Die Formulierung „Sollte mir bei der Gallenoperation etwas zustoßen“ stellt in der Regel die Angabe des Motivs für die Errichtung des Testaments, nicht aber eine Bedingung betreffend die Erbeinsetzung, dar.
Tenor
I.
Der Beschluss des Amtsgerichts München vom 15. April 2011 wird aufgehoben.
II.
Das Nachlassgericht wird angewiesen, der Beteiligten zu 1 den von ihr beantragten Alleinerbschein zu erteilen.
Gründe
I.
Der Erblasser, der nicht verheiratet war, verstarb am … 2010. Er hatte keine nichtehelichen Kinder und niemanden als Kind angenommen. Die Beteiligte zu 1 war die Lebensgefährtin des Erblassers. Die Beteiligten zu 2-7 sind Cousins und Cousinen des Erblassers.
Es liegt ein von dem Erblasser eigenhändig geschriebenes und unterschriebenes Schreiben vom 4.8.1983 mit folgendem Inhalt vor:
„Krankenhaus den 4.8.83
(Ort)
Sollte mir A. S. bei der Gallenoperation etwas zustoßen, bekommt Frau A. L. (= Beteiligte zu 1) meine 2 Sparbücher und den Bauplatz in A.
gezeichnet den 4.8.1983 S. A.“
Die Beteiligte zu 1 beantragte am 17.3.2011 die Erteilung eines Alleinerbschein. Sie ist der Meinung, dass die Formulierung „sollte mir bei der Gallenoperation etwas zustoßen“ lediglich die Angabe des Motivs für die Testamentserrichtung, nicht aber eine Bedingung betreffend ihre Erbeinsetzung darstelle. Der Erblasser habe gewollt, dass sie als seine Lebensgefährtin – seine einzige enge Bezugsperson über einen Zeitraum von mehr als 40 Jahren – in jedem Fall Alleinerbin werden solle, zumal er keinen Kontakt zu seiner Verwandtschaft gehabt habe. Die Lebensverhältnisse des Erblassers und der Beteiligten zu 1 hätten sich seit dem Zeitpunkt der Testamentserrichtung nicht verändert. Sie habe den Erblasser die letzten sechs Jahre krankheitsbedingt umfassend gepflegt und einen Großteil der Krankenhaus- und Arztkosten für den Erblasser bezahlt. Zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung habe der Erblasser lediglich die zwei Sparbücher und den Bauplatz in A. besessen. Da der Erblasser ihr damit sein gesamtes Vermögen zugewandt habe, sei sie als Alleinerbin anzusehen.
Die Beteiligten zu 2 und 3 sind demgegenüber der Auffassung, das Testament vom 4.8.1983 sei nur für den (nicht eingetretenen) Fall des Todes des Erblassers während der Gallenoperation im Jahre 1983 errichtet worden.
Mit Beschluss vom 15.4.2011 wies das Nachlassgericht den Antrag der Beteiligten zu 1 zurück. Hiergegen richtet sich die Beschwerde.
II.
Die Beschwerde ist zulässig und im Ergebnis begründet. Zu Unrecht ist das Nachlassgericht zu dem Schluss gelangt, dass der Erblasser nur den nicht eingetretenen Fall seines Todes während der Gallenoperation im August 1983 geregelt hat und das Testament vom 4.8.1983 keine allgemeingültige Erbeinsetzung der Beteiligten zu 1 darstellt. Demgemäß war der Beschluss des Nachlassgerichts vom 15.4.2011 aufzuheben und das Nachlassgericht anzuweisen, der Beschwerdeführerin den von ihr beantragten Erbschein zu erteilen.
1. Der Umstand, dass der Erblasser der Beschwerdeführerin ausdrücklich nur einzelne Vermögensgegenstände zugewendet hat, steht ihrer Einsetzung als Alleinerbin nicht entgegen.
a) Die Zuwendung einzelner Gegenstände ist gemäß § 2087 Abs. 2 BGB im Zweifel als Vermächtnisanordnung und nicht als Erbeinsetzung anzusehen. Diese Auslegungsregel greift jedoch dann nicht ein, wenn ein anderer Wille des Erblassers festgestellt werden kann. Hat ein Erblasser praktisch sein ganzes Vermögen an die bedachten Personen aufgeteilt, so ist regelmäßig anzunehmen, dass der Testierende eine Erbeinsetzung bezweckt hat, denn es kann nicht angenommen werden, dass er gar keinen Erben berufen wollte (st. Rspr., vgl. BayObLG FamRZ 1997, 1177/1178; NJW-RR 2000, 1174 m. w. N.). Für die Frage, ob ein Bedachter als Erbe eingesetzt sein soll, kommt es entscheidend darauf an, ob der Erblasser ihm unmittelbare Rechte am Nachlass verschaffen und durch ihn seine wirtschaftliche Stellung fortgesetzt wissen wollte. Hingegen liegt ein Vermächtnis vor, wenn der Erblasser den Bedachten auf schuldrechtliche Ansprüche gegen den Erben hinsichtlich einzelner Gegenstände verweisen wollte (BayObLG FamRZ 2001, 1174/1176). Maßgeblich sind die Vorstellungen des Erblassers im Zeitpunkt der Testamentserrichtung.
b) Schon aus dem gesamten Inhalt der letztwilligen Verfügung kommt zum Ausdruck, dass der Erblasser eine umfassende Regelung seiner Rechtsnachfolge treffen wollte. Er hat der Beschwerdeführerin, die seine langjährige Lebensgefährtin ist, sowohl Geldvermögen als auch den Bauplatz in A. zugewendet. Letzterer stellte nach Überzeugung des Gerichts im Zeitpunkt der Testamentserrichtung nach der Vorstellung des Erblassers sein Hauptvermögen dar. Es ist daher naheliegend, dass der Erblasser durch seine Zuwendungen zum Ausdruck bringen wollte, dass er die Beschwerdeführerin als seine Rechtsnachfolgerin angesehen hat und seine wirtschaftliche Stellung durch sie fortgesetzt wissen wollte.
