, die seinen Verzichtswillen klar zum Ausdruck bringt, so dass der Schuldner die Aufgabe des betreffenden Rechts daraus entnehmen durfte (BGH FamRZ 1981, S. 763 ff., 764 [BGH 20.05.1981 – IVb ZR 570/80]; KG OLGZ 1974, S. 264 ff., 266; OLG Nürnberg, OLGZ 1984, S. 127 ff., 128; MüKo-von Feldmann, 2. Aufl. 1985, § 397, Rdnr. 2). Dies gilt insbesondere dann, wenn es sich wie hier um Ansprüche von hohem Wert und weitreichender Bedeutung handelt (vgl. BAG DB 1985, S. 1949, 1950 [BAG 18.12.1984 – 3 AZR 125/84]). Bei der Auslegung mehrdeutiger Erklärungen, die einen Verzichtswillen enthalten könnten, ist außerdem der in ständiger Rechtsprechung anerkannte Erfahrungssatz zu berücksichtigen, dass ein Verzicht niemals zu vermuten ist (RGZ 118, S. 63 ff., 66; BGH NJW 1984, S. 1346 ff., 1347 [BGH 20.12.1983 – VI ZR 19/82]; BAG, OLG Nürnberg und MüKo-von Feldmann, jeweils a.a.O.).

