OLG Stuttgart 19 U 150/08
Ausschlagung einer Erbschaft sowie Anfechtung einer Erbschaftsannahme wegen Irrtums über eine verkehrswesentliche Eigenschaft
Tenor
Dem Kläger wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung des vollstreckbaren Betrages zuzüglich eines Aufschlages von 10 % abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrages zuzüglich eines Aufschlages von 10 % leistet.
Gründe
I.
Der Kläger macht gegen die Beklagte einen Pflichtteilsanspruch in Höhe von 37.485,37 € geltend.
Hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen wird auf das landgerichtliche Urteil Bezug genommen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Gegen die Klagabweisung wendet sich der Kläger mit der Berufung.
Die Frist zur Ausschlagung der Erbschaft könne frühestens mit der Möglichkeit der abschließenden Bewertung des Nachlasses beginnen.
Jedenfalls aber habe das Landgericht die hilfsweise erklärte Anfechtung der Erbschaftsannahme und der Versäumung der Ausschlagungsfrist wegen Irrtums über eine verkehrswesentliche Eigenschaft zu Unrecht verneint.
Der Kläger beantragt:
Unter Abänderung des am 29.08.2008 verkündeten Urteils des Landgerichts Heilbronn, Az.: 8 O 148/08 Ka, wird die Beklagte verurteilt, an den Kläger 37.485,37 € nebst 5 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.
Sie hält das landgerichtliche Urteil für zutreffend.
Wegen des weiteren Berufungsvorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die Sitzungsniederschrift vom 15. Januar 2009 Bezug genommen.
II.
Die zulässige Berufung bleibt ohne Erfolg.
Die Ausschlagungsfrist beträgt 6 Wochen und beginnt mit der Kenntnis vom Anfall der Erbschaft, dem Berufungsgrund und der Beschwerung, §§ 2306 Abs. 1 S. 2, 1943, 1944 BGB.
Mit Testamentseröffnung am 12.07.2006 hatte der Kläger Kenntnis vom Anfall der Erbschaft und vom Berufungsgrund. Er erhielt ferner Kenntnis von dem der Beklagten zugewendeten Vermächtnis und der Anordnung der Testamentsvollstreckung, weswegen er sich auch zur Annahme der Erbschaft noch nicht erklären wollte. Er wurde in diesem Zusammenhang auch über die Geltendmachung seines Pflichtteilsrechts belehrt.
Nach ganz herrschender Meinung ist für den Vergleich zwischen Erbteil und Pflichtteilshöhe und damit für die Frage, ob dem Erben das Ausschlagungsrecht nach § 2306 Abs. 1 S. 2 BGB zusteht, grundsätzlich die Quotentheorie anzuwenden (Palandt-Edenhofer, BGB, 68. Aufl., § 2306 Rz. 2 f sowie Münchener Kommentar-Lange, 4. Aufl., § 2306 Rz. 3 m. FN 5).
Das bedeutet, nur die Quoten, also die Bruchteilsgrößen, sind maßgebend, nicht aber der Wert. Anderes gilt nur, wenn dem Pflichtteilsberechtigten nur ein Geldbetrag oder ein einzelner Gegenstand zugewandt wurde und trotz § 2087 Abs. 2 BGB eine Erb-einsetzung vorliegt. In diesem Fall muss die Quote des Hinterlassenen aus dem Wertverhältnis zwischen Zuwendung und Gesamtnachlass errechnet werden (Münchener Kommentar-Lange a.a.O.). Ebenso wird verfahren, wenn bei der Berechnung des Pflichtteils Vorempfänge über Anrechnungs- oder Ausgleichspflichten (§§ 2315, 2316 BGB) anzurechnen sind (Palandt-Edenhofer a.a.O.; Münchener Kommentar-Lange a.a.O.).
Die genannten Ausnahmen sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
Insbesondere fällt die im Testament verfügte Ausgleichszahlung in Höhe von zuletzt 30.000,00 DM nicht unter die genannten Vorschriften.
Für den Fristbeginn maßgebend ist die Kenntnis von Umständen, aufgrund deren ein Abwägen und damit ein Handeln erwartet werden kann (BGH WM 1968, 542). Diese Kenntnis hat der Kläger spätestens mit der Auskunft der Beklagten vom 20.08.2006 – zugegangen am 19.09.2006 – erhalten, in der die Größenordnungen von Vermächtnis und Restnachlass schon ausdrucksvoll deutlich wurde.
Die mit Schreiben vom 10.08.2007 erklärte Ausschlagung ist folglich verfristet.
Auf den Erhalt des Wertgutachtens vom 14.06.2007 kommt es mithin nicht an. Der neue Vortrag, dem Kläger sei die Bewertung nicht möglich gewesen, weil die Beklagte ihre Mitwirkung verweigert habe – was diese bestreitet -, ist überdies gemäß § 531 Abs. 2 ZPO nicht zu berücksichtigen.
Eine verkehrswesentliche Eigenschaft des Nachlasses im Sinne von § 119 Abs. 2 BGB wird bejaht, wenn es um die Überschuldung des Nachlasses geht oder um eine Belastung des Nachlasses mit wesentlichen Verbindlichkeiten (z.B. Vermächtnis), deren rechtlicher Bestand ungeklärt ist (BGH NJW 1989, 2885). Weiter wird hierzu gerechnet die Höhe des Erbanteils (OLG Hamm NJW 1966, 1080), die Größe des Nachlasses (KG OLGZ 1993, 1 [Unkenntnis von in früherer DDR gelegenem Immobilienvermögen]), Irrtum über Zugehörigkeit von Rechten oder Verbindlichkeiten zum Nachlass, wenn dieser Irrtum zur Vorstellung einer tatsächlich nicht bestehenden Überschuldung führt (KG NJW-RR 2004, 941).
Der Kläger macht einen Irrtum über die tatsächlichen Wertverhältnisse des Nachlasses geltend. Es geht nicht um den ungeklärten rechtlichen Bestand von Nachlassverbindlichkeiten oder Nachlassforderungen oder Belastungen oder deren Zugehörigkeit zum Nachlass und dem sich hieraus ergebenden Irrtum über den Erbteilswert. Der Kläger wusste vielmehr seit der Auskunft der Beklagten, dass das vermächtnisweise zugewendete Grundstück weitgehend das Erbe ausmachte (vgl. auch BayObLG NJW-RR 1994, 904).
Die Anfechtung der Erbschaftsannahme scheidet folglich aus.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Zulassung der Revision war nicht veranlasst, § 543 Abs. 2 ZPO.
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