2. Entgegen der Auffassung des Nachlassgerichts hat der Erblasser die Beschwerdeführerin nicht nur für den Fall, dass er die Gallenoperation nicht überlebt, eingesetzt, sondern generell zu seiner Rechtsnachfolgerin bestimmt.
a) Zutreffend hat das Nachlassgericht die Formulierung „sollte mit bei der Gallenoperation etwas zustoßen“ als auslegungsbedürftig angesehen. Wenn der Text eines Testaments in der Form eines Konditionalsatzes auf die Umstände der Errichtung Bezug nimmt und der Erblasser später trotz geänderter Umstände nicht widerruft bzw. neu testiert, stellt sich die Frage, ob der Erblasser die Wirksamkeit seiner Anordnungen von einer Bedingung abhängig machen oder nur den Anlass der Testamentserrichtung ausdrücken wollte (Staudinger/Otte BGB <2003> § 2074 Rn. 12 ff.). Entscheidend ist die Auslegung (BayObLG NJW-RR 2003, 659/660): Ist der Wille des Erblassers erkennbar, die Wirksamkeit der Verknüpfung mit dem angegebenen, für ungewiss gehaltenen Umstand unmittelbar zu verknüpfen, so handelt es sich um eine echte Bedingung (Leipold in: MüKoBGB 5. Auflage <2010> § 2074 Rn. 6 ff.), so dass die Erbeinsetzung nur für diesen konkret geregelten Fall Gültigkeit haben soll. Lässt der Inhalt der Anordnungen dagegen keinen Zusammenhang mit der Todesart oder dem Todeszeitpunkt des Erblassers erkennen, so kann angenommen werden, dass die Anordnungen auch dann gelten sollen, wenn der Erblasser unter anderen Umständen stirbt als denen, die ihn zum Testieren veranlasst haben (Staudinger/Otte a. a. O.).
b) Von diesen Kriterien ist das Nachlassgericht ausgegangen. Es hat daraus aber unzutreffend den Schluss gezogen, dass der Erblasser die Beschwerdeführerin lediglich für den Fall, dass er die Operation nicht überlebt, als seine Rechtsnachfolgerin einsetzen wollte. Bei Verwendung eines Konditionalsatzes im Zusammenhang mit einer Operation ist in der Literatur anerkannt, dass diese Formulierung auch den Fall erfasst, dass der Erblasser nicht gerade anlässlich des im Testament genannten Ereignisses verstirbt (vgl. dazu Leipold in MüKoBGB a. a. O. § 2074 Rn. 7; Soergel/Loritz BGB 13. Auflage § 2074 Rn. 13 m. w. N.). Der Senat teilt diese Auffassung. Der Erblasser will in der Regel bei Verwendung dieser Formulierung lediglich sein Motiv für die Errichtung des Testaments zum Ausdruck bringen (der ungewissen Ausgang der Operation ist also Anlass für die Testierung) und damit auch eine allgemeingültige Regelung betreffend seine Rechtsnachfolge anordnen. Lediglich dann, wenn sich ausnahmsweise ein Wille des Erblassers ermitteln lässt, dass er tatsächlich die Erbeinsetzung einer bestimmten Person nur vom Tode anlässlich eines ganz bestimmten Ereignisses abhängig machen wollte, weil diese Person in irgendeiner Form mit dem Ereignis verknüpft ist, liegt eine echte Bedingung vor (vgl. Soergel/Loritz a. a. O.: Erblasser wird durch seinen Neffen operiert). Eine solche Verknüpfung liegt hier nicht vor.
Weder ist eine solche in der Person der Bedachten betreffend die Operation gegeben, noch sind sonstige Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Erblasser die Einsetzung der Beschwerdeführerin allein auf den Ausgang der Operation hin beschränken wollte. Die vom Nachlassgericht erkannten Anhaltspunkte kommen nach Auffassung des Senats keine maßgebliche Bedeutung zu. Die Errichtung des Testaments im Krankenhaus lässt nicht den zwingenden Schluss auf eine solche Verknüpfung zu. Der Ort weist lediglich darauf hin, dass die unmittelbar bevorstehende Operation Beweggrund für die Errichtung des Testaments war und der Erblasser diese im Hinblick auf deren ungewissen Ausgang zum Anlass genommen hat, seine Rechtsnachfolge zu regeln. Auch dem Umstand, dass der Erblasser die Beschwerdeführerin nicht ausdrücklich als seine Alleinerbin bezeichnet hat, kommt in diesem Zusammenhang kein erhebliches Gewicht zu. Im Wege der individuellen Auslegung kann nämlich der Wille des Erblassers festgestellt werden, dass er die Beschwerdeführerin durch die Zuwendung der einzelnen Vermögensgegenstände als seine Rechtsnachfolgerin betrachtet hat (s. o.).
3. Eine Kostenentscheidung ist nicht geboten. Das Verfahren der Beschwerde ist gerichtsgebührenfrei (§ 131 Abs. 3 KostO). Von der Anordnung der Kostenerstattung hat der Senat abgesehen (§ 81 FamFG).
Die Voraussetzung für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor.