OLG München, Beschluss v. 31.03.2016 – 31 Wx 413/15
Auslegung einer Vollmacht als Erbeinsetzung
1. Zur Auslegung einer Vollmacht als Erbeinsetzung. (im Anschluss an BayObLG, FGPrax 2000, 151 = FamRZ 2000, 1539)
2.
Grundsätzlich kann in einem eigenhändig geschriebenen und unterschriebenen Brief der letzte Wille des Erblassers enthalten sein. Eine solche schriftlich niedergelegte Erklärung des Erblassers kann allerdings nur dann als letztwillige Verfügung gelten, wenn sie auf einem ernstlichen Testierwillen beruht. Daher muss außer Zweifel stehen, dass der Erblasser die von ihm erstellte Urkunde als rechtsverbindliche letztwillige Verfügung angesehen hat oder zumindest das Bewusstsein hatte, die Urkunde könne als Testament angesehen werden.
3.
An den Nachweis des Testierwillens sind bei einem Brieftestament damit strenge Anforderungen zu stellen. Die Vorschrift des § 2084 BGB findet bei verbleibenden Zweifeln keine Anwendung. Verbleiben in der Gesamtschau der Umstände innerhalb und außerhalb der Testamentsurkunde Zweifel, ob der Brief einen Testierwillen des Erblassers aufweist, hat dies zur Folge, dass insoweit nicht von einem gültigen Testament ausgegangen werden kann.
Vorinstanz:
AG Augsburg Beschluss vom 11.09.2015VI 0012/03
In Sachen
H. Aloisia, zuletzt wohnhaft: … Stadtbergen verstorben am … 2002
– Erblasserin –
Beteiligte:
1) H. Siegfried, … Basel, Schweiz, verstorben …
2) W. Brigitte, geb. L., … Augsburg
– Beschwerdeführerin –
3) L. Wolfgang, … Augsburg
– Beschwerdeführer –
4) D. … e.V., vertreten durch d. Vorstand, … Würzburg
Verfahrensbevollmächtigte zu 2 und 3: Rechtsanwälte … Augsburg, Gz.: …
wegen Nachlassbeschwerde
erlässt das Oberlandesgericht München – 31. Zivilsenat – durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Rieder, den Richter am Oberlandesgericht Krätzschel und den Richter am Oberlandesgericht Gierl am 31.03.2016 folgenden Beschluss
1. Der Beschluss des Amtsgerichts Augsburg – Nachlassgericht – vom 11.09.2015 wird aufgehoben.
2. Das Amtsgericht Augsburg – Nachlassgericht – wird angewiesen, der Beteiligten zu 2 einen Erbschein zu erteilen, der inhaltlich gleichlautend ist mit dem Erbschein, der mit Beschluss vom 11.09.2015 eingezogen wurde.
Gründe:
I. Die ledige Erblasserin ist am … 2002 im Alter von 77 Jahren verstorben. Das Nachlassgericht erteilte am 25.1.2006 einen Erbschein aufgrund gesetzlicher Erbfolge, der die Beteiligten zu 1 – 3 als Miterben ausweist.
Mit Schreiben vom 18.8.2015 legte der Beteiligte zu 4 ein Schreiben der Erblasserin (Brief) vom 20.10.1975 vor, das er nach seinem Vorbringen erst jetzt bei Durchsicht seiner Unterlagen aufgefunden habe.
Das Schreiben lautet wie folgt:
(Ort), 20.10.75
An das (= Beteiligter zur 4)!
Habe mich entschlossen nach meinem Tode mein Vermögen (Bar u.. Wertpapiere; C.bank; A.) dem (= Beteiligter zu 4) zur Verfügung zu stellen. Sollte mir unerwartet etwas zustossen, dann halten Sie dieses Schreiben als Vollmacht!
(Ort), 20.10.75 (Unterschrift)
Mit Beschluss vom 11.09.2015 ordnete das Nachlassgericht, die Einziehung des Erbscheins vom 25.1.2006 ein, da das Schreiben vom 20.10.1975 eine Erbeinsetzung enthalte. Gegen diesen Beschluss wenden sich die Beteiligte zu 2, die den ihr erteilten Erbschein bereits dem Nachlassgericht übersandt hat, sowie der Beteiligte zu 3.
II. Die zulässigen Beschwerden (bzgl. der Beteiligten zu 2 im Sinne des § 353 Abs. 2 FamFG) haben in der Sache Erfolg. Die Voraussetzungen für eine Einziehung des Erbscheins liegen nicht vor. Der Senat teilt nicht die Auffassung des Nachlassgerichts, dass die Erblasserin mit dem Brief vom 20.10.1975 ein Testament im Sinne des § 2247 BGB errichtet hat und darin den Beteiligten zu 4 zu ihrem Erben eingesetzt hat. Insoweit ist der Erbschein vom 25.1.2006, der die Erbfolge nach der Erblasserin kraft Gesetzes ausweist, inhaltlich zutreffend.