Bei Anwendung dieser strengen Maßstäbe ist das Beweisergebnis dahin zu würdigen, dass die Aussagen der Zeugen … und … für die Annahme eines Erlassvertrages nicht ausreichen. Die Zeugin … hat bei ihrer wiederholten Vernehmung vor dem Senat bekundet, sie sei am ….5.1989 nach … gefahren, um die Erblasserin zu besuchen. Diese sei aber an jenem Tag bereits gestorben gewesen. Am darauffolgenden Tag, dem …5.1989, sei der Kläger gekommen. Man habe sich zu dritt unterhalten, wobei es vor allem um die Beerdigung gegangen sei. Die Beklagte habe bei diesem Gespräch geäußert, „der größte Kummer der Oma sei gewesen, dass der Kläger sich mit dem Bruder zusammentue, um Frau … kaputtzumachen“. Der Kläger habe daraufhin geantwortet, „bei ihm brauche sie keine Angst zu haben, er wolle nichts“. Den Angaben des Zeugen … zufolge hat der Kläger diese Äußerung etwa zwei Wochen später nochmals bestätigt. Der Zeuge hat ausgesagt, dass … und seine Ehefrau etwa 14 Tage nach dem Tode der Mutter bzw. Schwiegermutter der Beklagten und ihm, dem Zeugen, einen Besuch machten. Dabei sei über den Tod der Großmutter gesprochen worden. Die Beklagte habe erklärt, die größte Angst der Oma sei es gewesen, dass der Kläger und sein Bruder sich zusammentun und gegen sie, die Beklagte, vorgehen könnten. Daraufhin habe der Kläger geantwortet: „Du brauchst vor mir keine Angst zu haben“. Seine Ehefrau habe hinzugefügt, wenn der Kläger dies sage, dann stimme es. Diese Aussagen der beiden Zeugen stimmen mit ihren Bekundungen vor dem Landgericht im Wesentlichen überein. Die von ihnen wiedergegebenen Äußerungen des Klägers stellen kein ausreichend klares Angebot zum Abschluss eines Erlassvertrages dar. Darin kommt ein beachtlicher rechtsgeschäftlicher Wille des Klägers, auf alle für ihn mit dem Ableben der Mutter möglicherweise entstandenen Ansprüche zu verzichten, … nicht zum Ausdruck. Er kannte zum damaligen Zeitpunkt das Testament vom ….11.1972 noch nicht. Dies folgt aus der Aussage der Zeugen …, … und …. Die Zeugin … hat bekundet, der Kläger sei nach Eröffnung des Testaments tief empört gewesen. Seit der Testamentseröffnung habe er einen Trennstrich zwischen sich und die Beklagte gezogen. Der Zeuge … hat angegeben, der Kläger habe etwa sechs Wochen nach dem Tode seiner Mutter bei der Beklagten angerufen und diese massiv beschimpft, weil er sich über die Testamentseröffnung so aufgeregt habe. Die Beschimpfungen seien dergestalt gewesen, dass die Beklagte sehr erschüttert gewesen sei. Diese Aussagen können allein dahin gedeutet werden, dass der Kläger bis zur Testamentseröffnung weder von seiner Enterbung noch von der Pflichtteilsentziehung Kenntnis hatte. Deshalb konnte er im Zeitpunkt der fraglichen Äußerungen am ….5.1989 und ca. zwei Wochen später davon ausgehen, dass er als Abkömmling der Erblasserin die Stellung eines Erben, zumindest aber diejenige eines Pflichtteilsberechtigten haben würde. Da bei beiden Gesprächen weder von dem Testament noch von dem Nachlass oder gar seiner Aufteilung die Rede war, kann den Äußerungen des Klägers kein derart weitreichender Sinn wie der Verzicht auf jegliche durch den Tod seiner Mutter ausgelösten Rechte zu verzichten, beigemessen werden. Die Zeugin … hat ausgesagt, dass am ….5.1989 vor allem über die Beerdigung der Mutter gesprochen worden sei, während der Zeuge … angegeben hat, an jenem Abend etwa zwei Wochen nach dem Tode der Erblasserin sei weder von dem Erbe noch von einem Testament die Rede gewesen. Es kommt noch hinzu, dass der Kläger mangels Kenntnis des Testaments nicht wusste, welche Ansprüche an dem Nachlass seiner Mutter ihm überhaupt zustehen. Zwar hatte der Kläger nach dem Tode seines Vaters bereits Kenntnisse erworben, welche Ansprüche Abkömmlingen nach dem Tode eines Elternteils zustehen können. Der Wille zum Erlass setzt auch nicht in jedem Falle die Kenntnis der betreffenden Ansprüche oder wenigstens die Möglichkeit ihres Bestehens voraus (MüKo-von Feldmann, a.a.O.). Jedoch kann unter solchen Umständen eine Erklärung nur dann als Verzicht im Rechtssinne gewertet werden, wenn sie klar und eindeutig erfolgt. Dies ist hier nicht der Fall. Die Äußerungen des Klägers, „er werde mit seinem Bruder … nichts gegen die Beklagte unternehmen“ und „er wolle von seiner Schwester nichts haben“ (Zeuge …), können bereits von ihrem Wortsinn her nicht ohne weiteres auf Ansprüche des Klägers an dem Nachlass bezogen werden. Im Vordergrund steht nämlich seine Aussage, dass er sich nicht mit seinem Bruder … gegen die Beklagte zusammentun werde. Die Erklärung, dass er von ihr nichts haben wolle, muss sich angesichts der Tatsache, dass weder von dem Erbe noch von dem Testament die Rede war, nicht auf Ansprüche am Nachlass beziehen. Dies gilt insbesondere deswegen, weil dem Kläger zum damaligen Zeitpunkt das Testament vom ….11.1972 noch nicht bekannt war. Es ist auch unklar, ob der Kläger seinerzeit von den Schenkungen der Mutter an die Beklagte wusste. Demnach bestand die Möglichkeit, dass der Kläger keine Kenntnis davon hatte, dass die Beklagte die Vermögensgegenstände, die als Nachlass in Betracht kamen, bereits zu Eigentum erhalten hatte. Alle diese Erwägungen führen zu dem Ergebnis, dass die streitige Äußerung des Klägers nicht als Verzichtserklärung ausgelegt werden kann. Bereits das Reichsgericht hat bei einem Unfallereignis die Äußerung einer Partei, man wolle, wenn die Versicherungsgesellschaft nicht zahle, nichts verlangen, nicht als Angebot eines Erlassvertrages genügen lassen (Warneyer‘s Rechtsprechung 1919, Nr. 57). Dieser Auffassung hat sich auch das Kammergericht für den Fall des Pflichtteilsverzichts angeschlossen (MDR 1975, S. 1020).

Da die Aussagen der Zeugen … und … für die Annahme eines Verzichts nicht ausreichen, kann ihre Glaubhaftigkeit ebenso dahingestellt bleiben wie die Glaubwürdigkeit dieser Zeugen. Insbesondere kann unentschieden bleiben, ob die Zeugin … unmittelbar vor ihrer Vernehmung vor dem Senat von der Beklagten in unzulässiger Weise beeinflusst wurde. Eine Beweisaufnahme zu dieser Frage hatte daher zu unterbleiben. Auch im Übrigen waren weitere Beweise nicht zu erheben, weil es für die getroffene Entscheidung auf die betreffenden Beweisantritte nicht ankam.

Nach alledem erweist sich der Klageantrag zu 1) als dem Grunde nach gerechtfertigt. Er ist gemäß § 538 Abs. 1 Nr. 3 ZPO zur Verhandlung und Entscheidung über die Höhe an das Landgericht zurückzuverweisen. Der Feststellungsantrag ist wegen Sachzusammenhang – wie oben bereits ausgeführt – ebenfalls zurückzuverweisen.

Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.

Der Wert der Beschwer wurde gemäß § 546 Abs. 2 S. 1 ZPO festgesetzt.

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