OLG Hamm, I-15 W 398/12, 15 W 398/12 Grenzen funktioneller Zuständigkeit des Rechtspflegers im Erbscheinsverfahren

August 11, 2017
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung über den Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 1) an die Amtsrichterin/den Amtsrichter zurückverwiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
Der Erblasser war verheiratet mit Frau F geborene U, die am 18.05.1986 vorverstorben ist. Die Beteiligte zu 2) und 3) sind die aus dieser Ehe hervorgegangenen Söhne. Am 26.04.1996 heiratete der Erblasser die Beteiligte zu 1).
Der Erblasser und seine erste Ehefrau hatten am 12.08.1967 vor dem Notar Dr. C in F (UR-Nr. ..1/19..) einen Ehe- und Erbvertrag errichtet, in dem sie die Gütergemeinschaft vereinbarten und sich in § 3 S. 1 und 2 jeweils wechselseitig zu alleinigen Erben einsetzten. S. 3 hat folgenden Wortlaut:

 

„Wir vereinbaren hiermit ausdrücklich unter entsprechender gegenseitiger Verpflichtung, daß der überlebende Ehegatte später eines der Kinder aus unserer Ehe zum Erben einzusetzen hat, unter entsprechender Abfindung der übrigen Kinder.
Wir, die Erschienenen, nehmen diese Erbeseinsetzung unter Berücksichtigung und Einschluß der vorstehenden Verpflichtungserklärung hiermit wechselseitig an.“
Im Zeitpunkt des Abschlusses des notariellen Vertrages waren die beiden Söhne bereits geboren, der Erblasser war 48 Jahre alt, seine Ehefrau 42 Jahre alt.
Nach dem Tod des Erblassers beantragte die Beteiligte zu 1) am 13.06.2012 zur Niederschrift des Notars N in J (UR-Nr. ..3/20..) die Erteilung eines Erbscheins aufgrund gesetzlicher Erbfolge, der sie als Erbin zu ½ Anteil und die Beteiligten zu je ¼ Anteil ausweist. Die Beteiligten zu 2) und 3) widersprachen dem Antrag. Sie sind der Auffassung, aufgrund des Erbvertrages ihrer Eltern Miterben zu je ½ Anteil zu sein; der entsprechende Antrag des Beteiligten zu 3) ist nicht Gegenstand des angefochtenen Beschlusses.
Die Amtsrichterin legte den Erbscheinsantrag nach dessen Eingang der Rechtspflegerin mit der Verfügung „Frau Rpfl., § 16 II RPflG“ am 25.06.2012 vor. Mit Beschluss vom 25.09.2012 wies die Rechtspflegerin des Nachlassgerichts den Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 1) mit der Begründung zurück, es sei nicht gesetzliche Erbfolge eingetreten, sondern Erbfolge aufgrund des Erbvertrages des Erblassers mit seiner ersten Ehefrau vom 12.08.1967.
Gegen diese ihrem Verfahrensbevollmächtigen am 04.10.2012 zugestellte Entscheidung richtet sich die Beschwerde der Beteiligten zu 1), die am 26.10.2012 bei dem Amtsgericht eingegangen ist. Die Amtsrichterin hat die Beschwerde der Rechtspflegerin mit der Verfügung „Frau Rpfl. z.w.V. bzgl. der Beschwerde gegen den Beschluss Bl. 37-38R“ vorgelegt. Die Rechtspflegerin hat der Beschwerde nicht abgeholfen und dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.
II.
Die Beschwerde ist nach § 58 FamFG statthaft und in der rechten Form und Frist eingelegt, §§ 63, 64 FamFG. Die Beteiligte zu 1) ist nach § 59 FamFG beschwerdebefugt, weil sie geltend macht, Miterbin nach ihrem verstorbenen Ehemann zu sein. Der Beschwerdewert ist erreicht, weil der Wert des Beschwerdegegenstands 600 € übersteigt, § 61 Abs. 1 FamFG.
Die Beschwerde hat auch Erfolg, weil der angefochtene Beschluss unwirksam ist.
Nimmt ein Rechtspfleger ein ihm nach dem Gesetz nicht übertragenes und auch nicht übertragbares Geschäft wahr, so ist seine Entscheidung nach § 8 Abs. 4 S. 1 RPflG unwirksam und im Rechtsmittelverfahren unabhängig von ihrer inhaltlichen Richtigkeit aufzuheben (BGH Rpfleger 2005, 520; Keidel/Sternal, FamFG, 17. Aufl., Einl. Rn. 92), und, da keine wirksame Sachentscheidung vorliegt, nach § 69 Abs. 1 S. 2 FamFG an das Gericht des ersten Rechtzugs zurückverweisen. So liegen die Dinge hier:
Denn nach § 16 Abs. 1 Nr. 6 RPflG ist die Erteilung eines Erbscheins dem Richter u.a. dann vorbehalten, wenn eine Verfügung von Todes wegen vorliegt. In diesen Fällen kann der Richter nach § 16 Abs. 2 S. 1 RPflG dem Rechtspfleger die Erteilung des Erbscheins zwar übertragen, jedoch nur, wenn sich die Erbfolge trotz Vorliegens einer Verfügung von Todes wegen nach gesetzlicher Erbfolge richtet; nach § 16 Abs. 2 S. 2 RPflG ist der Rechtspfleger an die ihm mitgeteilte Auffassung des Richters gebunden. Hingegen konnte die Richterin durch ihre Verfügung nicht die funktionelle Zuständigkeit der Rechtspflegerin begründen für die Ablehnung des auf die gesetzliche Erbfolge gerichteten Erbscheinsantrags mit der hier vorgenommenen tragenden Begründung, es sei Erbfolge aufgrund einer letztwilligen Verfügung eingetreten. Denn die Entscheidung darüber ist gerade der Richterin vorbehalten, und zwar unabhängig davon, ob diese Entscheidung über einen Antrag auf Erteilung eines Erbscheins aufgrund testamentarischer Erbfolge oder eines gegenläufigen Antrags aufgrund gesetzlicher Erbfolge zu treffen ist. Die hier vorgenommene künstlich wirkende Verfahrenstrennung zwischen den Anträgen der Beteiligen zu 1) einerseits und des Beteiligten zu 3) andererseits vermag danach an der ausschließlichen funktionellen Zuständigkeit der Richterin nichts zu ändern. Es liegt deshalb nahe, dass das Amtsgericht bei der erforderlichen erneuten Sachentscheidung durch die Richterin dem Zusammenhang beider Anträge Rechnung trägt.
Eine Entscheidung über die Anordnung der Erstattung außergerichtlicher Kosten des Beschwerdeverfahrens nach § 84 FamFG ist nicht veranlasst, weil die angefochtene Entscheidung aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben war. Aus demselben Grund ist auch eine Wertfestsetzung nach den §§ 131 Abs. 4, 30 KostO nicht veranlasst.
Die Voraussetzungen zur Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 70 Abs. 2 FamFG liegen nicht vor.

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