1. Grundsätzlich kann in einem vom Erblasser eigenhändig geschriebenen und unterschriebenen Brief der letzte Wille des Erblassers enthalten sein. Eine solche schriftlich niedergelegte Erklärung des Erblassers kann allerdings, auch wenn sie den formalen Voraussetzungen des § 2247 BGB genügt, nur dann als letztwillige Verfügung gelten, wenn sie auf einem ernstlichen Testierwillen des Erblassers beruht. Daher muss außer Zweifel stehen, dass der Erblasser die von ihm erstellte Urkunde als rechtsverbindliche letztwillige Verfügung angesehen hat oder zumindest das Bewusstsein hatte, die Urkunde könne als Testament angesehen werden. Ob ein solcher ernstlicher Testierwille vorgelegen hat, ist im Wege der Auslegung (§ 133 BGB) unter Berücksichtigung aller erheblichen, auch außerhalb der Urkunde liegenden Umstände und der allgemeinen Lebenserfahrung zu beurteilen (BayObLG FamRZ 1999, 534, 535 m. w. N.). An den Nachweis des Testierwillens sind bei einem Brieftestament strenge Anforderungen zu stellen (BayObLGZ 2000, 274, 277). Die Vorschrift des § 2084 BGB findet bei verbleibenden Zweifeln keine Anwendung (vgl. BayObLG FamRZ 1990, 672; 2001, 944, 945).
2. Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze ist der Senat im Gegensatz zu dem Nachlassgericht nicht davon überzeugt, dass die Erblasserin mit dem Schreiben vom 20.10.1975 eine letztwillige Verfügung errichtet hat und darin den Beteiligten zu 4 zu ihrem Erben berufen hat.
a) Der Umstand, dass die Erblasserin das Schreiben nicht als Testament bzw. als „letzter Wille“ bezeichnet hat, stellt kein tragfähiges Indiz gegen die Errichtung eines Testaments dar. Für die Auslegung des Schriftstücks als letztwillige Verfügung ist nämlich das Fehlen einer ausdrücklichen Bezeichnung des Schriftstücks als „Testament“, „Mein letzter Wille“ oder eines ähnlichen Ausdrucks unschädlich. Entscheidend ist, dass sich aus dem Schriftstück der Wille der Erblasserin ergibt, die Folgen ihres Todes ernsthaft und umfassend zu regeln (BayObLG FamRZ 2005, 656, 657).
Vor dem Hintergrund, dass die Erblasserin in ihrem Schreiben zum Ausdruck bringt, dass der Beteiligte zu 4 nach ihrem Tod „ihr Vermögen“ erhalten soll (Satz 1), und diesem für den Fall, dass ihr „unerwartet etwas zustoßen soll“, das Schreiben als „Vollmacht“ dienen soll (Satz 2), hat das Nachlassgericht zu Recht die Errichtung einer letztwilligen Verfügung der Erblasserin in Erwägung gezogen. Denn darin liegt eine Anordnung der Erblasserin, die zeitlich unmittelbar auf ihren Tod bezogen ist. Hierin unterscheidet sich die hier inmitten stehende Formulierung der Vollmacht zu der, die der Entscheidung des BayObLG FamRZ FamRZ 2000, 1539, 1540 zugrunde lag („Bankvollmacht“). Dort fand sich kein Hinweis auf den Tod des Erblassers oder darauf, dass die Rechtsmacht gerade auch für diesen Fall erteilt werden sollte.
2. Der Senat ist aber nicht davon überzeugt, dass die Erblasserin in dem Brief selbst ihre Rechtsnachfolge nach dem Tod geregelt hat und darin den Beteiligten zu 4 als ihren Erben eingesetzt hat.
a) Zu Recht hat das Nachlassgericht den Inhalt des Schreibens als auslegungsbedürftig angesehen. Die Erblasser hat darin zwar eine Zuwendung zugunsten des Beteiligten zu 4 thematisiert. Eine ausdrückliche Erbeinsetzung findet sich in dem Schreiben jedoch nicht.
b) Der Senat teilt nicht die Auffassung des Nachlassgerichts, dass das Schreiben der Erblasserin vom 20.10.1975 eine Erbeinsetzung des Beteiligten zu 4 darstellt. Soweit das Nachlassgericht aus der Formulierung „mein Vermögen“ und der Erteilung einer Vollmacht zugunsten des Beteiligten zu 4 eine Erbeinsetzung ableitet, ist eine solche Auslegung nicht zwingend. Insoweit hat das Nachlassgericht weitere Umstände innerhalb und außerhalb der Urkunde nicht berücksichtigt, die einen Testierwillen der Erblasserin in dem Schreiben zweifelhaft erscheinen lassen.
aa) Aus der Formulierung in Satz 1 ihres Schreibens („ich habe mich entschlossen, nach meinem Tode….“) ist neben der Angabe des Motivs auch – worauf die Beschwerdeführer hinweisen – eine Auslegung möglich, dass die Erblasserin bereits die Entscheidung über ihren Nachlass außerhalb der Urkunde getroffen hat. Eine solche Auslegung findet eine Stütze darin, dass im Zeitpunkt der Übersendung des Schreibens vom 20.10.1975 bereits ein Testament der Erblasserin vorlag. Dieses wurde am 13.3.1975 beim Amtsgericht A. – Nachlassgericht – unter der Verwahrungsbuch-Nr. 25088 in die besondere amtliche Verwahrung gegeben und am 21.8.1981 zurückgegeben (bereits am 30.7.1974 hatte die Erblasserin beim Amtsgericht A. – Nachlassgericht- ein Testament unter der Verwahrungsbuch-Nr. 24570 in die besondere amtliche Verwahrung gegeben, das ihr am 13.3.1975 zurückgegeben wurde). Vor diesem Hintergrund ist auch eine Auslegung möglich, dass der Inhalt des Schreibens lediglich einen mitteilenden (S. 1 betreffend – bereits in anderer Urkunde erfolgter – Zuwendung) bzw. ergänzenden Inhalt (S. 2 betreffend Erteilung einer Vollmacht) aufweist.
bb) Der von dem Nachlassgericht gezogene Schluss eines Testierwillens in Gestalt einer Erbeinsetzung ergibt sich nicht zwingend daraus, dass die Erblasserin in Satz 1 als Bezugspunkt der Vollmacht ihr „Vermögen“ angesehen hat. Gegen einen Testierwillen der Erblasserin spricht die in Satz 2 verwendete Formulierung. Insoweit hat die Erblasserin die dem Beteiligten zu 4 erteilte „Befugnis“ an ihrem Vermögen ausdrücklich mit „Vollmacht“ umschrieben. Nach dem Wortsinn bringt diese zum Ausdruck, dass deren Inhaber in Vertretung des Rechtsinhabers zu Handlungen ermächtigt werden soll. Ein (unmittelbarer) Wechsel der Rechtsinhaberschaft soll insofern gerade nicht stattfinden. Außerdem betrifft die Vollmacht lediglich das Barvermögen und die Wertpapiere bei der C. Bank (Wert im Zeitpunkt ihres Todes: 501.022.32 €). Auf weiteres im Zeitpunkt ihres Todes bei der Kreissparkasse vorhandenes Geldvermögen (Wert im Zeitpunkt ihres Todes: 27.153,13 €) sowie ihre im Zeitpunkt der Abfassung des Schreibens selbst genutzte Immobilie (Wert im Zeitpunkt ihres Todes: ca. 100.000 €) erstreckte sich die von ihr erteilte „Vollmacht“ nicht.
cc) Zwingende Anhaltspunkte dafür, dass die Erblasserin die Erteilung der Vollmacht entgegen dem Wortsinn als Erbeinsetzung, also als unmittelbare Anordnung einer Rechtsnachfolge in wirtschaftlicher Hinsicht, verstanden hat, liegen nicht vor. Die persönlichen Verhältnisse der Erblasserin lassen eher den gegenteiligen Schluss zu: Die Erblasserin war von Beruf Damenschneidermeisterin, die in geschäftlichen Dinge nicht unerfahren war, worauf die Höhe und die Zusammensetzung des Nachlasses (Wertpapiere in Höhe von ca. 330.000 €) sowie die zweimalige Übergabe ihres errichteten Testaments in die besondere amtlichen Verwahrung hindeuten.
c) In der Gesamtschau der Umstände innerhalb und außerhalb der Testamentsurkunde verbleiben daher für den Senat gewichtige Zweifel, ob der an den Beteiligten zu 4 übersandte Brief einen Testierwillen der Erblasserin aufweist. Das Bestehen solcher Zweifel bewirkt, dass eine Erklärung nicht als gültiges Testament angesehen werden kann (Beck/Kroiß in: NK-BGB 4. Auflage <2014> § 2247 Rn. 62). Dies geht zulasten desjenigen, der Rechte aus einem Schriftstück herleitet (vgl. BayObLG NJW-RR 1991, 392, 393; Lauck in: Burandt/Rojahn Erbrecht 2. Auflage <2014> § 2247 Rn. 45), da der Grundsatz des § 2084 BGB für das Vorliegen eines Testierwillens nicht anwendbar ist (s.o.). Dies ist vorliegend der Beteiligte zu 4.
3. Nachdem der der Beteiligten zu 2 erteilte Erbschein bereits eingezogen ist, war insoweit neben der Aufhebung des Einziehungsbeschlusses das Nachlassgericht anzuweisen, der Beteiligten zu 2 einen neuen gleichlautenden Erbschein zu erteilen (vgl. § 353 Abs. 2 Satz 2 FamFG).
III. Gerichtskosten für die erfolgreiche Beschwerde fallen nicht an. Die Anordnung der Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Beschwerdeführer durch den Beteiligten zu 4 ist nicht veranlasst.
IV. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor.
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